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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 16.1924

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Taut, Bruno: Die neue Wohnung / Die Frau als Schöpferin
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https://doi.org/10.11588/diglit.41564#0672

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fondern fie h)at aud) nod) bei der Einhaltung des gleichen Wohnraums eine [ehr er-
hebliche Erfparnis an Baukoften zur Folge, ganz zu fchweigen von den Erfparniffen
an Möbelftücken und Bausrat. Volkswirtfcljaftlid) alfo ein ganz bedeutender Fortfall
an Nationalvermögen, der bisher völlig unproduktiv, ja [ogar fd)ädigend ausge-
geben wurde.
Diefe Begebungen find trotj ihrer zwingenden Beweiskraft vorläufig aber nur auf
ganz kleine Kreife befchränkt, ihre Auswirkung im Großen verpufft ganz und gar, das
breite Publikum fleht diefe Dinge beftenfalls als „intereffante“ Literatur an. Die ür-
fache dafür liegt darin, daß bei näherer Betrachtung fd)ließlid) doch die Gefühlsdinge
die Bauptrolle fpielen: man hängt allzufehr an der lieben Gemütlichkeit, worunter man
überladene, mit Überflüffigkeiten angefüllte Räume verfteht, und wird fid) nie ent-
fchließen können, eine belfere Einficht im Wirtfcljaftlichen zu verwirklichen, folange man
nicht fid)er ift, daß an ihre Stelle mindeftens etwas ebenfo Gutes, wenn nicht Befferes
in äßhetifcher Binficht gefeßt wird. So bleiben die Programmforderungen der Ameri-
kanerin Mrs. Richards: das Leben im modernen Beim, daß durch keine Traditionen
der Vergangenheit belaftet ift — größte Einfachheit in der materiellen d. h- äußeren
Umgebung — und ähnliches bloße Forderungen, die nicht von der gleichen Beweiskraft
wie die praktifd)en Forderungen getragen find. Man muß troß aller bisherigen künft-
lerifchen Verfuche auf die örfprünge der heutigen Wohnungseinrichtung zurückgehen,
welche die Maffenerfcheinung der heutigen Wohnung hervorgerufen haben. Der ge-
fchmackvolle Einzelfall bleibt eben nur ein folcher und in feiner Wirkung auf einen
[ehr geringen Aktionsradius befchränkt. Abb. 2 ift ein Idealbild vom Jahre 1883 und
in dem betreffenden Buche („Die Erfindungen der neueften 3eitu) von den Worten
größter Begeiferung und ehrlichfter Überzeugung begleitet worden. Es wird auf Gott-
fried Semper hingewiefen und feine Beftrebungen, der Induftrie einen Plaß innerhalb
der Kultur zu geben und fie mit der Kunft zu verbinden. Die Folge war der große
Stolz darauf, daß man nun alles, was bisher mühfam mit der Band hergeftellt wurde,
mit der Mafd)ine und in Maffen fabrizieren kann, erfchwinglid) aud) für den kleinen
Mann. Die Folgen, die fid) bis heute faft unverändert in den Wohnungen auswirken,
find bekannt; wichtig ift aber, daß das Problem fd)on vor über einem halben Jahr-
hundert in der Mafd)ine und der Induftrie lag, ebenfo wie es für uns heute ebenfalls
darin liegt, jedoch unter völlig veränderten Vorzeichen. Graf Kayferling fiel)t die Mög-
lichkeit einer neuen Kultur darin, daß die Technik eines Tages nichts befonders Inter-
effantes oder Wunderbares mehr ift, fondern in ihrem weiteren Fortfcßreiten zu einer
vollkommenen Selbftverftändlid)keit wird, in der man lebt und die man dann durch
das Einbeziehen in die Geftaltung felbft erhöht und überwindet. Um 1860 war es ein
ergreifendes Wunder, daß die Mafcßine „alles machen“ kann, heute ift das fcßon eine
alltägliche Banalität. Deshalb wird aud) die äfthetifdje Veränderung der Wohnung und
die völlige Barmonie aller ihrer Eigenfd)aften Beweiskraft erhalten, wie ich es
in meinem Buche für jeden verftändlid) ausgeführt zu haben.
Der praktifchen Aufräumung der Wohnung muß die geiftige vorausgehen. Sie er-
hält eine für die heutigen Menfchen nod) unentbehrliche Stüße in der hiftorifd)en Rück-
fchau. Es zeigt fid), daß vor 1850 etwa die feitdem aufgekommene Überladung der
Wohnräume, die gleichbedeutend ift mit der Überlaftung der Bausfrau, vollkommen
unbekannt war. (Abb. 3—5 als wenige herausgegriffene Beifpiele.) Abb. 5 deutet
die [ehr vorfid)tige Verwendung von Bildern bei den Japanern an in engfter Ver-
bundenheit mit der kultifchen Überlieferung. Eindringlicher wird die Frage bei einem
uns näher liegenden Kulturkreis, der italienifd)en Renaiffance.
Im mohammedanifchen Orient ift die Bilddarfteliung verboten; deshalb taucht die Frage des
Bildes dort gar nicht auf. Bier aber kann fie mit Recht aufgeworfen werden, da die italienifcße
Renaiffancekunft überreich an bildhaften Darftellungen in der Plaftik und Malerei war. Die Ant-
wort gibt Abb. 6. Derart war am Anfang der Renaiffancezeit das einzige Bild im ttlohnzimmer.
Die Mutter Gottes als großes umfaffendes Symbol (Erde und aufgehende Sonne) genügte dem

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