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Münchner kunsttechnische Blätter — 15.1918-1919

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Nr. 10
DOI Artikel:
Die Lehre vom "goldenen Schnitt" und seine Anwendung [2]
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Berger, Ernst: 25 Jahre Münchener Maltechnik [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.36588#0057

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Münchner kansttecimitche Blätter

goldene Zirkel" ist eine geistvolle Uebertragung
der Teilung nach dem Prinzip des goldenen
Schnittes auf den Zirkel. Die beiden Schenkel
des Zirkels (s. Figur i) tragen in der Teilung nach
der obigen Regel in den Punkten f und e be-
wegliche Teile, die im Punkte c (ebenso be-
weglich) sich vereinigen. Die Länge der Schenkel
beträgt I $ cm. Punkt f (major) cm und
Punkt e (minor) $1/2 cm, teilen die Schenkellänge
in obgedachter Art. Bei Oeffnung der Schenkel
werden gleichzeitig die beweglichen Mittelglieder
mitbewegt, eine Linie ab wird in Punkt c
genau nach der Regel des goldenen Schnittes
geteilt.
Durch diese geistvolle Konstruktion ist es un-
gemein einfach, jede Linie sofort in den Major
und Minor zu zerlegen, um sozusagen automatisch
die Grössen zu Anden, die man sucht. Jede
rechnerische Mühe wird überflüssig.
Der Zweck des Göringerschen Instruments liegt
klar zutage. Das Nachmessen der Grössenver-
hältnisse wird erleichtert; man nehme irgend eine
Abbildung eines Kunstwerkes und messe die Haupt-
punkte der Darstellung, ihre Entfernung vom Bild-
rand, ihre Stellung zu Haupt- und Nebensachen,
ihre Linienführung (Diagonale); dann beobachte
man die Fälle, in denen der goldene Zirkel ab-
weichende Ausschläge gibt, wo also das Gesetz
des goldenen Schnittes nicht eingehalten ist.
Neuere Werke, die unser Missfaüen irgendwie
erregen, eignen sich auch dazu, um Gegenbeispiele
zu bieten. Endlich nehme man seine eigenen
Arbeiten (und falls sie zu gross sind, visiere man
zwischen den Zirkelenden), man vergleiche, worin
sie mit dem Gesetz des goldenen Schnittes über-
einstimmen, und falls sich erhebliche Differenzen
zeigen. Man überlege dann, ob es praktisch wäre,
Besserungen anzubringen, worin sie bestehen
können, und ob es überhaupt nötig ist, sich an
die Teilung durch den goldenen Schnitt zu halten.
Jedenfalls bietet sich Anlass, über das Gesetz
und seine Anwendung für die eigene künstlerische
Produktion nachzudenken. Warum habe ich die
Grössen der Figuren so gewählt? Warum die
eine Figur nach einer Seite gerichtet und die
Distanz von den Übrigengerade sogross angesetzt?
Warum wird die Gewandung an dieser Stelle an-
genehm unterbrochen, an der anderen nicht? Warum
habe ich das Hauptlicht an diese Stelle gesetzt
und warum nicht an eine andere? So wird der
Maler sich über jede Stelle seiner Arbeit Rechen-
schaft geben, ebenso wird der Architekt, der Bild-
hauer, der Kunstgewerbler und der Kunsthand-
werker Vorgehen können und den goldenen Schnitt
zum Ratgeber nehmen, wenn ihnen irgend eine
Stelle der Arbeit Schwierigkeiten macht.
Ein Instrument wie Göringers Goldener Zirkel
sollte deshalb in jeder kunsttechnischen Werkstatt
vorhanden sein, wenn auch nach Leonardos Aus-


spruch „der Künstler seinen Zirkel im Auge haben
müsse".
(Fortsetzung folgt.)
25 Jahre Münchener Maltechnik.
Von E. B.
(2. Fortsetzung.)
Diese Umstände waren nicht unbeachtet ge-
blieben, denn wie zu allen Zeiten, suchte man nach
den Ursachen des Uebels und trachtete Abhilfe
zu schaffen. Worin lag es, dass neu entstandene
Bildwerke schnellerem Verfalle ausgesetzt waren
als ältere, schon vor Generationen gemalte? Lag
es an dem Material, das in früherer Zeit umsich-
tiger bereitet wurde, während der grosse Fabriks-
betrieb neuerer Zeit leichtsinniger arbeitete? Oder
lag es in der Art der Verarbeitung gegenüber der
solidenTechnik von früher? Die Farbenfabrikanten,
die Dank der wissenschaftlichen Erfolge die Er-
gebnisse der neuen Chemie sich zu Nutze machten
und allen Ansprüchen in Hinsicht auf Farbstoffe
genügen konnten, waren geneigt, die Schuld auf
die Schultern der Verbraucher zu wälzen; denn
sie sagten: „Wir arbeiten nach kaufmännischen
Grundsätzen, wir liefern Euch, was Ihr von uns
verlangt; ob diese Farben sich mit Euren Tech-
niken vertragen, welche davon sich ohne Nachteil
vermischen lassen, das ist Eure Sache! So viel
chemische Kenntnisse müsst Ihr eben haben, um
zu wissen, ob sich kupferhaltige oder Bleifarben
mit Schwefelfarben und mit Euren Bindemitteln
vertragen oder nicht. Es ist Sache des Hand-
werkers, sein Material zu prüfen und nur das für
seine Zwecke Passende zu wählen usw."
Diese mehr oder weniger berechtigte Forderung
fand in den Berufskreisen Wiederhall und das Ver-
langen, einen chemischen Berater in der Nähe der
Maler zu haben, der „Schrei" nach dem Farben-
chemiker wurde laut. An jede Kunstschule ge-
höre ein Chemiker, der auch den Künstler über
die Zusammensetzung, das chemische Verhalten der
Farben untereinander und mit dem Untergrund
sowie den Bindemitteln Aufklärung zu geben habe.
Dieser Einsicht konnten sich die Unterrichtsbe-
hörden nicht verschliesen und so sehen wir, zu-
nächst an der Wiener Kunstakademie und Kunst-
gewerbeschule die Errichtung eines chemisch-tech-
nischen Loboratoriums mit. einem tüchtigen Fach-
mann (Prof. F. Linke) an der Spitze, der auch Vor-
träge über „Chemie in der Maltechnik-' abhielt;
in der gleichen Zeit, Anfang der 70er Jahre, haben
daselbst auch Vorträge über optische Farbenlehre
durch den Physikprofessor Dr. Ditscheiner statt-
gefunden. Dem Wiener Vorbilde folgte bald die
Berliner Kunstakademie, während die Münchener
vorerst sich abwartend verhielt. Die Maler brauch-
ten, so meinte man, sich nicht um die Chemie der
Farben zu bekümmern, das wäre Sache der Fach-
 
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