Nr. 3
Münchner kunsttechnische Blätter
!7
welche du mit Gips zu grundieren hast. Dann lasse
es trocknen. Nimm nun von deinem ersten star-
ken Leim und gib mit deinem Pinsel zwei Lagen
davon über die Arbeit, und lasse es immer zwischen
dem einen und dem andern Male trocknen. Und
es bleibt so trefflich mit Leim grundiert. Und
was der erste Leim beiwirkt? Er wirkt hier bloss
als eine schwache Flüssigkeit, und eben gleichsam,
wie wenn du gefastet hättest und einige Bissen
Konfekt zu dir genommen und ein Glas guten Wein
getrunken, als eine Anregung des Appetites zum
Mittagmahl. So ist dieser Leim und gewinnt das
Holz für die Aufnahme des (übrigen) Leimes und
Gipses."
(Fortsetzung folgt.)
Dada.*)
Wir hatten eine harte Kasernenwoche hinter uns
und schlenderten wieder einmal, nach Farben und Klän-
gen lüstern, die Bahnhofstrasse hinunter. Ein unauf-
fälliges Plakat wies uns den Weg nach dem modern-
sten Kunstsalon der Stadt. An der Kasse sass eine
junge, ausländische Dame. Wir waren die einzigen
Besucher und durchwanderten langsam eine Reihe kleiner
Zimmer, deren Wände mit Werken der Dadaisten dicht
besetzt waren. Mein kunstverständiger Kamerad ant-
wortete auf den ersten Eindruck in komischer Ent-
rüstung mit einem: O heiliger Sebastian! Die Dame,
die uns gefolgt war, ging, mit einem Schatten wehmüti-
ger Enttäuschung auf dem Gesicht, langsam wieder
hinaus.
Da hingen Malereien von erstaunlicher Unverständ-
lichkeit. Bunt zusammengewürfelte, farbige Flächen,
ein Chaos scheinbar planloser Pinselstriche, ein Gewühl
von Grundfarben, gestaltlos, wirr, verschoben. Auch
Tuchstücke waren in unregelmässigen Formen und ver-
schiedenen Farben zu seltsamen Mosaiken zusammen-
gestellt. Da und dort gewahrte man Landschaften und
Darstellungen menschlicher Körper, die von Kinderhand
gemalt schienen und dennoch das Gesuchte ihrer Un-
beholfenheit nicht verleugnen konnten. Einige Blei-
stift- und Tuschzeichnungen kamen unserem Verständ-
nis und Empfinden entgegen, aber auch sie trugen noch
das deutliche Gepräge einer erzwungenen Einfalt. Nur
im hintersten Zimmerchen stiessen wir auf einige Zeich-
nungen und Aquarelle, denen keine verräterische Spuren
technischen Könnens anhafteten und die wohl von Kin-
derhand stammen konnten.
Wir kehrten zur Kasse zurück und baten die Dame
um einige Aufklärungen. Es stellte sich heraus, dass
auch sie zum Kreise der Dadaisten gehörte und eine
Wand mit Werken belegt hatte. Sie war mager und
sehr bleich. Ihre Augen besassen einen starken, fie-
berigen Glanz und auf ihrem Gesichte lag ein schmerz-
licher Zug langer, seelischer Leiden. Das Haar trug
sie kurz geschnitten wie ein Knabe. Sie stand aufrecht
in einer Ecke und antwortete auf unsere Fragen. Aus
ihrem leisen, eindringlichen Tone klang eine geheime
Angst vor Spott, die sich im Laufe des Gesprächs all-
mählich verflüchtigte. Ihr ganzes Wesen bat unbewusst
um Schonung.
„Wie kamen Sie zu dem Worte Dada?"
„Dada sagt das Kind, das etwas bezeichnen möchte.
Es ist die einfachste, primitivste Art der Bezeichnung.
*) Wir bringen dieses in der Schweizer Zeitung
„Der Bund" erschienene Feuilleton, zur Charakteristik
des „Dadaismus", zum Abdruck.
Dada ist ein Urwort, das viel mehr umfasst, als irgend-
ein modernes Wort. Es ist die erste Äusserung des
Menschen, die noch keine Bildungselemente erkennen
lässt und ganz ursprünglich ist. Wir haben dieses Wort
gewählt, weil es unsere Kunst am besten zu kennzeich-
nen vermag."
,Ihre Kunst macht demnach den Anspruch, ähn-
liche Eigenschaften zu besitzen, wie Sie diesem Worte
zuschreiben? Gestatten Sie, dass wir auf Ihr persön-
liches Schaffen eingehen, da wir doch Ihre Werke hier
vor Augen haben! Wollen Sie uns sagen, ob Sie zu-
erst das Programm dieser Richtung gekannt oder zuerst
unbewusst danach geschaffen haben?'
„O glauben Sie nicht, dass wir nur nach pro-
grammatischen Gesichtspunkten schaffen! Was mich
betrifft, so erlebe ich meine Werke. Ich sehe alle diese
Farben wirklich vor mir, diese Gestalten und Land-
schaften gehen lebendig durch meine Träume. Ich bin
genötigt, mich ihrer auf diese Art und Weise zu ent-
ledigen."
,Aber wie kommen Sie dazu, diese Aeusserungen
für Kunstwerke zu halten?'
„Weil es Menschen gibt, die daran Gefallen finden,
ja entzückt davon sind, und weil ich an meine Sen-
dung glaube."
.Verzeihen Sie, aber was uns betrifft, wir finden
weder Gefallen daran, noch verstehen wir etwas davon.'
„Das ist begreiflich. Die Menschen werden un-
serer Kunst aber immer mehr Verständnis entgegen-
bringen, je mehr die moderne Kultur auf der einge-
schlagenen Bahn fortschreitet."
,Aber Sie müssen Ihre Kunst doch sicher auch vor
uns irgendwie rechtfertigen können? Wir versichern
Sie, dass wir ernst, vorurteilslos und allen wirklichen
Gründen zugänglich sind!'
„Gewiss kann ich das! Wir schaffen mit weiten
Ausblicken und unsere Kunst besitzt eine kulturelle
Perspektive."
Hier nahm das Gesicht der Sprechenden einen
neuen, vergeisterten Ausdruck an. Sie schien ganz in
sich zu versinken, um das letzte Geheimnis ihres Schaf-
fens zu enthüllen. Etwas unsicher, aber mit einer from-
men Scheu sprach sie weiter. Ihr Kopf war leicht zu-
rückgelegt, die Augen standen weit offen und glänzten.
Sie sagte:
„Alles Grosse ist einfach. Die moderne Kultur
aber hat durch ihre ungeheure Differenzierung jede
Grösse verloren. Sie ist zersplittert und nichts scheint
mehr imstande zu sein, ihre Kräfte zusammenzufassen.
Die Träger dieser Kultur, die modernen Menschen, sind
im Innersten zerrissen und kaum mehr fähig, im Ein-
fachen das Grosse zu erkennen. Sie jagen unersättlich
nach neuen Eindrücken und entfernen sich immer weiter
vom Ursprünglichen. Die Welt ist aus dem Gleichge-
wicht geraten. Wir Künstler erfassen diesen Zustand
viel intensiver und leiden unendlich viel mehr darunter,
als andere Menschen. Wir sind deshalb auch berufen,
an der Gesundung der modernen Kultur zu arbeiten.
Wir kennen das Mittel: Es ist die bedingungslose Rück-
kehr zum Einfachsten, zum Primitiven, zum Uranfang.
Wir schaffen die Kunst der Zukunft, die einfach und
gross ist und von jedem Kinde, von jedem unverbil-
deten Menschen verstanden werden kann. Wir werden
die Welt wieder in ihr Gleichgewicht bringen."
Der hohe Ernst und die Ueberzeugung, die aus den
nachdrücklichen Worten der Künstlerin zu uns sprachen,
machten uns klar, dass auch die besten Einwendungen
wirkungslos bleiben würden. Wir nickten schweigend
und empfanden beide, wie hier mit Spott und Gelächter
heilige Gefühle tief verletzt werden konnten. Obwohl
uns die bunten Wände nicht im geringsten mehr an-
zogen, gingen wir doch noch einmal durch die Reihe
der Zimmerchen; ehrfürchtig und pietätvoll gingen wir
Münchner kunsttechnische Blätter
!7
welche du mit Gips zu grundieren hast. Dann lasse
es trocknen. Nimm nun von deinem ersten star-
ken Leim und gib mit deinem Pinsel zwei Lagen
davon über die Arbeit, und lasse es immer zwischen
dem einen und dem andern Male trocknen. Und
es bleibt so trefflich mit Leim grundiert. Und
was der erste Leim beiwirkt? Er wirkt hier bloss
als eine schwache Flüssigkeit, und eben gleichsam,
wie wenn du gefastet hättest und einige Bissen
Konfekt zu dir genommen und ein Glas guten Wein
getrunken, als eine Anregung des Appetites zum
Mittagmahl. So ist dieser Leim und gewinnt das
Holz für die Aufnahme des (übrigen) Leimes und
Gipses."
(Fortsetzung folgt.)
Dada.*)
Wir hatten eine harte Kasernenwoche hinter uns
und schlenderten wieder einmal, nach Farben und Klän-
gen lüstern, die Bahnhofstrasse hinunter. Ein unauf-
fälliges Plakat wies uns den Weg nach dem modern-
sten Kunstsalon der Stadt. An der Kasse sass eine
junge, ausländische Dame. Wir waren die einzigen
Besucher und durchwanderten langsam eine Reihe kleiner
Zimmer, deren Wände mit Werken der Dadaisten dicht
besetzt waren. Mein kunstverständiger Kamerad ant-
wortete auf den ersten Eindruck in komischer Ent-
rüstung mit einem: O heiliger Sebastian! Die Dame,
die uns gefolgt war, ging, mit einem Schatten wehmüti-
ger Enttäuschung auf dem Gesicht, langsam wieder
hinaus.
Da hingen Malereien von erstaunlicher Unverständ-
lichkeit. Bunt zusammengewürfelte, farbige Flächen,
ein Chaos scheinbar planloser Pinselstriche, ein Gewühl
von Grundfarben, gestaltlos, wirr, verschoben. Auch
Tuchstücke waren in unregelmässigen Formen und ver-
schiedenen Farben zu seltsamen Mosaiken zusammen-
gestellt. Da und dort gewahrte man Landschaften und
Darstellungen menschlicher Körper, die von Kinderhand
gemalt schienen und dennoch das Gesuchte ihrer Un-
beholfenheit nicht verleugnen konnten. Einige Blei-
stift- und Tuschzeichnungen kamen unserem Verständ-
nis und Empfinden entgegen, aber auch sie trugen noch
das deutliche Gepräge einer erzwungenen Einfalt. Nur
im hintersten Zimmerchen stiessen wir auf einige Zeich-
nungen und Aquarelle, denen keine verräterische Spuren
technischen Könnens anhafteten und die wohl von Kin-
derhand stammen konnten.
Wir kehrten zur Kasse zurück und baten die Dame
um einige Aufklärungen. Es stellte sich heraus, dass
auch sie zum Kreise der Dadaisten gehörte und eine
Wand mit Werken belegt hatte. Sie war mager und
sehr bleich. Ihre Augen besassen einen starken, fie-
berigen Glanz und auf ihrem Gesichte lag ein schmerz-
licher Zug langer, seelischer Leiden. Das Haar trug
sie kurz geschnitten wie ein Knabe. Sie stand aufrecht
in einer Ecke und antwortete auf unsere Fragen. Aus
ihrem leisen, eindringlichen Tone klang eine geheime
Angst vor Spott, die sich im Laufe des Gesprächs all-
mählich verflüchtigte. Ihr ganzes Wesen bat unbewusst
um Schonung.
„Wie kamen Sie zu dem Worte Dada?"
„Dada sagt das Kind, das etwas bezeichnen möchte.
Es ist die einfachste, primitivste Art der Bezeichnung.
*) Wir bringen dieses in der Schweizer Zeitung
„Der Bund" erschienene Feuilleton, zur Charakteristik
des „Dadaismus", zum Abdruck.
Dada ist ein Urwort, das viel mehr umfasst, als irgend-
ein modernes Wort. Es ist die erste Äusserung des
Menschen, die noch keine Bildungselemente erkennen
lässt und ganz ursprünglich ist. Wir haben dieses Wort
gewählt, weil es unsere Kunst am besten zu kennzeich-
nen vermag."
,Ihre Kunst macht demnach den Anspruch, ähn-
liche Eigenschaften zu besitzen, wie Sie diesem Worte
zuschreiben? Gestatten Sie, dass wir auf Ihr persön-
liches Schaffen eingehen, da wir doch Ihre Werke hier
vor Augen haben! Wollen Sie uns sagen, ob Sie zu-
erst das Programm dieser Richtung gekannt oder zuerst
unbewusst danach geschaffen haben?'
„O glauben Sie nicht, dass wir nur nach pro-
grammatischen Gesichtspunkten schaffen! Was mich
betrifft, so erlebe ich meine Werke. Ich sehe alle diese
Farben wirklich vor mir, diese Gestalten und Land-
schaften gehen lebendig durch meine Träume. Ich bin
genötigt, mich ihrer auf diese Art und Weise zu ent-
ledigen."
,Aber wie kommen Sie dazu, diese Aeusserungen
für Kunstwerke zu halten?'
„Weil es Menschen gibt, die daran Gefallen finden,
ja entzückt davon sind, und weil ich an meine Sen-
dung glaube."
.Verzeihen Sie, aber was uns betrifft, wir finden
weder Gefallen daran, noch verstehen wir etwas davon.'
„Das ist begreiflich. Die Menschen werden un-
serer Kunst aber immer mehr Verständnis entgegen-
bringen, je mehr die moderne Kultur auf der einge-
schlagenen Bahn fortschreitet."
,Aber Sie müssen Ihre Kunst doch sicher auch vor
uns irgendwie rechtfertigen können? Wir versichern
Sie, dass wir ernst, vorurteilslos und allen wirklichen
Gründen zugänglich sind!'
„Gewiss kann ich das! Wir schaffen mit weiten
Ausblicken und unsere Kunst besitzt eine kulturelle
Perspektive."
Hier nahm das Gesicht der Sprechenden einen
neuen, vergeisterten Ausdruck an. Sie schien ganz in
sich zu versinken, um das letzte Geheimnis ihres Schaf-
fens zu enthüllen. Etwas unsicher, aber mit einer from-
men Scheu sprach sie weiter. Ihr Kopf war leicht zu-
rückgelegt, die Augen standen weit offen und glänzten.
Sie sagte:
„Alles Grosse ist einfach. Die moderne Kultur
aber hat durch ihre ungeheure Differenzierung jede
Grösse verloren. Sie ist zersplittert und nichts scheint
mehr imstande zu sein, ihre Kräfte zusammenzufassen.
Die Träger dieser Kultur, die modernen Menschen, sind
im Innersten zerrissen und kaum mehr fähig, im Ein-
fachen das Grosse zu erkennen. Sie jagen unersättlich
nach neuen Eindrücken und entfernen sich immer weiter
vom Ursprünglichen. Die Welt ist aus dem Gleichge-
wicht geraten. Wir Künstler erfassen diesen Zustand
viel intensiver und leiden unendlich viel mehr darunter,
als andere Menschen. Wir sind deshalb auch berufen,
an der Gesundung der modernen Kultur zu arbeiten.
Wir kennen das Mittel: Es ist die bedingungslose Rück-
kehr zum Einfachsten, zum Primitiven, zum Uranfang.
Wir schaffen die Kunst der Zukunft, die einfach und
gross ist und von jedem Kinde, von jedem unverbil-
deten Menschen verstanden werden kann. Wir werden
die Welt wieder in ihr Gleichgewicht bringen."
Der hohe Ernst und die Ueberzeugung, die aus den
nachdrücklichen Worten der Künstlerin zu uns sprachen,
machten uns klar, dass auch die besten Einwendungen
wirkungslos bleiben würden. Wir nickten schweigend
und empfanden beide, wie hier mit Spott und Gelächter
heilige Gefühle tief verletzt werden konnten. Obwohl
uns die bunten Wände nicht im geringsten mehr an-
zogen, gingen wir doch noch einmal durch die Reihe
der Zimmerchen; ehrfürchtig und pietätvoll gingen wir