Münchner kunsttechnische matter
3!
Nr 4
verständlich das „X" der Proportions-
lehre, derBeinlänge, injederweiterenEin-
teilung enthalten; exakte Masse sind also in
dieser Weise nicht zu gewinnen. Die Ueberein-
stimmung der Hauptpunkte des Körpers mit Tei-
lungen nach dem goldenen Schnitt, obgleich man
nach Bedarf den Major oben oder unten antragen
kann, pAegt daher auch nur eine mässig unvoll-
kommene, ungenaue zu sein, und wir stehen dem
Schema ratlos gegenüber ohne jeden Anhalt, wo
denn eigentlich die Abweichung liegt und welche
Grösse ihr zu geben ist!' Als wesentliches Resul-
tat der ungefähren Uebereinstimmung bleibt nur
die Ueberzeugung, dass bei der Einteilung nach
dem goldenen Schnitt die Einheit des Ganzen ge-
wahrt wird, während die Verschiedenheit der beiden
Teile für die geforderte Mannigfaltigkeit sorgt; da-
her befriedigt sie und genügt nach der verbreitet-
sten Anschauung dem Schönheitsbegriff. Aber auch
Lamarck's Gesetz der Anpassung kann sich recht
gut mit dem goldenen Schnitt ab Anden; denn das
hierdurch gegebene Verhältnis ermöglicht noch eine
gewisse Geschlossenheit der ganzen Bildung und
darauf beruhende Kraft (die „Einheit"), während
die Verschiedenheit der Teile mannigfache Beweg-
lichkeit und Verwendung der Glieder vermittelt
(die „Mannigfaltigkeit"). Ein überschlanker Rumpf,
allzulange Gliedmassen lassen Schwäche erkennen,
zu dicker Rumpf und kurze Glieder machen den
Eindruck des Ungeschickten.
Wesentliche Fortschritte auch für
anthropologische Zwecke können nur auf
Grund der organischen Bildungsgesetze
desKörpersselbst erreichtwerden. Es ist
davon auszugehen, dass im Embryo der Rumpf
als erste Anlage des Individuums erscheint, die
Gliedmassen aber sich erst später entwickeln und
schon im Mutterleibe, durch die Raumverhältnisse
gebunden, dem bereits angelegten Rumpf sich
anzupassen haben.
(Fortsetzung folgt.)
Geschichte der Grundierungsmethoden
iür Holztatein und Leinwänden.
(3. Fortsetzung.)
Kap. 114. Wie man die Leinwand auf
die Tafel kleben soll.
„Bist du mit dem Leimen fertig, so nimm Ge-
webe, Linnen nämlich, alte, feine, weisse Webe,
ohne jegliche Fette. Nimm deinen besten Leim,
schneide oder reisse grosse und kleine Streifen
von dieser Webe, tränke sie in jenem Leim und
breite sie über die Flächen der Tafel mit den
Händen aus. Und beseitige zuerst die Nahten,
indem du mit beiden Handflächen abgleichest, und
lasse es zwei Tage lang trocknen. Und wisse,
dass das Leimen und Gipsen zu einer trockenen
und windigen Zeit geschehen soll. Der Leim sei
im Winter stärker als im Sommer, ferner (wisse),
dass das Goldaufsetzen im Winter feuchte und
regnerische Witterung verlangt."
Kap. 11$. In welcher Weise man eine
Tafelfläche gipsen soll, mit den Stäbchen
und grobem Gips.
„Wenn die Tafel wohl getrocknet ist, nimm
ein spitzes Messer in der Art einer Raspel, welche
gut schabt. Und fahre über die Fläche, wo sich
Unebenheiten oder irgend eine Naht Andet und
nimm sie weg. Dann nimm groben Gips, nämlich
solchen aus Volterra, welcher gereinigt und wie
Mehl gesiebt ist. Gib davon ein Schälchen voll
auf den Porphyrstein und verreibe ihn tüchtig mit
jenem Leim durch die Kraft der Hände, wie die
Farben. Nun sammle es mit dem Hölzchen, bringe
es auf die Fläche der Tafel und fahre mit einem
gleichmässigen und genügend grossem Stabe über
die ganze Fläche hin, indem du sie damit bedeckst,
und wohin du mit deinem Holze etwas anbringen
kannst, tue es. (Folgt die Angabe Simse, Blatt-
schmuck usw., die vergoldet werden sollen mit
gleichem Gips, mit Hilfe des Pinsels zu überstrei-
chen, das ganze 2 oder 3 Tage trocknen zu lassen,
und nach dem Trocknen mit Hilfe der Raffiette
[i. e. Repariereisen der Vergolder von heute] alle
mangelnden Stellen auszugleichen).
Kap. 116. Wie man den feinen Gips zum
Grundieren der Tafeln bereitet.
„Nun will man, dass du einen Gips gebrauchest,
welcher feiner Gips (gesso sottile) genannt wird.
Dieser ist von dem nämlichen, aber gut ein Monat
lang gereinigt und in einem Kübel feuchtgehalten.
Frische ihn alle Tage mit Wasser auf, dass er ge-
löscht werde, jegliche Hitze davon entweiche, und
er weich wird wie Seide. Schütte dann das Wasser
weg, mache Brödchen daraus und lasse sie trocknen.
Und von diesem Gips verkaufen die Apotheker
uns Malern. Man wendet diesen Gips an, um Gold
aufzusetzen, Reliefs zu machen und schöne Dinge."
Kap. 117. Wie man eine Tafel mit feinem
Gips grundiert und auf welche Weise man
sie herrichtet.
„Wenn du mit grobem Gips grundiert und ge-
schabt und wohlgeglättet und gut und sorgfältig
gleichgemacht hast, so nimm von diesem feinen
Gips, Brödchen um Brödchen, gib ihn in einen Napf
mit reinem Wasser, lasse ihn Wasser einsaugen,
so viel er will. Darauf bringe ein bisschen all-
mählig immer auf den Porphyrstein und ohne neuer-
dings Wasser zuzufügen, mahle es vollkommen,
aufs reinlichste. Gib es dann auf ein Stück Linnen,
das stark und weiss ist. Und das tue so lange,
bis du ein Brödchen fertig hast. Schliesse es dann
in dieses Linnen ein und quetsche es tüchtig, da-
mit so viel als möglich das Wasser herauskomme.
Hast du davon so viel gemahlen, als du bedarfst,
(wobei dir bemerkt werden muss, dass du nicht
3!
Nr 4
verständlich das „X" der Proportions-
lehre, derBeinlänge, injederweiterenEin-
teilung enthalten; exakte Masse sind also in
dieser Weise nicht zu gewinnen. Die Ueberein-
stimmung der Hauptpunkte des Körpers mit Tei-
lungen nach dem goldenen Schnitt, obgleich man
nach Bedarf den Major oben oder unten antragen
kann, pAegt daher auch nur eine mässig unvoll-
kommene, ungenaue zu sein, und wir stehen dem
Schema ratlos gegenüber ohne jeden Anhalt, wo
denn eigentlich die Abweichung liegt und welche
Grösse ihr zu geben ist!' Als wesentliches Resul-
tat der ungefähren Uebereinstimmung bleibt nur
die Ueberzeugung, dass bei der Einteilung nach
dem goldenen Schnitt die Einheit des Ganzen ge-
wahrt wird, während die Verschiedenheit der beiden
Teile für die geforderte Mannigfaltigkeit sorgt; da-
her befriedigt sie und genügt nach der verbreitet-
sten Anschauung dem Schönheitsbegriff. Aber auch
Lamarck's Gesetz der Anpassung kann sich recht
gut mit dem goldenen Schnitt ab Anden; denn das
hierdurch gegebene Verhältnis ermöglicht noch eine
gewisse Geschlossenheit der ganzen Bildung und
darauf beruhende Kraft (die „Einheit"), während
die Verschiedenheit der Teile mannigfache Beweg-
lichkeit und Verwendung der Glieder vermittelt
(die „Mannigfaltigkeit"). Ein überschlanker Rumpf,
allzulange Gliedmassen lassen Schwäche erkennen,
zu dicker Rumpf und kurze Glieder machen den
Eindruck des Ungeschickten.
Wesentliche Fortschritte auch für
anthropologische Zwecke können nur auf
Grund der organischen Bildungsgesetze
desKörpersselbst erreichtwerden. Es ist
davon auszugehen, dass im Embryo der Rumpf
als erste Anlage des Individuums erscheint, die
Gliedmassen aber sich erst später entwickeln und
schon im Mutterleibe, durch die Raumverhältnisse
gebunden, dem bereits angelegten Rumpf sich
anzupassen haben.
(Fortsetzung folgt.)
Geschichte der Grundierungsmethoden
iür Holztatein und Leinwänden.
(3. Fortsetzung.)
Kap. 114. Wie man die Leinwand auf
die Tafel kleben soll.
„Bist du mit dem Leimen fertig, so nimm Ge-
webe, Linnen nämlich, alte, feine, weisse Webe,
ohne jegliche Fette. Nimm deinen besten Leim,
schneide oder reisse grosse und kleine Streifen
von dieser Webe, tränke sie in jenem Leim und
breite sie über die Flächen der Tafel mit den
Händen aus. Und beseitige zuerst die Nahten,
indem du mit beiden Handflächen abgleichest, und
lasse es zwei Tage lang trocknen. Und wisse,
dass das Leimen und Gipsen zu einer trockenen
und windigen Zeit geschehen soll. Der Leim sei
im Winter stärker als im Sommer, ferner (wisse),
dass das Goldaufsetzen im Winter feuchte und
regnerische Witterung verlangt."
Kap. 11$. In welcher Weise man eine
Tafelfläche gipsen soll, mit den Stäbchen
und grobem Gips.
„Wenn die Tafel wohl getrocknet ist, nimm
ein spitzes Messer in der Art einer Raspel, welche
gut schabt. Und fahre über die Fläche, wo sich
Unebenheiten oder irgend eine Naht Andet und
nimm sie weg. Dann nimm groben Gips, nämlich
solchen aus Volterra, welcher gereinigt und wie
Mehl gesiebt ist. Gib davon ein Schälchen voll
auf den Porphyrstein und verreibe ihn tüchtig mit
jenem Leim durch die Kraft der Hände, wie die
Farben. Nun sammle es mit dem Hölzchen, bringe
es auf die Fläche der Tafel und fahre mit einem
gleichmässigen und genügend grossem Stabe über
die ganze Fläche hin, indem du sie damit bedeckst,
und wohin du mit deinem Holze etwas anbringen
kannst, tue es. (Folgt die Angabe Simse, Blatt-
schmuck usw., die vergoldet werden sollen mit
gleichem Gips, mit Hilfe des Pinsels zu überstrei-
chen, das ganze 2 oder 3 Tage trocknen zu lassen,
und nach dem Trocknen mit Hilfe der Raffiette
[i. e. Repariereisen der Vergolder von heute] alle
mangelnden Stellen auszugleichen).
Kap. 116. Wie man den feinen Gips zum
Grundieren der Tafeln bereitet.
„Nun will man, dass du einen Gips gebrauchest,
welcher feiner Gips (gesso sottile) genannt wird.
Dieser ist von dem nämlichen, aber gut ein Monat
lang gereinigt und in einem Kübel feuchtgehalten.
Frische ihn alle Tage mit Wasser auf, dass er ge-
löscht werde, jegliche Hitze davon entweiche, und
er weich wird wie Seide. Schütte dann das Wasser
weg, mache Brödchen daraus und lasse sie trocknen.
Und von diesem Gips verkaufen die Apotheker
uns Malern. Man wendet diesen Gips an, um Gold
aufzusetzen, Reliefs zu machen und schöne Dinge."
Kap. 117. Wie man eine Tafel mit feinem
Gips grundiert und auf welche Weise man
sie herrichtet.
„Wenn du mit grobem Gips grundiert und ge-
schabt und wohlgeglättet und gut und sorgfältig
gleichgemacht hast, so nimm von diesem feinen
Gips, Brödchen um Brödchen, gib ihn in einen Napf
mit reinem Wasser, lasse ihn Wasser einsaugen,
so viel er will. Darauf bringe ein bisschen all-
mählig immer auf den Porphyrstein und ohne neuer-
dings Wasser zuzufügen, mahle es vollkommen,
aufs reinlichste. Gib es dann auf ein Stück Linnen,
das stark und weiss ist. Und das tue so lange,
bis du ein Brödchen fertig hast. Schliesse es dann
in dieses Linnen ein und quetsche es tüchtig, da-
mit so viel als möglich das Wasser herauskomme.
Hast du davon so viel gemahlen, als du bedarfst,
(wobei dir bemerkt werden muss, dass du nicht