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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 16.1924

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Die Zeit und der Markt
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https://doi.org/10.11588/diglit.41564#0395

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Sammlungen

über die geplante Gliederung geftattet. Möglich
müßte das fein. Ja es bleibt erßaunlich, daß
man keinerlei Vorfd)läge für eine Verwendung
diefes Gebäudes zu Mufeumszwecken gemacht
hat. An diefer Stelle hätte man am leichteften
den Anfcbluß an die Sammlungsüberlieferung
Deffaus gefunden und das umfangreiche Grund-
ftück hätte vielleicht auch für Erweiterungen
ard)itektoni[che Möglichkeiten geboten.
Schenk zu Schweinsberg.
Neuordnung im CNiener kunft-
f)i [tori[d}en Mufeum
Im kunßhißorifchen Mufeum wurden die vene-
tianifche Maler beherbergenden Räume, die wegen
vorgenommener Veränderungen einige Monate
hindurch gefchloffen waren, vor kurzem wieder
geöffnet.
Bei der Umhängung der Bilder trachtete man
vor allem den künftlerifchen Gehalt der einzelnen
Gemälde möglichft zur Geltung zu bringen. So
wurden im erften, zumeift Cizians merken zu-
gewiefenen Saal (der jetß bedeutend vorteilhafter
ausfieht) die Bilder einreihig gehängt. Morettos
„Fjeilige Juftina“, die nun völlig ifoliert zwifchen
den beiden Uüren der Eingangswand hängt,
kommt erft jetjt fo recht zur Geltung, Uleniger
glücklich wirkt die Aufteilung des jüngft aus
der Eftenfifchen Sammlung übernommenen fechs-
teiligen Altarbildes A. Vivarinis in einem Eck-
kabinett, wo es durch feine Umgebung arg ge-
drückt wird. Gerne hätte man auch auf die hier
und im zweiten Saal eingebauten, ofenfchirm-
artigenEcküberfchrägungen verzichtet, die zwecks
Ulirkfammachung früher in den Ecken verfchwun-
dener Bilder erdacht, den Raum verunftalten.
Für die vorgenommenen Änderungen dekora-
tiver Natur ift im wefentlichen die muftergültige
Neuordnung der Gemäldegalerie der bildenden
Künfte durch Direktor Eigenberger maßgebend
gewefen; insbefonders was das Streben nach
Einfügung der Bilder in eine zeitgemäße Um-
gebung betrifft. So hat man einen Ceil der ehe-
dem durchwegs gleichartigen modernen Rahmen
[ehr glücklich durch (größtenteils echte) Renaif-
fancerahmen erfetjt und — um die CUirkung zu
vervollftändigen — auf die (früher einfarbige)
Ulandbefpannung mittelft Schablonen Renaif-
fanceornamente aufgetragen. Da auf diefe Uleife
die Bilder an Conigkeit gewonnen haben, ver-
föbnt man fich mit diefem in den Prunkräumen
des kunftbiftorifchen Mufeums ärmlich wirkenden
Notbehelf.
Uleit weniger befriedigend als die Verände-
rungen in der Bildergalerie macht ßch die Neuauf-
teilung der mittelalterlichen Plaftik im unteren
Stockwerk. Gewinnen auch die zwar fpärlichen
aber qualitativ hervorragenden Stücke durch ihre
lockere Anordnung, fo ift anderfeits die Beleuch-
tung nicht genügend in Betracht gezogen worden.
Die, wie jede gotifche Plaftik, Seitenlicht erfor-

dernde Madonna, die jüngft von der Kunfthandels
A.-G. erworben wurde, ift in tötendem Vorderlicht
aufgeftellt. Die wundervoll bewegte fteierifche
Kreuzigungsgruppe aus dem fpäten 15. Jahrhun-
dert jteht ganz im Schatten. Von den Groß-
lobminger Figuren fteht gerade die Figur des
Bifchofs, deffen Antlitj ftark verftümmelt ift,
in vollem Licht. Der ebenfo hohe wie weite
Raum wirkt mit feinem reduzierten Beftand leer
und nüchtern. Der Eindruck des Unbehaglichen
wird noch verftärkt durch den unfchönen, grau-
grünen Anftrich der Ulände. So lobenswert auch
die Vereinigung der ehedem an unterfdbiedlichen
Orten verftreuten mittelalterlichen Plaftiken an
ßch ift, fordert doch die Art, wie ße erfolgte, zum
<Uiderfpru<h heraus. P.-N.
Äus Prager Sammlungen
Neuerwerbungen für die Staatsgalerie.
Kunftpolitik von feltener Großzügigkeit betrieb
der junge tfchechoflovakifche Staat im Ankauf
jener Kollektion franzößfcher Meißerwerke aus
der vorjährigengroßen franzößfchen Ausftellung.
Sie ift jetjt in der modernen Galerie ausgeftellt.
Der Anblick diefer Pracht wird wohl auch die
nörgelnden Stimmen derer verftummen laffen,
denen die ausgeworfenen fechs Millionen zu viel
fchienen für derartigen „Luxus“. Mit diefem Kern-
beftand franzößfcher Moderne rückt die Staats-
galerie auf einen Schlag mit an erfte Stelle mo-
derner Sammlungen. Die Beifpielhaftigkeit fol-
cben Vorgehens verdient Beachtung, namentlich
in Deutfchland, wo größte Galerien durch eigene
oder behördliche Kleinlichkeit (meift beides) die
fchönften Stücke ßch entgehen laffen. Daß auch
heute noch franzöfifche Kunffc vorbildlich ge-
fammelt werden kann, ift hier bewiefen.
Sieben fprühende Delacroix, darunter das Frag-
ment zum „Massacre de Scio“: das Kind, das
die Bruft der erfchlagenen Mutter fucht, voll
kraffer Gegenfätßicbkeit (feinerzeit auf der erßen
Ausstellung des Originals das Entfetten der auf-
gefcheuchten Klafßzißen). Diefe Uland Delacroix
allein fchon ßchert einer Galerie die Exiftenz-
berechtigung. Dann zwei Daumiers, von denen
wir nur den einen diskufßonslos annerkennen
möchten: die Gruppe mit dem machtvoll empor-
fahrenden Kopf des Führers, plaftifch heraus-
modelliert mit einer Kraft, die bis zu Derain
wirkt, vielmehr in diefem aus gleichem Ingenium
aufbricht. (Das Derainbildnis gegenüber legt die
große Cradition auch auf diefer Linie bloß) Dann
Courbets: die eigentümliche „Viehtränke“ des
Craumrealißen und der „Ulafferfall“ des Cag-
realiften. UIo ßndet man diefe beiden Seiten
des „Naturalien“ fo urgegenfätjlich nebenein-
ander. Schönfte Landfcbaften von Rouffeau, von
Daubigny eine breite Sicht. Uleniger glücklich
die Corots. Qier aber wieder auf fcßlußreich jene
Doppelung vifueller Erfaffung: Das atmofpbärifch
Auflöfende (der Seelandfchaften) neben dem
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Der Cicerone, XVI. Jal}rg,, ßeft 8

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