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Münchner kunsttechnische Blätter — 15.1918-1919

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Nr. 9
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Die Lehre vom "goldenen Schnitt" und seine Anwendung [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.36588#0049

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Minchen, 21. Jan 1919
Setup) :ar „Wertutatt der Hunt" (E. A. Saaataaa, LMpztp),
Eraohetat 14 tägig aatar Leltaag vaa MalerProf. EraatBarger.
iV. Jahrs. Kr $
Inhalt: Die Lehre vom „goldenen Schnitt" und seine Anwendung. — 25 Jahre Münchner Maltechnik. Von
E. B. (1. Fortsetzung.) — Geschichte der GrundP.ungsmethoden für Holztafeln und Leinwänden.
(8. Fortsetzung.) — G. Hirth: Der Begriff des spezifisch Künstlerischen. — Retouchen und Fixierungen
an Fresken. Von Eugen Bartl, Augsburg.

Die Lehre vom „goldenen Schnitt" und seine Anwendung.
Mit 5 Abbildungen.

I.
Wie weit die Lehre und die Anwendung des
„goldenen Schnittes" in früheste Zeiten zurück-
reicht, ist eine Frage, die der Htstoriker vielleicht
beantworten könnte. Jedenfalls haben die Klassiker
der antiken Welt schon das Problem zu lösen
versucht, auf einfachem, rechnerischem Wege zu
Grundlagen zu gelangen, auf denen die Prinzipien
der Harmonie bei der Architektur und den damit
zusammenhängenden bildenden Künsten beruhen
könnten.
Es ist möglich oder sogar wahrscheinlich, dass
die antiken Baumeister und Kunsttreibenden von
Natur aus die Gabe und richtige Empfindung für
das wirksam Schöne hatten, dass sie vielleicht
von Jugend auf ihr Augenmerk auf das allgemein
Kunstschöne lenkten und dass sich daraus eine
Art Gesetzmässigkeit ausgebildet haben wird.
Dass sie ganz bestimmte Grössenverhältnisse, ganz
bestimmte Regeln für Symmetrie, Eurythmie, Pro-
portion u. a. aufstellten, nach denen sie ihre
Tempel bauten, ihre Altäre mit Skulpturen
schmückten, ihre Vasen formten und verzierten,
ist nach den auf unsere Zeit gekommenen Denk-
mälern der klassischen Zeit sicher. Ja, schon
der Ausdruck „klassisch" deutet auf den Höhe-
stand all der künstlerischen Kultur hin, den das
Altertum in dieser Hinsicht geschaffen hatte.
Waren es nun die Künstler an sich, oder die
„Mathematiker", auf deren Kunst das System der
rechnerisch festgelegten Schönheit basiert war?
Die ersteren sind ihrer Natur nach impulsiv, sie
schaffen nach ihrer Empfindung; ihrer Genialität

gelingt vielleicht von selbst, ohne Mühe, was von
anderer Seite durch viele und stetige Arbeit erst
nach und nach erreicht werden könnte. Wenn
nun gar der Mathematiker mit Zirkel und Mass-
stab nachzuweisen sucht, worin die Grundlagen
für das Erkennen der Schönheit, des Wohllauts
der Linien und Formen bestehen können, und
das Ergebnis dieser Messungen mit denen der
künstlerischen Schöpfungen auffallend überein-
stimmt, dann kann von einem allgemein gültigen
Naturgesetz gesprochen werden. Denn schliess-
lich sind die Empfindungen bei der künstlerischen
Tätigkeit auch auf natürlichem Wege vor sich
gegangen, wie viele andere Naturerscheinungen.
Dieses allgemein gültige Naturgesetz, der
Masstab für alles, was wir unter Wohllaut der
Form, Linien und Flächen verstehen, besteht in
dem Teilungsprinzip, das wir mit dem Namen
„der godene Schnitt" zu bezeichnen pflegen, und
da dieses Teilungsprinzip bei vielen Werken der
Schöpfung beobachtet werden kann, nannte man
es zu Zeiten der Renaissance auch die „göttliche
Proportion" (la divina Proportione).
Es müsste einer besonderen Untersuchung
Vorbehalten bleiben, wann eigentlich das Prinzip
des „goldenen Schnittes" zuerst bekannt wurde
und wann es insbesondere für künstlerische Zwecke
verwertet worden ist.
Die Literatur über dieses Thema ist ziemlich
ausgedehnt, sie reicht jedenfalls bis in die Zeit
des Humanismus zurück. Neuerer Zeit hat ein
geistreicher Gelehrter A. Zeising in „Aesthetischen
Forschungen" wichtiges Material zusammen-
 
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