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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 16.1924

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Freund, Frank E. Washburn: Joseph Stella
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https://doi.org/10.11588/diglit.41564#0997

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Jofepl) Stella

Von FRANK E. WASHBURN FREUND
Mit acht Abbildungen auf vier Tafeln

er kann New York [cpiMern? Wer [ein eigentliches Sein [o zur Darftellung


bringen, daß der Befdßauer fühlt: dies ift die Stadt, in der [id) aus wildeftem

▼ » Durcheinander phypFcßer und pTychifcher Faktoren das, was wir moderne 31"
vilifation nennen, [ozufagen in „Reinkultur“ und bis zur äußerften Stufe (von „Fjöhe“
zu reden, wäre nach allem, was diefe „moderne 3ivilifation“ hervorgerufen hat, ver-
meffen!) entwickelt hat, und in der vielleicht — vielleicht! — einmal nach noch fchwerften
Kämpfen und Krämpfen eine neue Kultur auferftehen wird, falls es gelingen follte,
der äußeren Kräfte durch innere Fjerr zu werden, was aber erft gefdßehen kann, wenn
man mindeftens den Anfang damit gemacht hat, [ich [elber kennenzulernen und dann
[ich [elber zu beherr[chen.
Wer kann das tun? Ein Einheimi[cher kaum, ihm fehlte das Moment des Wun-
derns, das Moment des Stellungnehmens, er würde Einzelheiten [eben, den Wald nicht
vor den Bäumen. Ein Fremder aber, ein eben 3ugerei[ter, würde wiederum, je nach
[einer Eigenart, zu [ehr Partei nehmen, darum im einen oder anderen Sinne Polemik
bieten, und der Kern — denn von Seele kann ja leider noch kaum eine Rede [ein! —
bliebe unberührt, und damit für den Befdjauer verborgen.
Jofeph Stella aber, der es vor einem Jahre unternahm, in einer Serie von fünf
gewaltigen Cafeln — einer Art moderner Altargemälde — New York darzuftellen,
war der rechte Mann dazu, denn in ihm fließt zwar fremdes Blut, aber [eit etwa
25 Jahren lebt er meift in diejer Körper und Gei[t in Bann fdßlagenden Stadt, kämpft
mit ihr, liebt fie, haßt [ie, läßt pd) von ihr tragen und gibt [ich ihr doch nie ganz hin,
bewahrt [ich vielmehr ein heimliches, [tilles Sanctum, in dem dann und wann Stimmen
der fernen, [d)önen Fjeimat — des forglofen, von der Sonne Fjomers befchienenen
Süditalien — ertönen, wie [üße Blumen [prießen und glückliche Vögel in jubelnden
Gefang ausbrechen.
Stella [elber [chreibt mir über [eine große New Yorker Serie: „Mit ißr wollte ich
weder eine Verurteilung aus[prechen, noch eine Lobeshymne an[timmen, noch auch,
wie ein üourift, eine Anekdote erzählen.
Für mich iß New York wie eine Etikette, die alle neuen Elemente der modernen
3ivili[ation ankündigt, die Elemente, auf denen die neue Ausdrucksweife meiner
Kunft bafiert. Ich habe nur die typifchften und zugleich bedeutfamften Faktoren —
[ozufagen die Springenden Punkte* — wie die Wolkenkratzer, die .Lidüftraßen* (vor
allem den des Abends in einem kalten elektrifchen Lichtwirbel funkelnden Broadway),
die Brooklyner Brücke und den Fjafen, den Mittelpunkt des ganzen äußeren Welt-
getriebes, ausgewählt. Und um diefe in die Sprache der Kunft zu übertragen, habe
ich die 3eit gewählt, in der [ie alle wie in dichterifcher Verklärung erfcßeinen, nämlich
die Nachtzeit, die ihr Myfterium über [ie ausgießt. Freilich habe ich mit Vorbedacht,
um den wahren Eindruck diefer phantaftifchen Wirklichkeit hervorzurufen, diefes My-
fterium vielfach and mit brüskem Nachdruck durch die harte, durchdringende Diffonanz
vielfarbiger elektrifcher Lichtftral)len und -bündel [charf unterbrochen. Die Wiederholung
der Vertikalen als ein .Leitmotiv* [oll als ein Symbol wirken für den neuen Kampf
der heutigen Menfchheit, die unerforfchten Fjöhen zu erreichen. Was aber die farbige
Verlebendigung anbetrifft, [o lag mir vor allem daran, das Metallifcße, das .Stahlige*
der ganzen Erfdjeinung einzufangen und wiederzugeben, denn mir kommt New York
vor wie ein ungeheures, von barbarifchen 3yklopen aufgerichtetes Gitter, das in [tetem
Vibrieren von Licht- und Schallwellen die tief[te Nacht durchftößt. Diefe Lichter haben
nichts gemein mit denen, die in den unfterblicFjen Meifterwerken der Vergangenheit
leuchten. Nein, es find Lichter ohne innere Logik, voller Launen, zart und hart zu-

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