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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 16.1924

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Freund, Frank E. Washburn: Joseph Stella
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https://doi.org/10.11588/diglit.41564#1003

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und um Pittsburgh, der Stadt des Rauches und ewiger Nacht und tofender Mafd)inen,
abkonterfeite. Mehr als hundert diefer Ärbeiten wurden dann öffentlich ausgeftellt und
Stellas Name wurde nun erftmals in der Öffentlichkeit bekannt. Es folgten fodann
ähnliche Ärbeiten für andere Journale, die ihn oft zu den fchrecklichften Stätten menfd)-
liehen Elends und Verbrechens führten, wie hinaus auf die „Sd)ädelftätte“, der grau-
figen Infel, auf der die Namenlofen faft wie Hunde verfdrjarrt werden. Sein Fjerz
fchmerzte ihn, fein Äuge aber lernte und feine Fjand. Doch er fühlte innere Not, und
fo machte er fiel) eines Cages auf und zog in die Fjeimat zurück, wo er zwei Jahre
lang die alten großen Meifter feines Volkes ftudierte, mit heißcm Bemühen, namentlich
die Venezianer und ihre Klänge vorzaubernden Farben. Dann gings nach Paris, wo
Matiffe \)en]d)te und ihm zum Änreger wurde, Neues auf neue Ärt zu fagen. Es
fetzte der Kampf in ihm felber ein, aus erwachenden Vifionen heraus, der Kampf um
eine neue Lebensanfdjauung, die fiel) logifd) äußerlich in neuen Formen betätigen und
ausdrücken mußte. Ein Inftinkt, ein Kliffen um fiel) felber führte ihn in diefer inneren
Krife nach New York zurück, wo diefe neuen Formen fid) am deutlicpften im Leben
felber kundtaten, und wo man deshalb hätte meinen Jollen, daß die Brut- und Ge-
burtsftätte der neuen Kunft hätte fein müffen, wenn man nicht eben dort Kunft ftatt
mit Leben mit Luxus und leichter Erholung zufammenkoppelte, und in der Kunft
Flucht vor dem Leben fud)te! Äber 1913 drang doch die erfte Klelle diefer neuen Kunft
über den Ozean und tat fiel) in der (für New York) berühmt-berüchtigten großen Är-
moryfehau kund. Stella war mit ein paar Gemälden auf ihr vertreten, und fodann
mit dem genannten „Coney Island“ auf der ein Jahr fpäteren Äusftellung moderner
amerikanifcher Klerke bei Montroß. Es war fein erfter weitreichender Erfolg als Ver-
treter der Moderne, und von nun an ftand er in der Vorderreihe des Creffens und
hat fid) wacker herumgefd)lagen, um der neuen Kunft und fiel) felber Anerkennung in
Amerika zu erfechten. In der erften Seit ftand ihm der die ganze neues Leben und
Bewegung erzeugende Richtung mit Liebe, Verftändnis und einer gehörigen Portion
Mut unterftütjende und verteidigende Kunfthändler Stephan Bourgeois zur Seite,
bei dem er u. a. feinen „Baum meines Lebens“ ausftellie.
Seitdem vor einigen Jahren Miß Catherine Dreier1, die eifrige Verfechterin und
Sammlerin der modernen Kunft in Amerika, ihre Societe Anonyme gegründet \)aXte,
die für die Modernen aller Länder eine Sammelftelle bilden und ein „Mufeum für
moderne Kunft“ vorbereiten foll, hat Stella meiftens in den Räumen diefer Societe aus-
geftellt, die auch jetjt eine umfaffende Vorführung feines Oeuvre plant. Miß Dreier
befitjt einige der bedeutendften feiner (Ilerke, wie die Brooklyner Brücke ufw., und der
Künftler hat in fchönen Klorten des Dankes anerkannt, daß er ohne ihr verftändnis-
volles und zugleich tatkräftiges Intereffe den wahrlich nicht leichten Kampf bisher kaum
erfolgreich hätte durchführen können. Einem Marine und Künftler aber von den reichen
inneren Hilfsmitteln, dem Mut und Selbftvertrauen, die Stella auszeichnen, kann es
lebten Endes nicht fel)lgehen- Nicht umfonft ift fein Name Stella, ein Stern leuchtet
ihm vor, und er wird ihm folgen.
1 Miß Dreier hat vor kurzem ein reich illuftriertes Buch bei Brentano, New York, als Einfüh-
rung in die moderne Kunftbewegung, betitelt „Cüestern Ärt and the New Era“ erfeßeinen laffen,
in dem fie mit dem ihr eigenen Enthusiasmus und feßöner Überzeugungstreue für ihr Credo und
das ihrer Künftler (zu denen auch viele der neuen Deutfchen gehören) eintritt, wobei fie fich
gleichfam als befte Fjüfstruppen die Kunftgroßen aller 3eiten und Länder herbeiruft; denn um
die ftete Lebendigkeit der Kunft geht es, die Form und Äusdrucksweife wecbfeln ftändig und
müffen es tun, gerade um das Leben, das fid) ewig erneuern will, zu erhalten.

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