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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 16.1924

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Basler, Adolphe: Henri Matisse
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https://doi.org/10.11588/diglit.41564#1033

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genri Matiffe

Von ADOLPHE BASLER j Mit
zehn Abbildungen auf fünf Tafeln

Der kurze 3eitabfd)nitt von 1906—1910 gilt in der Entwicklung der modernen
franzöfifcßen Malerei als einer der unrutjigften und lebhafteren. Die impreffio-
niftifd)en Meifter Ratten fd)on ißre Cüeilje empfangen, und die erfahrenen Kunft-
liebhaber ftritten fiel) über ihre (Herke, aber wie feiten waren zu jener 3^it noch die-
jenigen unter der Künftlerjugend, die es wagten, den Lehren zu folgen, die man aus
den Werken eines Cezanne oder Renoir ableitete. Das neue, von Manet und Claude
Monet verkündete Evangelium der Malerei bewirkte, daß Neugierige deren Gemälde
in der Galerie Durand-Ruel auffud)ten, während ein kleiner auserlefener Kreis es wagte,
bei Vollard die Cezannes anzufehen, die meiftens ungerahmt an der (Hand lehnten.
Diefe Befucher waren meift Schüler von Guftave Moreau oder Lefer der „Revue
Blanche“, die eine hervorragende Rolle in der Entwicklung der Literatur und Kunft
gefpielt hat. Die von den Brüdern Nathanfon unter Mitwirkung von Felix Feneon ge-
gründete „Revue Blanche“ lenkte am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahr-
hunderts die Äufmerkfamkeit auf die originellften Ealente. Ihre Redaktion beurteilte
die erften Kundgebungen von jungen Künftlern, die fid) den impreffioniftifchen Meiftern
näherten, die die akademifchen Vorfchriften bekämpften: Vuillard, Rouffel und vor
allem Bonnard, der Freund von Eouloufe-Lautrec, wandten ein impreffioniftifches, de-
koratives Äuffe^en der Farbe an, das, reizvoll durch Einfachheit und Intimität, bei den
Anhängern der Vorkämpfer [ehr beliebt wurde.
Maurice Denis feinerfeits machte durch feine Schriften in der Revue „L’Occident“
Cezanne, Gauguin und die Schule von Pont-Avon bekannt, deren einziger intereffanter
Überlebender, Filiger, in einem (Hinkel der Bretagne zurückgezogen lebt. Die von
großer Kenntnis zeugenden Artikel von Maurice Denis erleichterten bedeutend das Ver-
ftändnis für diefe Kunft, die die offizielle Kritik bis dahin geringfehä^te.
Aber die Lebensfähigkeit einer Kunft zeigt fid) nur in der Bewunderung, die fie
in der Seele der jüngeren Generationen hervorruft. Nun ging aber diefe Begeifterung
der Jungen, die noch wichtiger war als die Bewunderung der Kunftliebhaber, von dem
Atelier Guftave Moreaus aus. Diefer Meifter, ein Liebhaber der Renaiffance, — der
ein ganzes Mufeum mit Darftellungen von Leda und Salome ausftafßerte, der fein ganzes
Leben lang die Sagen und Mythen der Menfchheit malte und eine Art Leconte de
Lisle für die Kunft wurde, der kein Malgenie war, doch den Stil eines feinen
Juweliers befaß, — war trofedem ein idealer Führer für die Schüler der Ecole des
Beaux-Arts. Nur in feinem Atelier befprach man den Impreffionismus, Cezanne, Gau-
guin, van Gogh. Einer der Schüler Guftave Moreaus, Linaret, der Vorläufer der ganzen
modernen Bewegung, brachte um 1900 ein Aquarell und ein kleines Gemälde von
Cezanne mit in das Atelier, die er von feinen Erfparniffen für 50, bzw. 150 Frs. ge-
kauft hatte. Linaret, Derains Schulfreund, war Mitfd)üler von Matiffe, Rouault, Marquet,
um nur einige der Bekannteften von heute zu nennen. (Henn ich diefe hiftorifchen Einzel-
heiten anführe, gefchieht es nur, um die Rolle, die Matiffe fpäter fpielte, beffer hervor-
zuheben. Nachdem Linaret zu früh dahingefchieden war, Derain fchon von Matiffe ge-
fd)ät}t wurde, Rouault fid) in feiner Einfamkeit abfd)loß und Marquet und die anderen
fid) ziemlich fcßnell einem leicht auffaffenden Publikum verftändlid) gemacht hatten, blieb
Matiffe allein übrig, um eine neuerungsfüd)tige Jugend zu begeiftern und die Kunft zu
vertiefen, die bis dahin die offiziellen Anhänger einer veralteten Manier gelehrt hatten.
Ein univerfaler und ein idealer 3ug durchwehten damals die Malerei. Das Bedürfnis
nach einer weniger konventionellen Äfthetik machte fid) bei allen Jüngeren geltend:
Matiffe, Derain, Braque, Marquet ufw. Diefe Künftler, die Fauves (die wilden Eiere), wie
man fie nannte, zogen zahlreiche Künftler anderer Länder an: die Ungarn Czobel und
Bereny.f den Amerikaner Max (Heber, die Deutfd)en Purrmann und Rudolf Levy, den

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