Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 16.1924
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https://doi.org/10.11588/diglit.41564#1219
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Schmidt, Peter Franz: Alfred Kubin
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fperiftifd)en; und wo er ausdrücklich auf das Unheimliche hinarbeitet, wird es zum un-
übertrefflichen Inftrument feines Ausdruckswillens. Keine Farbe könnte hünenhafter,
kein Umriß drohender wirken, als der geronnene und doch in wimmelnder Beweglich-
keit bleibende Komplex feines Gekrifeels. Unficßtbar aber allgegenwärtig geht bei ihm
der Ceufel um und vergiftet fchon im Keim die fcßöne Kielt zur Lüge und Frat^en-
haftigkeit. Diefer Unausweid)lid)keit des böfen Blickes hat er mit Enfor gemeinfam
und auch das dämonifch Unbeftimmte des Liniengewirrs und der böfen leichenhaften
Farben in feinen Äquarellen. Man fieht, daß diefeCecßnik nichts 3ufälliges und Gewolltes
ift. Derfelbe 3wang zu irrationaler Unabfehlid)keit und „unendlicher Melodie“ trieb fchon
das Geriernfel germanifch-irifcher Ornamentik im frühen Mittelalter, trieb das romanifche
Bandgefchlinge und fpätgotifdje Aftwerk nicht minder wie die Maßlofigkeit Grünewaldi-
fcher und Bofd)ifd)er Figurenknäuel zu fo unerhörten, immer wiederkehrenden Extremen.
Für eine romanifche Phantafie gefefemäßiger Klarheit ift eine folche Leidenfchaft für das
Verdunkeln unfaßbar und ganz fießer verwerflich: aber fie ift im deutfd)en Kiefen tief
und unausrottbar verwurzelt. Und wenn Kubin auch aus dem böhmifchen Grenzlande
zwifchen Slawen und Germanen herkommt: die Näl)e des fremden Stammes hat zu allen
3eiten die nationalen Inftinkte nur verfd)ärft und nicht verwifd)t. Viele der ausge-
prägteren Repräfentanten des Deutfchtums entftammten den Grenzbezirken. Und fo
ift auch Kubins Dämonie aus betonter Blutszugehörigkeit zu verftehen; vielleicht, daß
flawifcße Schwermut ein wenig fremdartige Färbung dazu gegeben hat.
Kler Kubin kennt, weiß auch, daß der tiefe und leidende Ernft feiner Schöpfungen
aus der Melancholie des Menfd)en ftammt, der felber am fchwerften unter feinen Vi-
fionen leidet. Aber er trägt diefen Peffimismus nicht äußerlich zur Schau, fondern hält
ihn in den Liefen der Seele verborgen und läßt ihn nur in feiner Kunft fid) aus-
ftrömen. Dies macht fein Klerk fo reif und wahr und voller Leidenfchaft: immer von
neuem wird es aus den nie verlegenden Quellen des Erlebens und des Leidens ge-
fpeift. Der Unerfahrene ahnt kaum, aus welchen Abgründen von Schmerz fid) der
Künftler unaufhörlich durch feine Klerke befreien muß, um nicht zugrunde zu gehen.
Das aber ift vielleicht die fittlichfte Beftimmung der Kunft: daß einem Leidenden der
Gott gab, „zu fagen, was er leide“. Denn fo erlöft er nicßt nur fid) von der Sünde
der Individuation, fondern er reinigt auch durch das Lragifche feiner Gebilde die Seele
des Betrachters. Daß es Schuld und Grauen und Qual gibt: das zu wiffen ift nicht
genug; es muß auch unmittelbar angefchaut und erlebt werden können, nicht im Leben,
fondern in der Form von Kunftwerken, damit es das äsende Gift feiner KIirklid)keit
verliere. Für die Diätetik der Seele ift fo notwendig wie die Philofophie Schopen-
hauers und das Grauen der Dichtungen Swifts oder Bronnens: die erfd)ütternde Offen-
barung des fchuldlofen Leidens am Dafein in der 3eicl)nung Kubins.
Alfred Kubin.
übertrefflichen Inftrument feines Ausdruckswillens. Keine Farbe könnte hünenhafter,
kein Umriß drohender wirken, als der geronnene und doch in wimmelnder Beweglich-
keit bleibende Komplex feines Gekrifeels. Unficßtbar aber allgegenwärtig geht bei ihm
der Ceufel um und vergiftet fchon im Keim die fcßöne Kielt zur Lüge und Frat^en-
haftigkeit. Diefer Unausweid)lid)keit des böfen Blickes hat er mit Enfor gemeinfam
und auch das dämonifch Unbeftimmte des Liniengewirrs und der böfen leichenhaften
Farben in feinen Äquarellen. Man fieht, daß diefeCecßnik nichts 3ufälliges und Gewolltes
ift. Derfelbe 3wang zu irrationaler Unabfehlid)keit und „unendlicher Melodie“ trieb fchon
das Geriernfel germanifch-irifcher Ornamentik im frühen Mittelalter, trieb das romanifche
Bandgefchlinge und fpätgotifdje Aftwerk nicht minder wie die Maßlofigkeit Grünewaldi-
fcher und Bofd)ifd)er Figurenknäuel zu fo unerhörten, immer wiederkehrenden Extremen.
Für eine romanifche Phantafie gefefemäßiger Klarheit ift eine folche Leidenfchaft für das
Verdunkeln unfaßbar und ganz fießer verwerflich: aber fie ift im deutfd)en Kiefen tief
und unausrottbar verwurzelt. Und wenn Kubin auch aus dem böhmifchen Grenzlande
zwifchen Slawen und Germanen herkommt: die Näl)e des fremden Stammes hat zu allen
3eiten die nationalen Inftinkte nur verfd)ärft und nicht verwifd)t. Viele der ausge-
prägteren Repräfentanten des Deutfchtums entftammten den Grenzbezirken. Und fo
ift auch Kubins Dämonie aus betonter Blutszugehörigkeit zu verftehen; vielleicht, daß
flawifcße Schwermut ein wenig fremdartige Färbung dazu gegeben hat.
Kler Kubin kennt, weiß auch, daß der tiefe und leidende Ernft feiner Schöpfungen
aus der Melancholie des Menfd)en ftammt, der felber am fchwerften unter feinen Vi-
fionen leidet. Aber er trägt diefen Peffimismus nicht äußerlich zur Schau, fondern hält
ihn in den Liefen der Seele verborgen und läßt ihn nur in feiner Kunft fid) aus-
ftrömen. Dies macht fein Klerk fo reif und wahr und voller Leidenfchaft: immer von
neuem wird es aus den nie verlegenden Quellen des Erlebens und des Leidens ge-
fpeift. Der Unerfahrene ahnt kaum, aus welchen Abgründen von Schmerz fid) der
Künftler unaufhörlich durch feine Klerke befreien muß, um nicht zugrunde zu gehen.
Das aber ift vielleicht die fittlichfte Beftimmung der Kunft: daß einem Leidenden der
Gott gab, „zu fagen, was er leide“. Denn fo erlöft er nicßt nur fid) von der Sünde
der Individuation, fondern er reinigt auch durch das Lragifche feiner Gebilde die Seele
des Betrachters. Daß es Schuld und Grauen und Qual gibt: das zu wiffen ift nicht
genug; es muß auch unmittelbar angefchaut und erlebt werden können, nicht im Leben,
fondern in der Form von Kunftwerken, damit es das äsende Gift feiner KIirklid)keit
verliere. Für die Diätetik der Seele ift fo notwendig wie die Philofophie Schopen-
hauers und das Grauen der Dichtungen Swifts oder Bronnens: die erfd)ütternde Offen-
barung des fchuldlofen Leidens am Dafein in der 3eicl)nung Kubins.
Alfred Kubin.