Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 16.1924

DOI Artikel:
Bureau, Noel: Marcel Gromaire
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.41564#1055

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Akkorde, des Rot und Blau vor allem, eines prächtigen Blau, das unabhängig von
feiner Beziehung zum Ganzen dem Auge fcßon eine tiefe Freude bereitet.
Croß der Düfterkeit der Obertöne ßellt er feine Malerei durch feinfühliges 3utun von
Weiß auf, hängt gewiffermaßen Ließt darum und erreicht fo eine Kraft der Licßter,
die dem Reichtum der Schatten in nichts naeßfteßt. Die Verfcßiedenartigkeit in der
Behandlung der Vorwürfe, fteinerner Architekturen, des Eifens, Waffers, Fjimmels, der
Anatomie, ftellte fieß mit der Einheit der Mittel und Abficßten ein — er erreichte die
(üirklicßkeit, nicht in der Aufweifung der Seicßnurig und des Anblicks, den die Natur
bietet, fondern durch eine Umgeftaltung der Form und der Farbe. Und gerade in
diefer doppelten Umformung offenbart fieß der wefentlicße Rhythmus, jener Rhythmus,
der die Urfprünglicßkeit des Künftlers bezeugt. Was aber ift diefe Urfprünglicßkeit wert?
Im Lauf der 3ivilifationen fpiegelt die Kunft die Seiten, klagt, je nachdem, die Vor-
ßerrfcßaft des Geiftes über die Materie oder die entgegengefeßte Lage an. Der Künft-
ler beobachtet; der leßrreicße Aufeinanderprall der beiden ewigen Kräfte bringt fein
eignes Empfinden ins Gleichgewicht zu den ßerrfeßenden 3eitftrömungen. In einer
Epoche mannigfaltigen Sucßens, Caftens, mannigfaltiger Irrtümer faßt er Vertrauen zu
neuen Wünfcßen, die er in fieß auffteigen füßlt, zu Wünfcßen, die darauf zielen, einer
neuen Einteilung genugzutun.
Sind wir auf dem Weg zu einer Erneuerung unfrer geiftigen Einteilung? Die Kunft
eines Gromaire feßeint uns einige Fjoffnung darauf zu geben. Der Vorftoß, den fie
macht, hat etwas von wiedergefundener Naivität, von Verjüngung.
Die Wiffenfcßaft, befreit von einer Vergangenheit voller Irrtümer, neigt, troß ißrer
Ängfte, zu einer Unterwerfung unter die Geiftigkeit, die fie aus fieß heraus wird frei-
maeßen können. Und diefe Geiftigkeit wird die Oberhand beßalten. In der Kunft
zeigt fie fiel) feßon durch eine ftetig wacßfende Neigung für eine fyntßetifcße Geftal-
tung der Form — eine Vorliebe, die man am Beginn aller großen Epochen findet.
Fjaben wir bei unfern Naturaliften nicht ein feßr ftarkes Bedürfnis zum Konftruktiven?
Aber andre zeitgenöffifeße Künftler verrannten fieß in allzu großer Reinheit — indem
fie die Fäden zerriffen, die fie mit der Natur verbanden, unterdrückten fie fcß felbft.
Von den einen fieß freißalten dureß Bewaßren eines ftärkeren Ceiles von Geiftigkeit,
fieß ßüten, in den Irrtum der andern zu verfallen, menfcßlicß bleiben durch Rückficßt-
nähme auf die Bedürfniffe des 3eitempßndens und ein Vorausaßnen des morgigen,
das feßeinen die Grundlagen der Kunft Marcel Gromaire’s zu fein.
Man darf nießt glauben, daß er in einer folcßen Orientierung feiner Perfönlicßkeit
das Vergangene leugnen wolle. Nur zu deutlich füßlt er in fieß die Kraft der alten Säfte
und bringt den großen Meiftern eine tiefe Verehrung entgegen, die aus großer Demut
entfpringt; und die feiner Erde, die van Eyck, die van der Weyden wachen über feinen
Bemühungen.
Und fo entfpreeßen feine Bedürfniffe den unfern: Kraft, Ciefe, Syntßefe. Wie er
fußen wir das Creibende des Lebens in feiner gedrängteften Form einzufangen, ftreben
wir naeß feiner umfaffendften Erweiterung, nach engfter Anteilnahme unferes Wefens
an dem Rßytßmus, der alle Dinge dureßfeßwingt; und alfo ftellen wir uns ißm zur
Seite mit um fo größerer Begeiferung. Überf. E. Ul

Der Cicerone, XVI. Jatyrg., 5eft 21

51

1023
 
Annotationen