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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 16.1924

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Alten, Wilken von: Hermann Haller
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https://doi.org/10.11588/diglit.41564#0425

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ßermann Sailer

Von WILKEN v. ALTEN / Mit
neun Abbildungen auf fünf Tafeln

Haller hat eine kleine Mäddjenffatuette gefdjaffen — [ie ift in Bronze oder stucco-
lustro gegoffen — die er felbft, um ihrer lageren, pelzigen Langbeinigkeit willen,
den „Storch“ nennt. Dem erften Blicke erfdjeint pe, namentlich, wenn von [et-
lichem Licht getroffen, als eines jener bewußt ftiliperenden und Primitivität erffrebenden
Gebilde unferer 3eitkunft, die [eit etwa einem Jahrzehnt im Anfdjluffe an Negerfkulp-
turen in ermüdender Anzahl entffanden [ind. Bei längerer Betrachtung und in Ober-
lid)t gebracht, ftraffen [ich wie unter einem 3auber die Muskeln der Schenkel, wölben
[ich die Kurven des Leibes und beginnen zu ffhwingen; die dürffigen Brüffe [chwellen,
ein [chwebendes Leben ent[teht über dem Gepcljte und umhüllt endlich den ganzen
Körper. Die[e Verbindung [trenger, zurückhaltender Form mit üppigem, pla[ti[d)em Reich-
tum i[t die auszeichnende Eigenfdjaff Fjallerfdjer Plaffik.
Fjermann Fjaller, der 1880 in Bern geborene Deutfch[d)weizer, der in München und
Stuttgart [ich zum Maler bilden wollte und in Rom Plaffiker wurde, dankt die ent-
[cheidenden Anregungen von außen einem bis 1915 dauernden fedjsjäljrigen Aufenthalte
in Paris. Maillols Auffaffung der Form — und vielleicht muß hier auch Renoir mit [einer
in Winterthur [teilenden Frau genannt werden — wurde für ihn richtunggebend, wie
fie es faft für die gefamte neuere Plaffik geworden ift. Man kann von Maillol eine
Renaiffance der Kunff, Figuren zu formen, herleiten, mit mehr Recht jedenfalls als
von Rodin, der mit unplaffifchen, malerifchen Mitteln wirkte — allerdings ein Genie
war — oder als von Fjildebrand, der nur „Bildhauer“, nicht aufbauender Former und
dazu kein Genie war.
Im Sinne Maillols läßt ßaller die Plaffik [ich wieder darauf beffnnen, daß eines
Menfcßen Beine vor allem andern Säulen find und die Arme Äffe und der Rumpf ein
zylindrifcher und der Kopf ein kuglicher Kubus und erff dann Gebilde, die von den
einzelnen Knochen und Muskeln, ihren Formen und dem durch fie bedingten Stoff-
charakter ihr eigentümliches Ausfehen erhalten.
Fjaller liebt es, [eine Figuren vollkommen fymmetrifd) zu bauen, [o daß die eine Fjälfte
des Körpers wie ein Spiegelbild der anderen erfcheint. Er erreicht durch diefes Wieder-
holen des Gleichen, einem Urmittel aller Künffe, eine Monumentalität, die auch [einen
kleinffen Figürchen eine faft feierliche Größe gibt. Maliers Form, nicht von außen ent-
wickelt, [ondern von innen her aufgebaut, hat den Reiz des Gewachfenen, die leben-
dige Schönheit eines Naturgebildes. Sie fci)wingt in energifchen, gefpannten, bisweilen
kapriziöfen Kurven. Unter dem ardjaifdjen Gewände [cheint etwas von einer Rokoko-
[enfibilität zu atmen, und dann wieder glauben wir in dem Fjeiter-finnlichen, Frühlings-
haften [einer zarten Mädchengeffalten Schweffern der Naufikaa Fjomers zu erkennen.
Fjaller ift Virtuofe der Oberflächenbehandlung. Er läßt [ie rauh und porös, wie der
Prozeß des Formens pe geffaltete, [tehen, [o daß der Blick nie von glatten, [tarren
Flächen abprallt, [ondern gleichfam aufgefogen und ins Innere der Figur geführt wird.
Folgerichtig ift er ein Meiffer des Cedjnifcljen des Guffes, der fowohl im Material der
Bronze wie des stucco-lustro pd) auf die rafpnierteffen und [tets materialgerechten
Wirkungen verffeht. Der Cerrakotta aber weiß er die zauberifchffen Reize geiffreidjer,
wie zufällig im Spiel gefundener Nuancen abzugewinnen.
Fjaller gibt uns das [chöne Sdjaufpiel einer vollkommenen Beherrfdjung und Organifation
einer großen Begabung. Alles ift bis ins letzte gekonnt. Nie tut pclj eine Kluft zwifdjen Wollen
und Vollbringen auf. Man möchte ihn einen Meiffer [einer Kunff im Sinne der Alten nennen.
ülnfere 3ct fft es gewohnt, die Ciefe der dunklen Abgründe für bedeutender zu
halten als die [idjtbare Fjöhe, aber [djon beginnt pdj die Sehnfudjt nach Klarheit wieder
zu regen, und ihr wird ßaller ein Wegzeichen bedeuten.

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