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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 16.1924

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Die Zeit und der Markt
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https://doi.org/10.11588/diglit.41564#0966

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Ausheilungen

ßeben den bildmäßig felbftändigeren Entwürfen
nicßt nach an lebendigem Gepalt und rafcper
Bündigkeit. Liebermann bat einen Stil markanter
Andeutung ausgebildet, der aus anfangs ziemlich
realiftifcp gebundener Energie (und noch recßt
ausführlicher Diktion) entwäcbft in eine immer
freizügigere Erkübnung des Striches, ohne eben
mehr zu ändern als das grapbifcbe Cempera-
ment und ohne je mit einem fpäten Blatt die
Klerte der frühen im mindeften zu dementieren.
Das durch Drücker akzentuierte, ausfcpattierende
Eingrenzen der Erfcpeinung, das Interieurifche
der 3eicbenweife wird erfcbloffen durch die fid)
ftraffeude Eigenbewegung ausgreifender Linien.
Der Ausdruck geht immer mehr auf Kleite. Eine
wundervolle Dünenlandfchaft vom Jahre 1890 ift
eine zarte Bettung leichter und kräftiger pinge-
riebener Conflecken, — zwanzig Jahre fpäter
holen einige flache, karge Kurven aus dem Kleiß
die kahle Dehnung des Bodens, den windigen
Raum, die Einfamkeit eines Kleges durch den
Sand heraus. Alle großen Ehernen Liebermanns
melden pcp aus diefen Blättern, Altmännerheim
und Neßflidcerinnen, Biergärten und polländifcpe
Gaffen, Reiter und Kinder, öüie fehr doch Lieber-
manns Klerk unfer Bepßtum ift, erfährt man,
indem einem faft jeder flüchtig fkizzierte Geftus
das Bild auslöft, in dem er leßte Geftalt ge-
wann. Qnd daß dies Bepßtum lebendig ift wie
nur irgendeine jüngjte Errungenfcpaft, deffen
wird man vollends vor diefen in keinem 3ug
entkräfteten oder abgeftanden wirkenden Blät-
tern gewahr, die vom erften bis zum lebten
durch die Unmittelbarkeit des Stiftes oder der
Kreide die der Anfcpauung im gefarnten Schaffen
Liebermanns verdoppelt zu Bewußtfein bringen. —
Seit den Sezeffionsausftellungen vor dem
Kriege, auf denen feine halbbekleideten, palb-
ßüggen Mädchen niemals gefehlt haben, ift uns
der Balkan -Parifer Julius Pascin aus den
Augen gekommen, entfcbwunden nach Amerika,
nach Kleßindien. Als pcb das Blut verlaufen
hatte, kehrte er nach Paris zurück, und jeßt,
nachdem fid) fünf weitere Jahre verlaufen haben,
ßnden, dank Flecptheim, jene weicbgliedrigen,
läffigen Gefcpöpfe auch wieder zu uns. Es pnd
zumeift die gleichen anmutigträgen, tiercpen-
bafteri, finnlicb blinzelnden Kiefen noch, die-
felben gefcpmiegig-indolenten Körper in kurzen
Fjemdcpen, diefelben letpargifcp-frivolen Sünden-
kinder. Aber noch deliziöfer und leichter ge-
malt als ehedem, in aquarellhaft blaßfeidigen
Farben, die den Grund ebenfo unzureichend
decken wie jene lockeren IJängercpen dje faui
lächelnde, rofa gähnende Baut. Der Stil Pas-
cins ift nod) über die genüßliche Scpwerlofig-
keit der früheren Bilder pinausgedieperi zu einer
transparenten, ätberifcben 3artbeit, in der pd)
jedod) die Subftanz nicht verßüd)tigt, fondern
in lasziver Ruhe tändelnden Fleifcbes erotifd)
manifeftiert, um fogar zur füßen ünflätigkeit

vibrierender Korpulenz zu erfcbwellen. Die
Körper haben ein Schillern und ßießendes Sicp-
bauchen gleich Seifenblafen, — ironiphes Amüfe-
ment durd)tränkt Liebkofungen eines zärtlich
tufcbenden Pinfels. Aber das Groteske ift nid)t
forciert, es überwältigt nicht die fad)te Poepe
desPafpven, die als Flair derUnfcpuld über den
Mädchen Pascins, vollends über einem kranken
Kinde, einer Müden liegt. Jenfeits von Senti-
mentalität und 3ynismus und doch auch nicht
aufgehend im malerifd)en Nuancieren weiß diefer
überlegene Künßler zu rühren, indem er ergoßt.
Nur Banaufen können ihn gemein pnden, — der
fo zart ift. Der Umfang feiner koloriftifcßen
Skala entfpricht dem koketten Phlegma der
Attitüden wie der feinen Apathie der Exipenzen:
ein Verfcbmelzen von mattlila, pßrßcbfarbenen,
gelbgrauen Cönen, die jedoch nicht ins Ver-
wafcpene entgleiten und zuweilen leuchtend pd)
verdichten. Pascins Kleftößlicbkeit zeigt pd)
überdies eigentümlich disponiert, die Siefta-
atmofpbäre kubanifcper Parks, das groteske Be-
wegungsproßl der Neger zu fkizzieren; und malt
er die Legende vom verlorenen Sohn, fo wirds
ein üppiges Gefchwabbel von Qalbakten in vielen
Pofen breithüftiger Läfpgkeit. Pascin ift der
fpöttifcp-lyrißhe Maler aromatifcber Saumfelig-
keiten. —
Klaldemar Eckerß bleibt in feinen (im
„Sturm“ gezeigten) fepr auf Rhythmik ange-
legten Landfd)aft.sviponen und Abßraktionen
reichlich proviforifd). Die Rhythmik iß ebenfo
unprägnant wie ornamental, Vipon ift oft bloße
Summation von Stid)worten, — wenn etwa
Augen zwifcpen Strahlenbündel gleicbfatn pin-
geftempelt oder aus Rädern, Männchen, Scporn-
fteinen, Cransmifponen, Fenftern ufw. falatartige
Verzeicpniße zufammengeftoppelt werden, die
dann wähnen, den Komplex „Indußrie“ zu er-
faßen. Die Abßraktionen werden mitunter zu
furiofen Vorfaßpapieren. Dagegen fällt das Farb-
liche durch feinen Klohlklang nicht feiten auf,
zumal in den tecpnifch eigenartigen, weid) leuch-
tenden Aquarellen auf Stoßgrund. Nur wirkt
es nicht von fid) aus zur Form, zu einer den
Schlamaßel difziplinierenden Struktur. Eckei ß
ßreift die Art von Klee, auch an Kirchner iß
man gemahnt. Aber mangels wirklicher Form-
phantape wird die Ähnlichkeit zur Diftanzierung.
Paul Fuhrmanns prätentiöfe Kompoptionen
(„Codzwang“, „Raumfern“ ufw.) erledigen pd)
durch ihre platte und fcprille Überdeutlicpkeit,
durch eine laute und völlig geheimnislofe Plaka-
tierung von Fledermäufen, vergraußen Kaßen
und dekorativen Dynamismen mit gröblich ta-
petenhaftem Eßekt. —
Klie die meißen neueren Ößerreid)er iß aud)
Anton Faiftauer bei aller qualipzierten Ma-
lerei ein ausgefprocpener Eklektiker, der etwa
das künplerifcpe Mittel zwifcpen Cezanne und
Bodler fud)t, aber beider tiefere Intention durcp-

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