Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 16.1924

DOI article:
Die Zeit und der Markt
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.41564#0398

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Äusftellungen

rechtens nicht verfchmäht, diefer „Modeplaftik“
hier Raum zu gewähren, die in ihrer fchlanken
Torpon und elaftifchen Schwingung bei aller
3weckentfpredjung fo präzipert, fo geißreich
pointiert, fo fdjliffig dirigiert ift, daß man eine
allerlegte Verkörperung damenhafterNonchalance
zu erkennen meint.
Jedes Gebilde Bellings ift ein Coup, jede Einzel-
form eklatant. Eine herrifche Energie, eine kalt-
blütige Originalität manifeftiert pch allenthalben.
Der Raum, in dem diefe Formungen ftehen, ift
von ihnen wie elektripert. Man verfolgt einen
konfequenten Bieg feit den barock erregten
Kampffzenen des Beginns über explofiv-geniale
Inventionen von raumftürmender Gewalt („Der
Menfch“, „Gefte Freiheit“) zu immer verhaltener
gefpannten, komprimierteren Geftaltungen. Per-
plex hält man einem fcharf blickenden Maha-
gonikopf von alleräußerfter Energie der Gefichts-
formen ftand, die hier nicht dem Alafpven ent-
dringen, fondern eine auspolierte FJöhlung um-
klammern. Überhaupt ift es für Bellings Form-
vorftellung wefentlich, mit dem Material des
leeren, zernierten Raumes zu rechnen. 3ulegt
jene bizarr berechneten Brunnen, die wahre Äpo-
theofen der hydraulifchen Montage pnd, und die
prachtvoll gedrungene Phantafie über das Thema
„Stadt“, eine fugifcl) difziplinierte Verfcpränkung
von Rohren, Drähten, Glasplatten, ufw. Än fo be-
vorzugter Stelle kann dies alles gewiß nicht
ohne Nachwirkungen fichtbar geworden fein! —
Man muß nicht von diefem modernen Tem-
perament herkommen (das wäre auch eine zu
dogmatifche Einftellung), um die Tierbronzen
von Chrifta Blinsloe - FJatvany beftenfalls
akademifch- anftändig nennen zu können. Es
fehlt hier an reduzierender Durchdringung des
Modells, und wo eine glättende Vereinfachung
der Maffe doch erftrebt ift, geht es über deko-
rative Faffonierung nicht hinaus. Ein paar Akte
haben eine gewiffe körperliche Gewichtigkeit;
aber wie fie poperend etwa einen Äpfel vor-
ftrecken, das bezeugt mit den herkömmlich fchö-
nen Profilen diefelbe Begrenztheit. Gaul iß
keineswegs erreicht, und wir würden auch das
heute für keine fchöpferifche Leiftung mehr
halten können.
Diefe durch Studienblätter ergänzten Plaftiken
waren bei Paul Caffirer von Arbeiten ülrich
IJübners umgeben. Seinen Bildern bekommt
es wenig, kollektiv präfentiert zu werden. Än
dem einzelnen koftet man gern die bunten oder
rauchgefchwängerten atmofphärifchenBlirkungen
aus, die kräftige Regung weichleuchtender Flecken.
Immer faft ift Blaßer mit Schiffen gegeben, Fjafen-
gewimrnel, Potsdamer Grachten. GleitendeFläcben
mit fein hineingewifchten Reßexen ftehen gegen
lockere Laubmaffen. Doch fchon die blauen
Fjimmel drücken zuweilen, man emppndet eine
koloriftifche Diffufion, einen Mangel an Konti-
nenten und Paufen. Auch wo Landfchaftsruhe

erßrebt iß, bleibt ein Blirrereß. Die im einzelnen
koftbaren Töne wirken in der Maße etwas prah-
lerifch. Eigene Stimmungserlebniße verdrängen
die des Künftlers. Bei mancher Sympathie für
ihn entweicht man feinen Bildern; pe pnd doch
nicht fein und dicht genug gewoben und haben
nur Reize, — keinen 3auber. —
Aus anderen ürfacßen wirkt ein munkelnder
Desillufionift wie Otto Gleichmann heute fchon
überholt, den das Graphite Kabinett J. B.
Neumann zur Diskufpon ftellt. Seine Vipon
diefes Tals der Troftlofigkeit und der Verwefung
ift nicht ohne etwas Koketterie des Schauderöfen.
Man ift immerhin erfaßt von ihrer unheimlichen
Melodie. Verßörte Kreatur ßackert über die
pnßere Erde; fich felbft Gefpenß Gewordene,
Molchmenfcben treiben unftet zwifchen Fjäufern
hin; chimärifches Getier kriecht in Rudeln umher.
Erftorbene Freuden, lauernde Gelüfte fchillern
grau auf den Gepchtern. Äpathifch-böfe hockt
im Cafe ein Gaft, morfche Erwartung klebt Braut-
leute lächerlich und furchtbar nebeneinander aufs
Sofa. Anmut der Einfamkeit wendet ihre Bläße
zu trüben Monden empor. Blie Schimmel liegt
es auf Gleichmanns Bildern, fie pnd wie mit
Ängftfchweiß gemalt. Die kriglige Spröde der
3eichnung, die gärende Chemie zerfegter Spü-
lichttöne erinnert an Klee. Aber man fpürt eine
malerifche Äbpchtlichkeit, ein Gegrufel, das nicht
mehr aus innerfter Beftürzung kommt. Die 3eit
der Jeremiaden ift honte überhaupt vorbei. Es
ift fchließlich in der Eingabe an fchmachtende
öntergangsftimmungen diefelbe illuforißhe Be-
ziehung zum Gefchehen wie in der harmlofen
Beobachtung gefälliger Pleinairismen. 3udem
wirken bei Gleichmann der grinfende Parmenfan-
teint, die melancbolifch verfranften Kagenaugen
und anderes bereits als „dämonifches“ ütenfil.
So überwiegt fchließlich das Mißtrauen die Er-
fchütterung durch einen gewiß nicht phantafie-
lofen Infernalismus. —
Auch F. Domfcheit, von dem die Galerie
Lug Bilder aus den Jahren 1919—1923 ausftellt,
entwickelt eine Myftik des beklommenen Dafeins.
Ein fcgwarzes Flügelfchlagen des Raums fcbeucht
bleiche, ftumpfe Gepchter feltfam groß über die
Straße, preßt die Erde, macht die Käufer wanken
wie in Flucht. Doch die Dumpfheit hat hier eine
legendarifcheTiefe, die in dem ftillen Akkord einer
„Ruhe auf der Flucht“ unversehens eigene Ge-
palt gewinnt. In legter 3eit hat der Künftler
fich zu Schmidt-Rottluß hin entwickelt, ftellt
fchwergefaßte Formen nun feft gegen helle
Gründe von gellender Intenptät der Farbe. Er-
lahmt diefe Energie, fo ergibt pch eine nicht
allzu glückliche Simplizität, die Legendenton und
klare Eindringlichkeit zu verbinden trachtet, aber
bilderbuchhaft bleibt. —
In der Galerie Carl Nikolai begegnet Blü-
he lm Schm id, deßen zopfige Sorgfalt und fteife
Ausführlichkeit ja ihren eigenen aparten Ge-

374
 
Annotationen