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Münchner kunsttechnische Blätter — 15.1918-1919

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Nr. 10
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Georg Hirth: der Begriff des "spezifisch Künstlerischen" [2]
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Literatur
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6o

Münchner kunsttechnische Blätter

Nr. to

gewöhnliche Vorgeschichte fast aHer Konkurrenzent-
würfe mit und ohne Preis, deren Ausschreibung sogar
meistens mit iästigen Beschränkungen der künstlerischen
Freiheit verknüpft ist. Und doch war das Resultat
solcher Aufträge mit „logisch gebundener" Marsch-
route oft genug ein wirkhch respektables Kunstwerk.
Eines der merkwürdigsten Beispiele ist Dürers Triumph-
pforte des Kaisers Maximilian, deren bizarre Disposi-
tion aus der kaiserhchen Hofkanziei dem Meister
Aerger und Kopfzerbrechen genug bereitet hat. und
weiches unter seiner Hand trotzdem zu einem „Kunst-
werk" ward.
Eine weitere Konsequenz unserer Auffassung ist
es, wenn wir die Unterscheidung von „reinen" und
„unreinen" Kunstschöptungen ablehnen. Als „reine"
soiien nur sotche geiten, bei welcher der Künstler
„keinen Zweck" im Auge hatte, als „unreine" solche,
bei denen er sich in den Dienst einer symbolischen,
lehrhaft-poetischen oder kunstgewerblichen (dekora-
tiven) Aufgabe gestellt. Aber wo sind jene „Kunst-
schöpfungen ohne Zweck" zu finden? Ich kenne
keine! Von der Madonna Raffaels und Holbeins und
dem Sixtinischen Himmel Michel Angelos bis zu den
Landschaften eines Ruysdael und der Helldunkel-
Studien eines Rembrandt oder Peter de Hoogh —
nirgends vermissen wir die Absicht, und beruhte diese
auch nur in der zielbewussten Wiedergabe eines inter-
essanten Farbenspiels oder der Empfindung einer
schönbewegten Linie. Man beeinträchtigt aber nicht
nur die allgemeine Freude an der Kunst, sondern be-
geht auch eine Ungerechtigkeit gegen die Künstler,
wenn man gelungene, bedeutende Werke von vorn-
herein als Kunstschöpfungen niederer Gattung nur
deshalb bezeichnet, weil sie einen Zweck hatten!
Nehmen wir selbst an, es liege hier nur eine
missverständliche Ausdrucksweise vor; der gelehrte
Physiologe habe etwa sagen wollen: „Als wahre und
reine Kunstwerke kann ich nur solche anerkennen,
deren Hauptzweck in der Befriedigung eines bloss
künstlerischen (oder rein ästhetischen) Bedürf-
nisses besteht." Auch dann hätte er Unrecht. Denn
das vollendete Kunstwerk befriedigt als solches eben
nur dadurch, dass es formell tadellos ist; ob es
diesen oder jenen Zweck hatte, ist ja für die gerechte
Kritik ganz gleichgültig. Man kann sogar sagen: wenn
zwei Kunstwerke von gleicher origineller Bedeutung
konkurrieren, von denen das eine prätentiös als
„reine" Kunstschöpfung ohne praktischen Neben-
zweck, das andere als bescheidene Dekoration eines
Gebrauchsgegenstandes auftritt, so wird der ehrliche
Kunstkritiker sicherlich dem letzteren Werke den
Vorzug geben. Und nicht bloss deshalb, weil die Be-
scheidenheit an sich schon anziehend wirkt, sondern
weil wir bei dem Künstler, der in der Unterordnung
unter neue praktische, der Kunst an sich fremde Auf-
aben ebenso Bedeutendes zu leisten vermag, wie sein
urch solche Fesseln nicht beeinträchtigter Kollege,
einen höheren Aufwand von künstlerischer Intelligenz
voraussetzen dürfen. Darum hat auch die Unter-
scheidung von „freien" und „unfreien" Künstlern für
die Beurteilung der künstlerischen Gestatungskraft
eine nur nebensächliche Bedeutung: ausschlaggebende
Bedeutung vielleicht für den Gebrauchswert, für den
Marktpreis, nicht aber für die Kunstkritik.
In den Fragen der Kunstkritik müssen wir uns
überhaupt hüten, den Vorurteilen und oft kleinlichen
Gewohnheiten eines gesellschaftlichen Verkehrs und
Privatlebens Raum zu geben. Ein Gemälde über das
andere zu stellen, nur weil das eine von einem Baron,
das andere von einem Bürgerlichen gemalt ist, eine
solche Ungerechtigkeit kommt allerdings nur in künst-
lerisch ganz „exklusiven" Kreisen vor; dass sie wirk-
;ich vorkommt, ist jedoch Tatsache. Schon viel
weitere Kreise sieht das Vorurteil, dass das Werk

eines sogenanten „Kunstmalers" bloss wegen dieser
seiner Provenienz besser sein müsste, als das eines
zünftigen „Stubenmalers". Ueberhaupt ist das grosse
Publikum in seinem kunstkritischen Urteil sehr stark
vom Kastengeist der alten Innungen berührt, wo ja
z. B. der Goldschmied mehr galt als der Holzschnitzer,
nur weil Gold und Silber teurer sind als Holz. Und
wie viel mehr „Kunstwert" wohnt doch in einem
einzigen aus Buchsbaum geschnitzten, mit Recht oder
Unrecht Albrecht Dürer zugesenriebenen Figürchen
als in hundert mittelmässigen Bechern aus getriebenem
Silber!
Nahe verwandt mit dieser Art von Schein- und
Erfolganbeterei ist die Taxation von Kunstschöpfungen
nach dem Grade ihrer technischen Vollendung.
Man erklärt z. B. die von Gehilfenhände punktierte
und bearbeitete Marmorstatue für das eigentliche
Kunstwerk, während man das von der Hand des
Meisters allein herrührende Tonmodell nur als Ent-
wurf, als Vorbereitung gelten lassen will. Wie tiefer-
gewurzelt dieses Vorurteil ist, geht a^s folgender
Darlegung eines bekannten vielgelesenen Philosophen*)
hervor: „Wenn auch das Publikum ein Interesse daran
haben kann, das Werden eines Künstlers und seines
Kunstwerkes zu verfolgen, und deshalb seinen Studien,
Skizzen und Kartons eine liebevolle Beachtung schenkt,
so ist damit öas Zeichnen aber nur als technischer
Behelf der Malerei, aber nicht als selbständige
Kunst gerechtfertigt, und sie wird es auch dann nicht,
wenn der Künstler vor der Ausführung seiner Kartons
hinwegstirbt und derselbe als einziges Denkmal seine
grossen Entwürfe der Nachwelt hinterlässt, da man
es in diesem Falle nicht mit vollendeten Kunst-
werken, sondern mit Entwürfen zu solchen zu tun
hat. Eine gewisse Selbständigkeit wird der Zeichen-
kunst dagegen durch die Bedingungen der Verviel-
fältigung gesichert, weil die Vervielfältigung der Ge-
mälde trotz der Fortschritte des Farbendrucks doch
immer noch auf enge Gebiete beschränkt und an den
Aufwand viel höherer Kosten (!) gebunden ist."
Was in aller Welt aber hat die „gewisse"
Selbständigkeit eines Kunstwerkes mit dem Kosten-
aufwand seiner Herstellung zu tun? Und warum soll
die Silberstiftzeichnung eines Holbein, der Holzschnitt
eines Dürer oder die Radierung eines Rembrandt nicht
ein mindestens ebenso bedeutendes „Kunstwerk" sein,
wie die glatte Malerei eines Adrian van der Werff
oder Denner? Solche Kunstanschauungen sind für den
Liebhaber geradezu unverständlich.
(Schluss folgt.)
Literatur.
Neu erschienen ist:
Wilh. Ostwald, Die Harmonie der Farben.
Verlag Unesma G. m. b. H. Leipzig 1918.
Preis geh. M. I.$0, nebst 30°^ Teuerungs-
Zuschlag.
Dazu werden gesondert geliefert: Die in Wilh.
Ostwalds „Harmonie der Farben" beschriebenen
Farbenplatten zum Studium harmonischer Zu-
sammenstellungen. Der ganze Satz von 15 Platten,
enthaltend 105 Tönchen nebst einem Stück Neutral-
schwarz und Gebrauchsanweisung kostet M. 7$.—, auch
einzelne Platten nach Wahl M. 5.—. Zu beziehen vom
Verlag Unesma G. m. b. H. Leipzig, Kantstrasse 17.
*) Eduard v. Hartmann, Philosophie des Schönen.
S. 645.

Verlag der Werkstatt der Kunst E. A. Seemann, Leipzig
 
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