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Münchner kunsttechnische Blätter — 15.1918-1919

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Nr. 2
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Geschichte der Grundierungsmethoden für Holztafeln und Leinwanden [2]
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Seligmann, Adalbert Franz: Die neue Schule [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.36588#0010

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Münchner kunsttechnische Blätter

Nr. 2

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Kreide der allgemein übliche; obwohl keine be-
stimmten Angaben darüber vorhanden sind, kann
dies doch aus einer Stelle des Plinius, wo er von
den Farben spricht, die für Kreidegrund ge-
eignet sind (Hist. nat. ß$, 49: Ex omnibus co-
laribus cretulam amant.), gefolgert werden.
Die Tradition erhält sich dann jedenfalls durch
die späteren byzantinischen Epochen, und gelangt
ebenso nach den nordischen Kunstzentren, wie
nach dem Italien der Frührenaissance. Von ge-
ringen Abweichungen abgesehen, haben alle älteren
Anweisungen dieser Zeit das gemeinsame, dass sie
im Hinblick auf die Vergoldungstechnik zu ver-
stehen sind, und all die aufgewandte Sorgfalt beim
Grundieren dieser dann zugute kommen sollte.
I.
Zu den ältesten Angaben gehören wohl die
Anweisungen des byzantinischen Mönches
Dionysios in dem „Handbuch der Malerei
vom Berge Athos", denn sie datieren in die
Zeit des Panselinos zurück, der im 11. Jahrhun-
dert lebte (s. Beitr. 3, S. 6/). Bei dem Festhalten
der byzantinischen Maler an ihren altererbten Tra-
ditionen ist anzunehmen, dass bis zur eigentlichen
Niederschrift dieser Anweisungen keinerlei Aen-
derung zu verzeichnen sein dürfte.
Die Angaben dieses Buches, der Hermcneia
des genannten Dionysios, enthalten alle wünschens-
werten Details, so dass es ein leichtes ist, sich
über alle Operationen klar zu werden. In § 4
(Ausg. v. God. Schäfer, S. 53) wird über die Be-
reitung des Leimes aus tierischen Häuten, Ochsen-
füssen, Knorpeln und dergl. berichtet und im näch-
sten Kapitel die Herstellung des zur Grundierung
nötigen Gipses beschrieben. Wir erfahren, wie
der Gips gebrannt wird, wie der Ofen dazu her-
zurichten ist, wie der Gips dann nach dem Brennen
fein gestossen und durch ein feines Sieb gesiebt
wird. Um nun diesen Gips zum Grundieren brauch-
bar zu bekommen, wird derselbe in laues Wasser
geschüttet, und mit den Händen stets verrührt und
zerdrückt, damit er ja nicht klotzig werde, auch
werde nicht mit dem Wasser gespart, denn sonst
wird der Gips hart und unbrauchbar, dabei ist es
angezeigt, in ein grosses Gefäss, das viel Wasser
enthält, eine kleine Quantität Gips einzurühren.
Dann lässt man den Gips 2 oder 3 Tage sich
setzen, giesst das Wasser ab und trocknet ihn auf
einem Brett aus. Die ganze Prozedur (vom Bren-
nen angefangen) soll wiederholt werden, um den
Gips recht fein zu haben; man stösst ihn dann zu
feinem Pulver und bewahrt ihn auf. Es folgt dann
(loc. cit. S. 36): (Fortsetzung folgt.)]^
A. F. Seligmann: Die neue Schule.
(Schluss.)
Es muss einen stutzig machen, wenn man bemerkt,
dass so ziemlich jeder in der geschilderten Art denkende
und produzierende Künstler diesen Einwänden völlig

unzugänglich bleibt, ja dass er mit einer seltsamen Hart-
näckigkeit an seiner Idee festhält. Der Misserfolg, der
ihm bei allen vernünftig Denkenden beschieden ist,
lässt in ihm die Vermutung reifen, dass man ihn unter-
drücken, verfolgen will. Daraus entwickelt sich
ein „gehobenes Selbstgefühl, die Ueberschät-
zung der eigenen Leistungen und Fähigkeiten".
„Wir sehen hier deutlich, wie sich die ursprüngliche
Vorstellung zu einer Art Weltanschauung entwickelt
hat, die in massgebendster Weise die Verarbeitung der
späteren Lebenserfahrungen beeinflusst." „Alle diese
Züge zeigen uns, dass wir es hier mit einem Wahne
zu tun haben, der tief in der geistigen Persönlichkeit
wurzelt und zu einem System verarbeitet worden ist.
Daneben besteht offenbar eine gewisse Schwäche
des Verstandes, die sich in der Einförmigkeit des
Gedankenganges wie in seiner Unzugänglichkeit gegen-
über den nächstliegenden Einwänden zeigt." „Zugleich
ist er ungemein empfindlich, beantwortet jeden
Widerspruch sofort mit den gröbsten Schmähungen
und Verdächtigungen, meint aber dabei ganz harmlos,
dass er sich immer ,im Rahmen des Anstandes' bewege".
Man wird schwerlich den geistigen Habitus eines
Neoprimitiven treffender zeichnen können, als es in
den eben unter Anführungszeichen zitierten Sätzen ge-
schieht. Diese sind aber nicht, wie man glauben könnte,
einer Geschichte der modernen Malerei entnommen,
sondern einem Lehrbuch des hervorragenden Psychiaters
Kraepelin*), und schildern einen besonders charak-
teristischen Fall von sogenannter primärer Verrückt-
heit (Paranoia), jener Krankheit, in der sich Wahnbil-
dungen im Sinne der Beeinträchtigung und der Selbst-
überschätzung ganz langsam entwickeln, ohne das
selbständige Störungen des Gemütslebens oder des
Willens auftreten. Die Wahnvorstellungen knüpfen an
wirkliche Wahrnehmungen und Vorgänge an, die nur
in krankhafter und vorurteilsvoller Weise gedeutet
werden. Da die Kranken ihre äussere Haltung bewah-
ren, wird das Leiden in der Regel erst nach langjährigem
Bestehen überhaupt erkannt; die Kranken kommen
daher selten und spät, meist nur aus besonderem An-
lasse, in die Irrenanstalt. Gewöhnlich sind sie imstande,
ohne gröbere Störungen noch irgendeine Erwerbs-
tätigkeit zu treiben**). Ja, die Paronoia kann sich,
wie Meynert ausdrücklich hervorhebt, mit höherer gei-
stiger Produktion verbinden.
Die Schilderung unserer Neoprimitiven wäre un-
vollständig, wenn hier nicht eines Merkmals gedacht
würde, das wohl nicht immer, aber sehr häufig bei
ihnen zu finden ist. Ich meine den Hang zu einer
schmutzigen, oft perversen Erotik. Ich würde zögern,
dieses heikle Thema hier zu streifen, wenn nicht die
gegenwärtigen Kunstausstellungen modernster Prägung
zum grossen Teil so deutlich im Zeichen der „sexuellen
Aufklärung" stünden, dass man daran nicht stillschwei-
gend Vorbeigehen kann. Da aber obszöne Vorstellun-
gen gerade bei Paronoikern recht häufig sind, so will
ich es nicht unterlassen, auch dieses Moment hier an-
zuführen.

D „Einführung in die psychiatrische
Klinik". 30 Vorlesungen von Prof. Dr. Kraepelin,
Leipzig, 1901.
**) In dem Lehrbuche der speziellen Psychiatrie
von Pilez findet sich folgende Schilderung des Pro-
dominalstadiums der Paronoia: Es bemächtigt sich der
Leute ein Gefühl eigentümlicher Unzufriedenheit mit
sich, einer inneren Unruhe. Die Kranken beginnen an
sich herumzuexperimentieren, probieren es mit Feuer-
eifer mit irgendeiner modernen extremen Heils-
lehre (Vegetarismus, Naturheilverfahren):
sie bilden ein Kontingent aller der einseitigen
und verkehrten Autodidakten usw.
 
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