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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 16.1924

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Grohmann, Will; Kandinsky, Wassily [Gefeierte Pers.]: Wassily Kandinsky
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https://doi.org/10.11588/diglit.41564#0920

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wenn auch die Neigung, das Künftlerifcß'Scßöpferifche mit Äbftraktem zu vereinen,
eine ruffifeße Eigenfcßaft i[t (Doftojewfky). In [einer Leiftung den Gegenpol zu der
Picaffos zu feßen, die Unform des Ruffen der Form des Franzofen gegenüberzuftellen,
geht feßon gar nid)t an, zumal Kandinfky auf diefem Ulege nad) zehnjähriger Arbeit
zum Konftruktivismus kommt, der entfeßieden mehr für als gegen die Richtigkeit feines
künftlerifchen Glaubens beweift. In der erften Fjilflofigkeit rettet man [ich gern in das
Gebiet der Äffoziationen, und es lag nahe, vor Kandinfkys Farbenwundern von Mufik
zu fprechen, zumal er felbft feine Bilder als Improvifation und Kompofition bezeichnet
und als Cßeoretiker mit mufikalifchen Analogien arbeitet. Fraglos ift die Verwendung
mufikalifcher Ausdrücke nicht entfeheidend, auch nicht die Catfache, daß Kandinfky von
der größeren Unzulänglichkeit der Verftändigung in Dingen der bildenden Kunft fprießt
gegenüber der in mufikalifchen. Immerhin ift er Maler und nur die Überlegenheit der
mufikalifcßen Formenlehre läßt alle anderen Gebiete, heute auch den Ganz, dort An-
leihen machen, um Dinge auszudrücken, die mit Bänden oder dem Verftand nicht zu
faffen find. Die Mußk ift in der Analyfe geiftig-gefüßlsmäßiger Mitteilungen allen
anderen Künften weit überlegen, die fehlende Dinglichkeit zwang von Anfang an dazu,
eine allgemeine Eßeorie auf Grund der vorhandenen inhaltlich-formalen Catfacßen auf-
zubauen, die zwar vielen verfcßloffen ift, aber nur deshalb, weil die Mufik in weit
geringerem Maße als Dichtung und bildende Kunft in den Kreis unferer Bildung ein-
bezogen wird. Von der mufikalifcßen Cßeorie ßat die Uliffenfcßaft der anderen Künfte
viel zu lernen, fie zu übertragen aber wäre finnlos, weil das (Hefen des Schaffens und
feine Bedingungen in allen Künften grundverfeßieden find, auch wo es fieß um die
Äußerung desfelben Gefühls handelt. Eßrlicßer und förderlicher für die Aufklärung
des Catbeftandes ift ein ignoramus als ein Ausweichen und Umgehen. Jeder (Heg der
Kunftbetracßtung ßat ins 3entrum zu füßren und dort ßaltzumacßen, wo die Unficßerßeit
fo groß wird, daß jeder oder kein Uleg möglich erfeßeint. Kandinfky felbft ßat in
Büchern und Auffätjen eine Formenlehre der bildenden Kunft zu entwickeln verfueßt,
die Band und Fuß ßat, nicht in dem Sinne, daß er eine prinzipielle Löfung erftrebte,
jeder Künftler ßat von jicß aus die Frage neu zu [teilen und eine Formfrage im Prinzip
gibt es nach Kandinfky überhaupt nicht. Er nimmt nur für ßcß das Problem auf und
ift [ich völlig klar darüber, daß zwar gewiffe Grundfä^e über den 3ufammenßang von
Geift und Form, von Farbe und Umriß exiftieren, daß fie aber weder für ißn noeß für
andere eine hinreichende Grundlage der Kunft fein können. Es kommt ißm in feinen
Scßriften nur darauf an, Mißverftändniffen zu begegnen, eine Anweifung zum richtigen
Sehen feiner Bilder zu geben, Es ßat auch in früheren 3eiten Künftler gegeben, die
diefen Ulunfcß hatten, und es wäre voreilig, feßon daraus auf die Befcßaffenßeit des
Betreffenden zu fcßließen. Grundlegend find: „Über das Geiftige in der Kunft“ 1912;
„Der Blaue Reiter“ 1912 (Über die Formfrage); „Autobiographie“ 1913; „Expreffio-
nismus Kunftwende“ 1918 (Malerei als reine Kunft); „Baußausbucß“ 1923 (zwei Bei-
träge). Um diefe Auffä^e kommt niemand herum, der [ich ernftßaft und gutwillig mit
Kandinfky befcßäftigt. Der Grundgedanke, ßerausgefcßält aus den reichen pßilofopßifcßen
und foziologifcßen Ideen, in die er eingebettet liegt, ift folgender: Das Primäre ift die
„Emotion“ der Seele des Künftlers (zeitlich-fubjektiv), in die die fortfeßreitende Äuße-
rung des Ewigen, Objektiven hineinklingt. Die Bafis des Schaffens ift rein geiftig.
Durcß Vermittlung des Gefühls kann diefe „Emotion“ in der Seele des Befcßauers
eine entfpreeßende Bewegung ßervorrufen. Das Gefüßl ift die Brücke vom Unmate-
riellen (Geift) zum Materiellen (Form) beim Künftler, vom Materiellen zum Unmateriellen
beim Betrachter; alfo Emotion — Gefüßl — Ulerk — Gefüßl — Emotion. Der zunäcßft
abftrakt lebende Inhalt wird erft zum Herk, indem ein zweites Element, die materielle
Form, der Verkörperung dient. Die Haßl der Form ift durcß die innere Notwendig-
keit beftimmt, die das einzige unveränderliche Gefetj der Kunft ift. Ein vollkommenes
Herk ift eine gefeßmäßige Verbindung der inneren und der äußeren Elemente, es

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