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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 16.1924

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Tiemann, Grete: Zur Grünewaldfrage
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https://doi.org/10.11588/diglit.41564#1112

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Studien und Forfdjungen

ßimmte Behauptung aus, daß diefer Mattbis
Gothart Neitljart der bisher Grünewald genannte
Meifter [ei, ohne daß er zu dem Kernpunkt der
Frage neues Material und neue Beweife bei-
brachte.
3üld) (a. a. 0.) weiß allerhand von diefem
Matthes Gothart zu berichten. 1527 ift er zu-
erft in Frankfurt nachweisbar bei Anlaß eines
Geldhandels nebenfädjlidjer Art, im gleichen
Jahr macht er als Maler und „öüafferkunßmacher“
dem Rat von Magdeburg eine 3eicbnung zu
einer maffermühle nach Frankfurter Mufter, wird
nach Fjalle berufen, wohl zu ähnlichem Dienft,
und ftirbt dort vor dem 1. September 1528. Er
hinterläßt einen Hdoptivfoljn, der in Seligen-
ftadt in der Lehre ift. Sein Ceftament hat er
feinem Freunde Fjans Seidenfticker zur Hufbe-
wahrung gegeben. Hm auffcblußreicbften ift das
Inventar, das nach dem Code des Meifters über
feine IJabe aufgenommen wird: Neben einem
3irkel und etlichen „regißern über das bergk-
wergk“, die auf den tüafferkunßmacher hin-
weifen, findet pd) viel Malgerät, eine Menge
herrlicher und koßbarer Farben, und vor allem*.
„2 lid1 an eyn taffel ganz wiss bereidt u. uff
dem einen 1 crucipx, Marien u. Sant Johannes“,
alfo zwei Flügel zu einem Hltar, von denen
einer fchon weiß grundiert, der andere aber mit
einer Kreuzigungsgruppe bemalt ift. Dazu ver-
raten noch ein illappenbrief, F)ofkleider und eine
Gnadenmünze Dienft bei vornehmen Fjerren.
Huch über diefen Matthes Gothart fand pd)
nun eine bisher unbekannte Nachricht in den
Protokollen des Mainzer Domkapitels2:
Die Mercurii XXVII Hugußi 1516.
Lecta fuit supplicatio magistri Mattbie gothart
pictoris quibus petit Reverendissimi domini
locum tenentes iudici ut computo facto ipsum
de salario suo contentent atque satiffatiant.
Super quo commissum fuit de Johann de
Guttenberg ut dominus de Konigstein accedat
et vocem Capituli roget ut sibi satiffiat. —
(Hm Rande noch einmal vermerkt: Mathis
maler.)
Daß diefer pictor Matthias gothart der Maler
und CJafferkunftmacher zu Frankfurt iß, ift nicht
zu bezweifeln. Schon 1516, ungefähr zehn Jahre
vor feinem Huftauchen in Frankfurt, war er alfo
in kurmainzifchem Dienft. Der Husdruck „sa-
lario“ läßt auf ein feßes Dienßverhältnis, „com-
puto facto“ auf einen größeren Huftrag fchließen.
Da in diefen Sitzungen des Kapitels regelmäßig
außermainzifche, befonders Angelegenheiten der
äußeren Verwaltung behandelt werden, wird es
fid) auch hier um eine Befchäftigung des Künft-
lers — und zwar des Malers, denn fonft wäre
er als <Hafferkunftmad)er aufgeführt — in der
1 lid mt)d — Deckel.
2 Jeijt im Bayerifd)en Staatsarchiv zu CLlürzburg. Bd.IV,
S. 330.

Erzdiözefe und nicht in Mainz felbft handeln.
Feß ßeht alfo, daß Meißer Matthis Gothart 1516
für den Erzbifchof Hlbrecbt von Brandenburg,
der 1514 der Nachfolger Uriels von Gemmingen
geworden war, vielleicht fchon als Fjofmaler und
FJofingenieur, arbeitet. Die Übereinßimmung
zwifcben dem, was uns von „Matthes gothart“
berichtet wird, und den Überlieferungen über
„Grünewald“ wird durch diefe neue Nachricht
fo verblüffend, daß man pd) dem Eindruck nicht
entziehen kann, Matthes Gothart Neithart —
beide Nachnamen werden willkürlich und ab-
wechTelnd gebraucht — ift der Pfeudo-Grüne-
wald. Die Cätigkeit am Ijofe des Erzbifcbofs
von Mainz, die Beziehungen zu Fjalle und Se-
ligenßadt, der Cod um 1528, die Kreuzigungs-
tafel im Nachlaß, alles fpricht für die Identität
der beiden Maier. Vor allem aber wäre das
Rätfel des Monogramms für immer gelöft, denn
das wäre doch zu feltfam und ganz unerhört,
wenn am felben Fjofe und zur felben 3eit zwei
Maler tätig gewefen fein füllten, von denen der
eine uns nur feinen Namen, an den pd) kein
einziges ttlerk knüpft, der andere aber eine
Reihe von Cüerken, gezeichnet mit dem Mono-
gramm feines Konkurrenten, hinterlaffen haben
follte.
Noch trüben kleine Unftimmigkeiten das Bild,
ftüie kommt Sandrart zu dem Namen „Grüne-
wald“? GCIir kennen feine Quellen nicht und
müffen uns einftweilen tröften mit der ünzuver-
läfpgkeit diefes naiven Gelehrten, der anfdjlie-
ßend an Matthias Grünewald in feiner Ceutfdjen
Hcademie1 den Fjans Baidung behandelt und
ihn ebenfalls zu Fjans Grünewald umtauft. —
Hud) weiß er von einer ttlitwe des Malers zu
berichten, während Gothart offenpdjtlidj außer
feinem Hdoptivfoljn keine Angehörigen hiater-
laffen hat; auch das Inventar läßt auf keinen
FJausljalt fdjließen. Vielleicht irrt Sandrart audj
hier.
Der 3uname „von Klürzburg“ für Matthes
Gothart fdjließt einen Matthes von Hfdjaffen-
burg nicht aus; doch welche von den beiden
Bezeichnungen die Fjerkunft, welche den Ort
der lebten Tätigkeit bezeichnet, iß vorläupg
nidjt zu entfdjeiden. GQahrfdjeinlidj ging feiner
Cätigkeit in Frankfurt ein Aufenthalt in fcüürz-
burg voran, fo daß pdj diefe Benennung in Frank-
furt einbürgerte.
Ganz überrafdjend und faß ungeheuerlich ift
der Gedanke, daß ein Genie, deffen umdüßerte
Seele pd) in furchtbaren Viponen ausßrömt, zu-
gleich mit korrekter Sorgfamkeit den 3irkel ge-
ljandljabt und Mühlräder konftruiert haben füllte!
Doch fdjeint fdjon ein 3ufah bei Steinmeyer
1629 auf eine andere Cätigkeit des Meifter
Mattljes h'nzudeuten. Indern er nämlich bei
1 Joachim von Sandrart, Deutsche Hcademie der Edlen
Bau-, Bild- und Malereg-Künlte. Nürnberg 1675. Bd. I,
S. 237.

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