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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 16.1924

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Wolfradt, Willi: Graphik von Charles Crodel
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https://doi.org/10.11588/diglit.41564#0953

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Seine Graphik hat mcßt ganz die lofe, irregulär ausfäende Verteilung der Einzel-
dinge über die Fläche, nicht die gewiffe Unbekümmertheit wie feine Malerei, fondern ift
durchwegs Form. Aber freilich kennt fle kein ftracks gefcßientes Änordnen, fondern fefet
die Geile in eine meßr vegetative Verbindung zueinander; fie ift nirgends dezidiert, fondern
allgemein, mcßt von eindeutiger Klärung, fondern finnvoll Verfehlungen und gleicßfam
in einem heimlichen Strudeln und Glucßern begriffen. Die Schwingung der Umriffe, ißr
Verhalten im Gefamtbilde ift wie der Klang eines Namens in einem Sprichwort oder
in einer kurzen Fabel, von einer unbetonten, felbftverftändlicßen, nicht ganz eindeutigen
Gültigkeit, leife orakelnd, oßne doch kompliziert zu werden. Bei Franz Marc ift die
Figur noch mehr ins Inbegriffliche redigiert, gleichnishaft definiert; Marc ift ganz deut-
lich — als Einer, der auf Bedeutung ausgeht. Crodel fteht mehr unter dem Einfluß
E. L. Kirchners und beläßt gleich ihm das Leben in einer gewiffen fließenden, undurchdring-
lichen, nicht ganz wachen 3uftändlichkeit. In der frühen Graphik Crodels (bis etwa 1921)
gibt das Hölzerne der ümriffe, eine wunderliche Eckigkeit der Bewegungen, ein fläcßen-
haftes Schachteln der Figuren den Äusfchlag; Schwerfälligkeit ift geiftreieß zugefpitjt,
die fdjwarz zugedruckte Fläche oft von fparrigen Schaffen zerkämmt. Die lebten Jahre
erbrachten Crodel eine immer gelöftere, rundere, obfcßon nid)t geradzu offene Haltung
der Form. Die Lithographie, und zwar die farbige, verdrängt den Holzfcßnitt aus der
führenden Stellung in feinem Schaffen. Kreiden von fd)öner Befonderheit des Eons
und farbig delikater Äbftimmung umfehreiben in kräftig-leichtem Schwung die Giergeftalt,
faffen fie aus ihrer fpezififchen Kurve groß auf, ohne fie andrerfeits der anmutigen Uri-
beholfenheit ihres Vorficßhinlebens zu entkleiden. Vorhergehend bleibt der Eon einer
halbbewußten Melancholie des Äfens und des fd)weigfamen Beieinanders. So lagern
monologifch und in ihrer Äffektlofigkeit bewegend ein paar Kamele beifammen, feßreiten
Puten ftolz zwifchen den Stämmen hm und aneinander vorbei, lagern flch die See-
hunde. An der Hand eines Mannes läuft ein nackter Knabe durch den Eiinterwald,
Kinder in weißen Anzügen marfeßieren fröhlich an einem Raufen watfcßliger Enten
vorüber, zwifchen Apfelbäumen fpaziert ein Haßn herum: — es ift fo, das ift der Rhyth-
mus der Schöpfung, das ift ißre Unerlöftßeit, ißr perpetuierlicßer Pendelfcßlag, ißre un-
begreiflich feßöne Einfalt. Aus der blauenden Nacht des feßwedifeßen Elaldes feßim-
mern als helle ungefähre Flecke ein paar Rinder, — es kreift und gleitet wunderfam um
diefe leuchtenden, träumendenEiere.

Unverfeßens beginnt ein Märchen.
Aber es ift nicht provoziert und
wird nießt proklamiert. Eine alte,
ewige Mufik ftimmt fieß an. Und
ebenfo, wenn ein Burfcß einen Pfad
entlang kommt, nun eben irgend-
einen fcßmalen Eieg, den er fo
ßalb gleichgültig, halb nachdenk-
lich verfolgt, wie wir es hundert-
mal getan haben—: dann hebt die
Melodie an, die der immerwährende
Fortgang der Dinge ift. Crodel folgt
diefer Eleife wie gebannt, oßne ficß
von ißr verftören zu laffen. Heiter-
keit und Ernft hadern hier nießt
miteinander, Leichtigkeit nießt mit
befinnlicßer Gemeffenßeit. Sondern
wie es fid) verbindet und zum
Selben wird, das gerade trifft den
Grundton aller Natur.


«•7-u.

Charles Crodel. Federzeichnung.

921
 
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