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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 16.1924

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Feurstein, Heinrich: Der Donaueschinger Altarflügel Grünewalds
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https://doi.org/10.11588/diglit.41564#0349

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Der Donauefct)inger Altar flügel Grünewalds
Von H. FEUERSTEIN

Diefe merkwürdige Kopie von 1648 nach einem
verlorenen Originale Grünewalds — die laut auf-
fchreiende Magdalena kauernd vor dem in Profil-
ftellung mit unfichtbarem FJaupte gegebenen Ge-
kreuzigten, 156X76 cm groß — wurde von mir
im Jahre 1920 (in der „3eitfchrift für bildende
Kunft“, N. F. 31 [hier auch die Abb.]) einem grö-
ßeren Kreife vorgeführt und in die Reihe der
Fjallerifer Spätarbeiten gefeßt. Die Catfache, daß
in FJalie ein Magdalenenaltar verloren ging und
die unbunte, ftark gedämpfte Farbengebung der
Kopie, die l)ier offenbar das Kolorit des Origi-
nals feftßält, fcßien diefer Außaßung recht zu
geben. Auch der Faltenwurf der Alagdalena
fdbien in die Nähe der gewöhnlich 1520—1525
angefeßten Karlsruher Kreuztragung zu weifen.
Bei einer Befprechung des Fundes äußerte indes
fd)on Franz Rieffel (Frankf. oeitg. 1920, S. 641)
aus Stilgründen Bedenken gegen eine fo fpäte
Hnfeßung, während Fj. A. Sdjmid in Bafel mir
brieflid) zuftimmte. Fjagen (Grünewald 3. Auß.,
Seite 242) ift geneigt, das feltfame öCIerk in
die Nähe des Ifenheimer Hitares zu feßen und
erinnert für die Magdalena an die Prinzeffin
auf dem Cyriakusbilde in Frankfurt. Joften
(Grünewald 2. Äufl., Seite 87 f.) bringt unfere
Magdalena, dem Vorgang Rieffels folgend, in
3ufammenhang mit der Kreidezeichnung der
betenden Frau in der Sammlung Licht, die nach
Rieffel ein ziemlich frühes Bild darftellt.
Inzwifchen fiel von archivalifcher Seite, die
fchon oft bei einem non liquet in Stilfragen die
Entfcheidung brachte, ein erwünfcbtes Licht auf
unferen Fund, Unfer Bild trägt nämlich in fich
felbft einen untrüglichen Fjinweis auf den ur-
fprünglichen Standort des Originals, und zwar
in der Form des in der rechten oberen Ecke an-
gebrachten Klappens mit der Bezeichnung F1648 H,
das, wie ich fchon damals nachwies, dem Äbte
Franz I. Chullot von St. Blaßen eignet. Ich hatte
von Hnfang an die Vermutung, daß der Huftrag-
geber der Kopie das Urbild — vielleicht in fei-
ner Stammheimat — gefehen haben müffe, aber
es fcßien unmöglich, den Namen Chullot zu loka-
lifieren. Im Laufe der Jahre fand ich, daß ein
Konftantin Chullot im Jahre 1607 an der Uni-
verßtät Freiburg ftudierte. Diefer Chullot ßammte
aus Enfisheim im Oberelfaß. Diefe Beobachtung
ermutigte zu einer Hnfrage in St. Paul in Kärn-
ten, das als Rechtsnachfolger die Tradition von
St. Blaßen bewahrt, und führte zur wichtigen
Feftßellung, daß auch der Abt Franz Chullot
in Enfisheim geboren ift und zwar am 10. Ja-
nuar 1599 als Sohn des vorderöfterreichifchen
Prokurators Claudius Chullot (oder Chuloth).
Enßsheim liegt nur eine ftarke Stunde von Ifen-
heim entfernt, und es iß wohl keine Frage, daß
der Hbt in feinen jungen Jahren die Schüße der

dortigen Klofterkirche gefehen und von den Al-
tären Grünewalds einen fo tiefen Eindruck mit-
nahm, daß er, zur Regierung feines berühmten
Klofters berufen, die bereits beftehende, großen-
teils auf Kopien aufgebaute Gemäldegalerie durch
Nachbildungen feines Fjeimatmalers Grünewald
ergänzte, unter denen unfere Magdalenenklage
jedenfalls nicht die einzige war. Nach freund-
licher Mitteilung des Stiftsarchivs St. Paul hat
der Hbt fogar eine Reihe von Bildern befchafft
und mit Klappen fdjmücken laffen. Enßsheim
war bekanntlich der Siß der vorderöfterreichi-
fchen Regierung, die von 1597 an für den Kaifer
Rudolph K. die Verhandlungen mit dem Ober-
präzeptor des Kloßers Ifenheim wegen käußicßer
Abgabe des großen Hltarwerks von Grünewald
führte. In Ifenheim gab es einen Altar der hei-
ligen Aiagdalena, denn Guido Gerß (f 19. Fe-
bruar 1516), der große Gönner Grünewalds, wird
vor dem Altar der hl- Maria Magdalena und
des hl- Bartholomäus beigefeßt, vielleicht des-
wegen, weil er auch diefen Altar mit Bildern
Grünewalds fchmücken ließ. Unmittelbar vor
dem Fronaltar durfte nach den kirchlichen Be-
ftimmungen nicht beftattet werden. Der Flügel
ift als Außenßügel anzufpredpen, und das Gegen-
ftück war vermutlich das Martyrium des hl- Bar-
tholomäus.
Nun erklärt fich auch ungezwungen die enge
Beziehung der Fjandzeicßnung IJolbeins d. J. „Der
Gekreuzigte“ im Maximiliansmufeum in Augs-
burg zu unferem Bilde. So offenfichtliche Ent-
lehnungen wie die auffchreiende Magdalena vor
dem im 3/4-Proßl gegebenen Gekreuzigten, da-
zu die lehnende Leiter, laßen mit großer CUahr-
fcheinlichkeit vermuten, daß Fjolbein d. J. den
Altarßügel Grünewalds in Ifenheim gefehen hat.
Bekanntlich arbeitet fein Vater ab 1516 im Klo-
fter und ßirbt dort 1524. Später taucht der Vor-
wurf bei Kloß Fjuber mit außallender Anlehnung
auf und zwar wiederholt (Federzeichnung der
Sammlung Ricketts & Shannon in London; FJolz-
fchnitt, Paß. 10).
Grünewald felbft mag bei feiner Schöpfung
von Cranachs ftarker Kreuzigung von 1503, die
eine unerhörte Außaßung einleitete, und von
Dürers Kupferßich von 1508 (B. 24) mit dem laut
auffchreienden, die Fjände ringenden Johannes
unter dem Kreuze leife angeregt worden fein.
Klir werden an anderer Stelle nachweifen, daß
Grünewald in diefen Jahren zwifchen Cranact)
und Dürer emporwächft.
Croß diefer formalen Anlehnung geht Grüne-
wald im Gegenßändlichen hier wie fo oft feine
eigenen Klege. Er folgt hier nicht wie im Ifen-
heimer FJocßaltar und in Stuppach den phan-
taftifchen Vißonen der hl- Birgitta. Seine Quelle
iß fchwer zu entdecken. Die zahlreichen F}ei-
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