Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Münchner kunsttechnische Blätter — 15.1918-1919

DOI Heft:
Nr. 22
DOI Artikel:
Die künstlerische Proportionslehre von Vitruv bis Dürer [2]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.36588#0127

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext

Manchen, i8. ittg. 1919

Beüagw zw „Wertutitt der HHMt" (E. A. Seeeeeee, Le!pz!g).
ErMhe!et!4t5g!g eater Leitaag voa Maier Prof. Eraet Berger.

IY. Jahrg. Nr. 22

Inhalt: Die künstlerische Proportionslehre von Vitruv bis Dürer, (t. Fortsetzung.) — 25 Jahre Münchner Mal-
technik (1. Fortsetzung.) Von E. B. — Goethes Farbenlehre in den „Gesprächen" mit I. P. Eckermann.
Zusammengestellt von E. B.

Die künstlerische Proportionsiehre von Vitruv bis Dürer.
(t. Fortsetzung.)

2. Denn die Natur hat den Körper des Men-
schen so gebildet, dass das Angesicht von dem
Kinn bis zum oberen Ende der Stirn und den
untersten Haarwurzeln den zehnten Teil (der
ganzen Körperlänge) ausmacht; das gleiche eben-
soviel die Fläche der Hand vom Handgelenk
bis zum Ende des Mittelfingers, der Kopf vom
Kinn bis zum höchsten Punkte des Scheitels den
achten Teil, ebensoviel vom unteren Ende des
Nackens aus, vom oberen Ende der Brust bis
zu den untersten Haarwurzeln den sechsten, bis
zum höchsten Scheitelpunkte um den vierten Teil
der Gesichtslänge mehr.*) Von der Höhe des
Gesichtes selbst aber ist vom Kinnende bis
zum unteren Ende der Nase ein Dritteil, ebenso-
viel beträgt die Nase von ihrem unteren Ende
bis zu dem in der Mitte der Augenbrauen, von
diesem Endpunkte bis zu den untersten Haar-
wurzeln, wo die Stirne gebildet wird, ist gleich-
falls ein Dritteil. Der Fuss aber misst den
sechsten Teil der Körperhöhe, der Vorderarm den
vierten, die Brust gleichfalls den vierten Teil
(von einer Achsel zur andern. Reber). Auch die
übrigen Glieder haben ihre Massverhältnissa, deren
sich die alten angesehensten Maler und Bildhauer
bedient und dadurch grossen und endlosen Ruhm
erlangt haben.
*) Die Handschriften und meisten Ausgaben geben
quartae (den vierten Teil). Da dies unmöglich ist. in-
dem nach Vitruv selbst die Höhe von den Haarwurzeln
von der Stirne bis zum Scheitel ein Vierzigstel und
und nicht ein Zwanzigstel der Körperlänge beträgt, so
ist die Aenderung unerlässlich. Macht man aus dem
Vierteil ein Fünfteil, so wird auch hier die Differenz
zu gross und beträgt ein Dreissigstel. Marini nimmt
daher an, es seien einige Worte ausgefallen und gibt
statt ad summum quartae — ad summum vaticem tan-
dumdem et oris quartae.

3. In ähnlicherWeise aber müssen die Glieder
der Tempel in Hinsicht auf die Gesamtmasse der
ganzen Grösse in den einzelnen Teilen Massver-
hältnisse haben, die sich einander in vollkom-
menster Uebereinstimmung entsprechen. Der
Mittelpunkt des Körpers ferner ist der Nabel.
Denn wenn ein Mensch mit ausgespannten Händen
und Füssen auf den Rücken gelegt wird und man
den Zirkelpunkt in seinen Nabel einsetzt, so
werden, wenn man die Kreislinie beschreibt,
von den beiden Händen und Füssen Finger und
Zehen von der Linie berührt. Ebenso, wie die
Figur eines Kreises an dem Körper dargestellt
wird, so wird auch die eines Quadrates an ihm
gefunden. Denn wenn man vom unteren Ende
der Füsse bis zur Scheitelhöhe misst und dieses
Mass auf die ausgespannten Hände überträgt, so
wird man dieselbe Breite wie Höhe finden, wie
dies bei Flächen ist, die nach dem Winkelmass
quadratisch gemacht sind. ^
4. Wenn daher die Natur den Körper des
Menschen so gebildet hat, dass die Glieder seiner
ganzen Gestalt in bestimmten Verhältnissen ent-
sprechen, so scheinen die Alten mit Grund es so
festgesetzt zu haben, dass sie auch bei der Aus-
führung von Bauwerken ein genaues Massverhält-
nis der einzelnen Glieder zu der ganzen äusseren
Gestalt beobachten. Wie sie daher bei allen Bau-
werken Ordnungsvorschriften überlieferten, so
taten sie es besonders bei den Tempeln der
Götter, bei welchen Werken Vorzüge und Mängel
ewig zu sein pßegen.
5. Ebenso haben sie die Grundmasse, welche
bei allen Bauwerken notwendig zu sein scheinen,
von den Gliedern des Körpers hergenommen, wie
den Zoll (Finger), Paln (Handfläche), Fuss, die
 
Annotationen