3iy. 22
Münchner kunsttechnische Blätter
Rekonstruktion nachzuprüfen. Diese Prüfung hei
zu meinen Gunsten aus; ich konnte, zurück-
gekehrt, meine im Laufe der folgenden Zeit an-
gefertigten Versuche, gieichzeitig mit einer Reihe
von in Rom und in Neapei erworbenen Originalen
im Münchener Kunstverein (April 1903) einem
grösseren Publikum zugänglich machen. Einige
Erläuterungen zu diesen neuen Versuchen zur
Rekonstruktion der antiken Wandmaltechnik
glaubte ich zur Erklärung der Versuche beigeben
zu müssen, wobei ich ausführte, dass es mehrere
Arten der antiken Wandtechnik gegeben haben
müsse, je nachdem
1. die untere Farbenschicht (tectorium) ge-
glättet ist, die darauf gesetzte Malerei aber erhöht
erscheint,
2. sowohl die Unterschicht als auch die darauf
befindliche Malerei in einer Ebene liege, also
gleichzeitig geglättet sein müsste, oder ob
3. die Glättung in mehreren Schichten erfolgte.
Die erste Art bezeichnete ich mit Tempera-
manier, die zweite mit Stuccolustromanier,
die dritte mit gemischter Manier. Allen Arten
gemeinsam sei aber die glänzend glatte Ober-
fläche, die eine Folge desGlättungsverfahrens,
das Vitruv fordere, sein müsse.
Ohne die angekündigte Neubearbeitung meines
Werkes über die antike Maltechnik abzuwarten,
veröffentlichte Prof. Otto Donner-v. Richter
(Frankfurt a. M.), der meine erste Rekonstruktion
nur mit einem Achselzucken abfertigte, in den
Technischen Mitteilungen für Malerei (Jahrg. XX,
1903, Nr. 5 und 6) einen längeren Aufsatz, in
dem er meine Behauptung, Glätte und Glanz
des antiken Tectoriums könne nur die Folge der
von Vitruv deutlich geforderten Glättungsope-
ration sein, einer Kritik unterzieht, und dabei
eine angeblich „sinn- und wortgetreue" Ueber-
setzung des ganzen Vitruvkapitels einfügt, in der
die hauptsächlichsten, auf die Glättung des Tec-
toriums bezugnehmenden Stellen äusserst kunst-
voll beseitigt sind und der „Auftrag auf dem
Nassen" als das Wesentliche übrig blieb. Für
das Wort politio, expolitiones (d. h. Glättung)
wählte er die Uebersetzung „feine, letzte Verputz-
schichten", das Verbum polire (glätten) hat bei
ihm die Bedeutung für „feinere Ausführung"; der
das Bild des Beschauers wie ein Spiegel
reflektierende Glanz wird bei ihm zu einer
„schimmernden" Fläche, die dem,.Beschauer deut-
liche Bilder zurückwirft"!
ja, er ging in der Absicht, die „Grundirrschlüsse"
meiner Ansicht zu erweisen, so weit, dass er die
in seinem eigenen Buche mehrfach erörterte Er-
scheinung des glatten und glänzenden Tectoriums
ganz übersehend, nunmehr behauptete, Vitruv
konnte gar nicht von Glanz und Glätte sprechen,
weil diese bei den Malereien in Pompeji und
Rom nicht tatsächlich vorhanden gewesen sind.
Gegen diese offenbare Vergewaltigung
des Vitruvschen Textes, aus dem Donner
alles hinwegeskamotierte, was ihm für
seine Zwecke ungelegen schien, konnte ich
nur dadurch opponieren, dass ich eine Reihe her-
vorragendster Gelehrter auf dem Gebiete der
Archäologie und Philologie um ihr Gutachten
bat, in dem deutlich erklärt werden sollte, welche
Ansicht, die meine oder die Donners, die richtige
ist. Die den Gelehrten vorgelegten Fragen waren
folgende:
1. Ist nach Vitruvs Beschreibung der Tecto-
riumsbereitung (VII. Cap. 3, $—9) die Annahme
zulässig, dass Glanz und Glätte der Wandflächen
als Folge der Glättungsarbeiten (politiones) an-
gesehen werden muss und insbesondere ist der
Schlusssatz: „cum sunt politionibus erebris subacta,
non modo sunt nitentia, sed etiam imagines ex-
pressas ex eo opere remittunt (zu deutsch: nach
öfter wiederholten Glättungen wird [das Tectorium]
nicht bloss glänzen, sondern auch die deutlichen
Bilder der Beschauer zurückwerfen) zu folgern,
dass die Oberfläche spiegelnd gewesen sein
musste ?
2. Zeigen die Reste pompejanischer und römischer
Wanddekoration noch Anzeichen dafür, dass die
Wandflächen in ihrem ursprünglichen Zustande
mit Vitruvs Forderungen übereinstimmen, und
glatt und glänzend gewesen sind!'
(Fortsetzung folgt.)
Goethes Farbenlehre in den „Gesprä
chen" mit 1. P. Eckermann.
Zusammengestellt von E. B.
Vorbemerkung:
Die erste das Thema der Farbenlehre betreffende
Eintragung Eckermanns beßndet sich unter den Datum,
woGoethe Eckermann mit Experimenten bekannt machte,
die ihm bis dahin noch völlig fremd gewesen waren. Die
letzte Eintragung ist vom Mittwoch, 21. Dez. {831, also
wenig Monate vor Goethes Tod datiert. In diesen
8 Jahren ist wiederholt von der „Farbenlehre" die Rede
und Eckermann selbst hatte Zeit genug, sich in den
Theorien und Experimenten völlig zurecht zu finden.
Goethes Farbentheorie und die Urphänomene, die ihn
dazu geführt hatten, Newtons Lehre anzugreifen und für
irrig zu erklären, die wiederholten gegen ihn gerichteten
Angriffe sind Gegenstand der Unterhaltung, die Ecker-
mann mit bekannter Treue uns erhalten hat. Nicht minder
bedeutungsvoll sind Goethes Aeusserungen über seine
Gegner und die Art, wie er sich mit diesen abgefunden
hatte. Wenn wir auch in mancher Hinsicht, Goethes
grundlegende Ansichten über die physiologischen Far-
benerscheinungen ausgenommen, und im besonderen
bezüglich der Newtonschen Theorie nicht der gleichen
Anschauung sein können, so sind die Aeusserungen Goe-
thes doch von so grossem Interesse, dass deren Ab-
druck hier berechtigt ist.
Aus Goethes Gesprächen mit Eckermann.
I. Teil.
Sonntag, den 18. Oktober 1823.
Diesen Mittag war ich das erstemal bei Goethe zu
Tisch. . . . Nach Tische zeigte Goethe mir einige Ex-
perimente in bezug auf die Farbenlehre. Der Gegen-
Münchner kunsttechnische Blätter
Rekonstruktion nachzuprüfen. Diese Prüfung hei
zu meinen Gunsten aus; ich konnte, zurück-
gekehrt, meine im Laufe der folgenden Zeit an-
gefertigten Versuche, gieichzeitig mit einer Reihe
von in Rom und in Neapei erworbenen Originalen
im Münchener Kunstverein (April 1903) einem
grösseren Publikum zugänglich machen. Einige
Erläuterungen zu diesen neuen Versuchen zur
Rekonstruktion der antiken Wandmaltechnik
glaubte ich zur Erklärung der Versuche beigeben
zu müssen, wobei ich ausführte, dass es mehrere
Arten der antiken Wandtechnik gegeben haben
müsse, je nachdem
1. die untere Farbenschicht (tectorium) ge-
glättet ist, die darauf gesetzte Malerei aber erhöht
erscheint,
2. sowohl die Unterschicht als auch die darauf
befindliche Malerei in einer Ebene liege, also
gleichzeitig geglättet sein müsste, oder ob
3. die Glättung in mehreren Schichten erfolgte.
Die erste Art bezeichnete ich mit Tempera-
manier, die zweite mit Stuccolustromanier,
die dritte mit gemischter Manier. Allen Arten
gemeinsam sei aber die glänzend glatte Ober-
fläche, die eine Folge desGlättungsverfahrens,
das Vitruv fordere, sein müsse.
Ohne die angekündigte Neubearbeitung meines
Werkes über die antike Maltechnik abzuwarten,
veröffentlichte Prof. Otto Donner-v. Richter
(Frankfurt a. M.), der meine erste Rekonstruktion
nur mit einem Achselzucken abfertigte, in den
Technischen Mitteilungen für Malerei (Jahrg. XX,
1903, Nr. 5 und 6) einen längeren Aufsatz, in
dem er meine Behauptung, Glätte und Glanz
des antiken Tectoriums könne nur die Folge der
von Vitruv deutlich geforderten Glättungsope-
ration sein, einer Kritik unterzieht, und dabei
eine angeblich „sinn- und wortgetreue" Ueber-
setzung des ganzen Vitruvkapitels einfügt, in der
die hauptsächlichsten, auf die Glättung des Tec-
toriums bezugnehmenden Stellen äusserst kunst-
voll beseitigt sind und der „Auftrag auf dem
Nassen" als das Wesentliche übrig blieb. Für
das Wort politio, expolitiones (d. h. Glättung)
wählte er die Uebersetzung „feine, letzte Verputz-
schichten", das Verbum polire (glätten) hat bei
ihm die Bedeutung für „feinere Ausführung"; der
das Bild des Beschauers wie ein Spiegel
reflektierende Glanz wird bei ihm zu einer
„schimmernden" Fläche, die dem,.Beschauer deut-
liche Bilder zurückwirft"!
ja, er ging in der Absicht, die „Grundirrschlüsse"
meiner Ansicht zu erweisen, so weit, dass er die
in seinem eigenen Buche mehrfach erörterte Er-
scheinung des glatten und glänzenden Tectoriums
ganz übersehend, nunmehr behauptete, Vitruv
konnte gar nicht von Glanz und Glätte sprechen,
weil diese bei den Malereien in Pompeji und
Rom nicht tatsächlich vorhanden gewesen sind.
Gegen diese offenbare Vergewaltigung
des Vitruvschen Textes, aus dem Donner
alles hinwegeskamotierte, was ihm für
seine Zwecke ungelegen schien, konnte ich
nur dadurch opponieren, dass ich eine Reihe her-
vorragendster Gelehrter auf dem Gebiete der
Archäologie und Philologie um ihr Gutachten
bat, in dem deutlich erklärt werden sollte, welche
Ansicht, die meine oder die Donners, die richtige
ist. Die den Gelehrten vorgelegten Fragen waren
folgende:
1. Ist nach Vitruvs Beschreibung der Tecto-
riumsbereitung (VII. Cap. 3, $—9) die Annahme
zulässig, dass Glanz und Glätte der Wandflächen
als Folge der Glättungsarbeiten (politiones) an-
gesehen werden muss und insbesondere ist der
Schlusssatz: „cum sunt politionibus erebris subacta,
non modo sunt nitentia, sed etiam imagines ex-
pressas ex eo opere remittunt (zu deutsch: nach
öfter wiederholten Glättungen wird [das Tectorium]
nicht bloss glänzen, sondern auch die deutlichen
Bilder der Beschauer zurückwerfen) zu folgern,
dass die Oberfläche spiegelnd gewesen sein
musste ?
2. Zeigen die Reste pompejanischer und römischer
Wanddekoration noch Anzeichen dafür, dass die
Wandflächen in ihrem ursprünglichen Zustande
mit Vitruvs Forderungen übereinstimmen, und
glatt und glänzend gewesen sind!'
(Fortsetzung folgt.)
Goethes Farbenlehre in den „Gesprä
chen" mit 1. P. Eckermann.
Zusammengestellt von E. B.
Vorbemerkung:
Die erste das Thema der Farbenlehre betreffende
Eintragung Eckermanns beßndet sich unter den Datum,
woGoethe Eckermann mit Experimenten bekannt machte,
die ihm bis dahin noch völlig fremd gewesen waren. Die
letzte Eintragung ist vom Mittwoch, 21. Dez. {831, also
wenig Monate vor Goethes Tod datiert. In diesen
8 Jahren ist wiederholt von der „Farbenlehre" die Rede
und Eckermann selbst hatte Zeit genug, sich in den
Theorien und Experimenten völlig zurecht zu finden.
Goethes Farbentheorie und die Urphänomene, die ihn
dazu geführt hatten, Newtons Lehre anzugreifen und für
irrig zu erklären, die wiederholten gegen ihn gerichteten
Angriffe sind Gegenstand der Unterhaltung, die Ecker-
mann mit bekannter Treue uns erhalten hat. Nicht minder
bedeutungsvoll sind Goethes Aeusserungen über seine
Gegner und die Art, wie er sich mit diesen abgefunden
hatte. Wenn wir auch in mancher Hinsicht, Goethes
grundlegende Ansichten über die physiologischen Far-
benerscheinungen ausgenommen, und im besonderen
bezüglich der Newtonschen Theorie nicht der gleichen
Anschauung sein können, so sind die Aeusserungen Goe-
thes doch von so grossem Interesse, dass deren Ab-
druck hier berechtigt ist.
Aus Goethes Gesprächen mit Eckermann.
I. Teil.
Sonntag, den 18. Oktober 1823.
Diesen Mittag war ich das erstemal bei Goethe zu
Tisch. . . . Nach Tische zeigte Goethe mir einige Ex-
perimente in bezug auf die Farbenlehre. Der Gegen-