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Münchner kunsttechnische Blätter — 15.1918-1919

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Nr. 3
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Fritsch, Gustav: Ueber die graphischen Methoden zur Bestimmung der Verhältnisse des menschlichen Körpers [1]
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Geschichte der Grundierungsmethoden für Holztafeln und Leinwanden [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.36588#0015

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Münchner kunsttechnische Blatter

Nr. 3

'S

„zu welchen der menschliche Organismus
durch seine Entwicklung hinstrebe". Er
legt ihnen „eine schöne Gesetzmässigkeit" bei und
schöpft aus ihrer Erkenntnis die Ueberzeugung,
warum das Wachstum in normalem Zustande fort-
gehen müsse, bis dadurch eben diese Verhält-
nisse im Wesentlichen erreicht seien, warum es
aber auch alsdann stillstehe und nicht weiter fort-
schreiten könne".
Ebenso hatte Carl Schmidt schon vor ihm
für die von ihm erdachte Proportionslehre ein Ge-
setz als Grundlage benutzt, welche sich trotz seines
abweichenden Wortlautes unverkennbar an die
soeben angeführten lehnt.
Indem diese Forscher, im Streben, die ideale
Schönheit zu umgrenzen, es gar nicht vermeiden
konnten, den realen Verhältnissen nachzugehen,
haben sie im Sinne einer zukünftigen, tieferen Ein-
sicht gearbeitet, während die von den letzteren
sich mehr und mehr entfernende spekulative Rich-
tung zur Zeit gänzlich den Boden verloren hatte.
Der Hogarth'sche Hinweis auf die Bewegungs-
möglichkeiten, Carus' Betonung der in den Ver-
hältnissen gegebenen normalen Entwicklung und
die Bedeutung der Schmidt'sehen Drehungs-
punkte der Glieder, worauf sogleich zurückzukom-
men ist, Allem liegt — wenn auch noch unklar
und verschleiert— das Lamarck'sche Gesetz der
Anpassung zugrunde, welche später vom geistrei-
chen Darwin (nach meiner Ueberzeugung zu eng
gefasst) als das Ueberleben des Passendsten aus-
gebeutet wurde.
Wenn sich die menschliche Gestalt in bestimm-
ten, gegebenen Verhältnissen zeigt, so dürfen wir
uns überzeugt halten, dass mit grosser Wahrschein-
lichkeit diese als die geeignetsten für die augen-
blicklichen Daseinsbedingungen sich herausgebil-
det haben; wenn die Verhältnisse sich schwankend,
unsicher und wechselnd zeigen, kann man anneh-
men, dass die Vollkommenheit der möglichen
stammesgeschichtlichen Entwicklung aus irgend-
welchem Grunde noch nicht erreicht wurde. Eine
wirklich genau zutreffende Forme! für die ideal-
normale Gestalt würde im Bereich ihrer Gültigkeit
beweisen, dass die menschliche Entwicklung ihren
Höhepunkt innehat.
Bildet sie ein Künstler, gleichsam vorahnend,
vermöge seiner besonderen, höheren Begabung,
so zeigt er uns das Ziel unserer normalen Ent-
wicklung, welches zu erreichen wir berufen sind,
freilich ohne Gewähr oder selbst Wahrscheinlich-
keit, dass wir es jemals wirklich erreichen könnten.
Der Mensch als Kulturträger, dessen Auf-
gaben stets umfangreicher und mannigfaltiger wer-
den, hat sich im Lauf der Jahrtausende durch
Naturauslese diesen Anforderungen nach Möglich-
keit angepasst; das Resultat dieses Anpassungs-
prozesses sehen wir heute vor uns, es befriedigt
den Beschauer, indem er ihm den Eindruck einer

gewissen, erreichten Vollkommenheit vergegen-
wärtigt, und solches wird gerade als das Schöne
empfunden. Die von der Natur gebotene Mannig-
faltigkeit der Anforderungen verhindert eine ein-
seitige Ausbildung, und so wird die von den Alten
für den Schönheitsbegriff geforderte Mannigfaltig-
keit bei aller Einheit gewährleistet. In dieser
Weise wird die Gesetzmässigkeit schön
und das Schöne gesetzmässig.
Der Nachweis, dass gerade ein bestimmtes
Verhältnis in der menschlichen Gestalt das denk-
bar Beste sei, dürfte nach Lage der Dinge wohl
niemals zu führen sein; es können verschiedene
Lösungen des Problems annähernd gleiche Ergeb-
nisse der Leistungen ermöglichen, und darum ist
es auch vom naturwissenschaftlichen Standpunkte
voll berechtigt, dass wirklich gottbegnadete Künst-
ler ein sklavisches Festhalten an irgendeiner Pro-
portionslehre von allgemeiner Gültigkeit als lästige
Fessel empfanden und im idealen Fluge ihrer Phan-
tasie nach Bedarf mit Glück abstreiften.
In anderen Fällen, wo ein offenbar beabsich-
tigtes Verlassen der realen Verhältnisse in auf-
fallender Weise hervortritt, ging man wohl auch
von der Natur aus, schematisierte dieselbe aber,
sei es aus technischen Gründen, sei es aus ein-
seitig entwickelter Geschmacksrichtung, sehr häufig
auch aus Bequemlichkeit und Gewohnheit.
(Fortsetzung folgt.)
Geschichte der Grundierungsmethoden
iiir Hoiztaiehi und Leinwänden.
(2. Fortsetzung.)
§ 6 Wie man für Bilder den Gipsgrund macht.
„Wenn du auf Bilder Gipsgrund legen willst,
und dieselben gross oder deren viele sind, so lass
Häute kochen, um neuen Leim zu bereiten, wie
wir dich gelehrt haben, da der alte Leim sauer
wird, wenn man viel Zeit braucht, um den Gips-
grund der Bilder zu legen. Hast du aber Eile
und sind der Bilder wenige, so mache es also:
Brich trocknen Leim in Stücke; tue dieselben abends
in einen Topf oder ein anderes Gefäss mit Wasser,
damit er bis zum Morgen aufweiche; und das Ge-
fäss musst du an einem kühlen Orte haben, damit
er nicht verderbe. Stelle ihn dann auf, dass er
koche und rühre ihn mit einem Stück Holz, bis
er zergangen ist. Nimm davon einigen Leim, so-
viel hinreicht, den Bildern gemäss, die du hast,
und giesse ein bisschen Wasser hinzu, damit er
dünner werde. Ziehe eine Lage (Leim) dünn über
dieselben, indem du acht gibst, dass der Leim
nicht schillert und dass du nicht zulässt, dass sich
Blasen bilden, sondern das Brett muss ihn auf-
saugen. Scheint die Sonne, so setze ihren Strahlen
diese erste Deckung aus, damit (die Feuchtigkeit)
einziehe; später darfst du das Brett der Sonne
 
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