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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 16.1924

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Kellner, Otto: Rudolph Czapek
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https://doi.org/10.11588/diglit.41564#0772

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des Dafeins zu geben. Die Erdbewohner werden hier als nichtige, um die Äd)[e des
Selbft kreifende Menfcßeninfekten begriffen, ein enger Individualismus, ein befchränkter
Nationalismus und die Überbetonung eines realiftifcß gerichteten Fachwiffens als Haupt-
mängel der weißen Raffe insbefondere aufgezeigt. Als Leitfterne wahren Europäertums
und einer würdigen Lebenshaltung überhaupt werden demgegenüber aufgeftellt die
Ideen des ewigen Friedens, eines gemeinfamen Erdhaushaltes, eines Reiches der Ver-
nunft fchon auf diefer Hielt. Die Krifis der abendländifchen Kultur wird erkannt als
eine geiftige 3ufd)ärfung zwifcßen einer mondän-imperialiftifchen und einer univerfalen
heroifchen Kulturidee; dem zerreibenden kapitaliftifcßen Hlirtfchaftsfyftem der Gegenwart
wird entgegengeftellt die Idee des Kollektivismus, eines Reiches der Ordnung, darin
dem geiftig Schaffenden der Cßron gebührt und deffen Leitziel vernünftige Befchrän-
kung heißt-
In Kunft und Religion, in der Hlefensßhau des Künftlers, im Gotteserlebnis des re-
ligiöfen Menfcßen, lehrt Czapek, pnd die beiden Mächte zu fehen, auf denen fiel) die
geiftige Syntßeßs aufbaut, während eine bloße Verftandestätigkeit in den Grenzen der
Analyfe befangen bleibt und der Urfprünglichkeit ermangelt. Die gemeinfame, jedem
Erdbürger geftellte Aufgabe aber fei diefe: in unfer unergründetes innerliches HIefen
felbft einzugehen, immer wieder an jene feine goldene Saite, an das eigene überper-
fönliche Leben zu rühren und auszuharren als die treu ergebenen Untertanen der Gott-
heit vor den tief geheimnisvollen kryftallenen hohen Pforten des Hirnmeis, bis der
Augenblick gekommen ift, in dem das erlöfchende niedere Ich P<h zu einem höheren,
dem geiftigen Dafein erlöft.
So fteht im Mittelpunkt diefes Uleltbildes das Erlebnis des Geiftes, fteht der Kosmos
der Vernunft wider das Chaos aller Unvernunft, und auch die Künfte find „gleichfam
nicht von diefer Hielt“, fondern „der bleibend allgemeine Sinn aller Kunft befteht darin,
die Derrfcßaft höherer Hlirklichkeiten durch die befonderen Mittel der einzelnen Kunft-
arten zur Darftellung zu bringen“. — Oder, wie es Czapek an anderer Stelle formu-
liert hat: „Als Künfte im eigentlichen und vornehmen Sinne des Hlortes können, ftrenge
gefehen, nur fold)e bezeichnet werden, die jener oberften geiftigen Schicht entftammen,
in der die Umdeutung der Sinnenwelt im Hinblick auf die Reiche höherer Hlirklich-
keiten vollzogen wird. Alle übrigen Stufen des fogenannten künftlerifcßen Ausdrucks,
die jene obere geiftige Region nicht mehr erreichen oder fiel) gar an die Sinnenreize
der realiftifcßen Schicht verloren, können nicht mehr bedeuten als höchftens bemerkens-
werte geiftige Vorftufen, oder aber finnlich, gedanklich, handwerklich gebundene Ab-
wege an den Ricßtwegen zum eigentlichen Kunftkönnen.“ So fteht die feftliche Kunft
des Nur-Dekorativen, der bloßen Augenweide der feierlid) verklärenden, aus echter
Geiftigkeit erwachfenen Kunft als ein Abweg entgegen, weil pe „verewigt“, was die
Verewigung in Linie und Farbe nicht verträgt.
Hier infolge einer befdjränkt abendländifchen Kunfterziehung einfeitig auf den Rea-
lismus des perikleifchen 3eitalters und die HIerke der italienifchen Hochrenaiffance ein-
geftellt ift, wird diefe Ausführungen Czapeks nicht begreifen. Und doch ift Czapek im
Recht, wenn er in feiner zweiten maltheoretifchen Schrift „Farbenwelt und Bildaufbau“
nachdrücklich darauf hinweift, daß durch ausgebildete Fertigkeiten des neuzeitlichen
Bauzeichnens ein beirrendes Element in die abendländifcße Bildkunft hineingetragen
wurde und geometrifche Einheitlichkeit des Bildraums ganz einfeitig höher bewertet
wird als eine geiftige Gefamtwirkung des Bildes felbft. In Hlirklidhkeit ift die auf un-
befchränkter HIeltgläubigkeit beruhende realiftifch-naturaliftifche Stilftufe nur eine Stufe
unter mehreren, wie das von Czapek ftatuierte Gefeö des Stilwandels des näheren
aufzeigt.
Czapek unterfcpeidet in feiner Farbenlehre fed)s Stufen der Kunft, in welche pcp
fämtliche Stile der Erde finnvoll einreihen laffen. Stufe I trägt das Kennwort „Natur-
ftand“ und umfaßt die primitiven HIald- und Steppenftämme, die unter Furcht und

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