Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 16.1924
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https://doi.org/10.11588/diglit.41564#1143
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Grohmann, Will: Friedrich Karl Gotsch
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Er wird einfacher, gefünder, und die Natur wird für ii)n zu einem ganz ftarken Er-
lebnis. Nur aus ihr heraus fdjafft er, und der Cag reicht nicht, um alles aufzunehmen
und zu verarbeiten. Er bringt einen Stapel von Arbeiten mit und enttäufd)t zunächst
damit feine Freunde. Man findet fie unintereffant, billig, unproblematifd). Der Hinter-
grund fdjeint zu fehlen, ünd er fehlt aud). ttlo [oll er in dem Alter Verkommen?
Der Horizont ift in der Cat enger, aber dafür wahrer. ttlas nüfet dem Künftler die
tüeite, wenn fie von einem Größeren geborgt ift? Vielleicht war dies das lefete Ver-
mächtnis des Lehrers, daß er fo ehrlich werden konnte. Verborgen arbeitet allerdings
die freie Phantafie an anderen Dingen weiter, aber die befchäftigt den Graphiker, der
Maler kann nichts mit ihnen anfangen. Er malt ausfchließlid) Landfd)aften und Por-
träts. Die Farbe ift derb wie der Ausdruck. So eine „Straße in St. Peter“ (1923)
ßeht aus, als wenn ein Architekt einen Bebauungsplan in der Landfchaft vorführen
wollte, aber dafür ift nichts einer gewollten oder geiftreichen Form zuliebe verfälfdjt.
ünd was am Ende herauskommt, ift ein Stück Natur, im Bild wie in der £üirklid)keit
fteht alles an feinem Fleck. Die Vertikale der Celegraphenftangen, die Diagonale der
Straße, die Horizontale der Dächer, teilen das Bild anfprud)slos und überzeugend. Man
meint, die wirkliche Landfchaft könne nicht anders fein. Sie ift es infofern, als fie
von hundert anderen Dingen lebt als Farbe, ümriß und Verhältnismäßigkeit, und auf
diefen Nenner bringt Gotfd) hier die Vielfalt der Erfcßeinungswelt. Seine Ausfd)nitte
find ohne Ätmofphäre, aber nicht ohne Ciefe und erfeljen durch eine größere Ver-
deutlichung der konkreten Dinge und ihres gegenfeitigen Verhältniffes im Raum, was
ihnen an Illufion abgeht (f. „Landfchaft mit untergehender Sonne“ 1923). Der ümriß,
der vorher im Mofaik farbiger Bruchftücke verfchwand, fetjt fid) bei ftärkerer Verein-
fachung und 3ufammenziel)ung der Farbe klarer ab und gibt dem Bild eine durchaus
malerifche Feftigkeit. Diefer Prozeß fcßeint fid) während des Aufenthaltes in Amerika
weiterentwickelt zu haben. Gotfd) fdjreibt im Mai 1924: „Mir erfcheint es plötzlich fo
feltfam, daß die Malerei, wie fie bei Kokofchka ift, und wie ich fie bei ihm lernte,
keinen ümriß hat. Id) fehe fortwährend ümriffe jefjt, nicht graphifd)e, nein malerifche;
deutliche ümriffe, die Farbfelder trennen. Man kann das hier überall in der Natur
fehen. Die hohen Häufergiebel in der Sonne und
der Himmel, Celephonmaften und Bäume. Id) finde
die Malerei von Kokofchka, Nolde, Mund) bis zu-
rück zu den Impreffioniften fehr fd)ön, aber id)
würde fie mir nicht zugeftehen. Die lebten Bilder
von Max Beckmann verftehe id) am beften, die
fcheinen mir am natürlichsten.“ (f. „ Amerikanifche Land-
fchaft“ 1924.)
Die Farben find auf den Bildern von St. Peter
ungefähr fo, wie wir fie fehen, wenn nach einem
Gewitter die Sonne wieder fcheint, von großer In-
tenfität und Leuchtkraft und ohne reflektierende Luft-
fd)id)ten. Dunkles Saftgrün, tiefrote Dächer, weiße
Häuferwände, helle Sandfarben, tiefblauer Himmel.
Eine Vorliebe für violette Cöne ift auffällig. Die
„Drei Frauen am Meer“ (1923) beftehen nur aus
einem Spiel von folchen Cönen und Helligkeiten.
Das „Selbftporträt“ aus dem Sommer 1923 (f. Abb.)
hat tiefe warme Ockerfarben im Kopf, ein leuch-
tendes Rot im Gewand und ein kaltes, hartes
Blau im Himmel; es ift vielleicht abfid)tlid) ein
wenig gefühllos, aber voll Kraft und ftark im
Aufbau.
F.K.Golfcb. Aus der „Hamfun“-Mappe.
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lebnis. Nur aus ihr heraus fdjafft er, und der Cag reicht nicht, um alles aufzunehmen
und zu verarbeiten. Er bringt einen Stapel von Arbeiten mit und enttäufd)t zunächst
damit feine Freunde. Man findet fie unintereffant, billig, unproblematifd). Der Hinter-
grund fdjeint zu fehlen, ünd er fehlt aud). ttlo [oll er in dem Alter Verkommen?
Der Horizont ift in der Cat enger, aber dafür wahrer. ttlas nüfet dem Künftler die
tüeite, wenn fie von einem Größeren geborgt ift? Vielleicht war dies das lefete Ver-
mächtnis des Lehrers, daß er fo ehrlich werden konnte. Verborgen arbeitet allerdings
die freie Phantafie an anderen Dingen weiter, aber die befchäftigt den Graphiker, der
Maler kann nichts mit ihnen anfangen. Er malt ausfchließlid) Landfd)aften und Por-
träts. Die Farbe ift derb wie der Ausdruck. So eine „Straße in St. Peter“ (1923)
ßeht aus, als wenn ein Architekt einen Bebauungsplan in der Landfchaft vorführen
wollte, aber dafür ift nichts einer gewollten oder geiftreichen Form zuliebe verfälfdjt.
ünd was am Ende herauskommt, ift ein Stück Natur, im Bild wie in der £üirklid)keit
fteht alles an feinem Fleck. Die Vertikale der Celegraphenftangen, die Diagonale der
Straße, die Horizontale der Dächer, teilen das Bild anfprud)slos und überzeugend. Man
meint, die wirkliche Landfchaft könne nicht anders fein. Sie ift es infofern, als fie
von hundert anderen Dingen lebt als Farbe, ümriß und Verhältnismäßigkeit, und auf
diefen Nenner bringt Gotfd) hier die Vielfalt der Erfcßeinungswelt. Seine Ausfd)nitte
find ohne Ätmofphäre, aber nicht ohne Ciefe und erfeljen durch eine größere Ver-
deutlichung der konkreten Dinge und ihres gegenfeitigen Verhältniffes im Raum, was
ihnen an Illufion abgeht (f. „Landfchaft mit untergehender Sonne“ 1923). Der ümriß,
der vorher im Mofaik farbiger Bruchftücke verfchwand, fetjt fid) bei ftärkerer Verein-
fachung und 3ufammenziel)ung der Farbe klarer ab und gibt dem Bild eine durchaus
malerifche Feftigkeit. Diefer Prozeß fcßeint fid) während des Aufenthaltes in Amerika
weiterentwickelt zu haben. Gotfd) fdjreibt im Mai 1924: „Mir erfcheint es plötzlich fo
feltfam, daß die Malerei, wie fie bei Kokofchka ift, und wie ich fie bei ihm lernte,
keinen ümriß hat. Id) fehe fortwährend ümriffe jefjt, nicht graphifd)e, nein malerifche;
deutliche ümriffe, die Farbfelder trennen. Man kann das hier überall in der Natur
fehen. Die hohen Häufergiebel in der Sonne und
der Himmel, Celephonmaften und Bäume. Id) finde
die Malerei von Kokofchka, Nolde, Mund) bis zu-
rück zu den Impreffioniften fehr fd)ön, aber id)
würde fie mir nicht zugeftehen. Die lebten Bilder
von Max Beckmann verftehe id) am beften, die
fcheinen mir am natürlichsten.“ (f. „ Amerikanifche Land-
fchaft“ 1924.)
Die Farben find auf den Bildern von St. Peter
ungefähr fo, wie wir fie fehen, wenn nach einem
Gewitter die Sonne wieder fcheint, von großer In-
tenfität und Leuchtkraft und ohne reflektierende Luft-
fd)id)ten. Dunkles Saftgrün, tiefrote Dächer, weiße
Häuferwände, helle Sandfarben, tiefblauer Himmel.
Eine Vorliebe für violette Cöne ift auffällig. Die
„Drei Frauen am Meer“ (1923) beftehen nur aus
einem Spiel von folchen Cönen und Helligkeiten.
Das „Selbftporträt“ aus dem Sommer 1923 (f. Abb.)
hat tiefe warme Ockerfarben im Kopf, ein leuch-
tendes Rot im Gewand und ein kaltes, hartes
Blau im Himmel; es ift vielleicht abfid)tlid) ein
wenig gefühllos, aber voll Kraft und ftark im
Aufbau.
F.K.Golfcb. Aus der „Hamfun“-Mappe.
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