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Münchner kunsttechnische Blätter — 15.1918-1919

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Nr. 3
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Fritsch, Gustav: Ueber die graphischen Methoden zur Bestimmung der Verhältnisse des menschlichen Körpers [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.36588#0013

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Machen, 28. Okt. 1918.

BgHage zsr „Werkataü dar Knast" (E. A. SaeaaBa, Leipzig).
Ersohelat 14 tägig aate? Leltsag vea Maisr Prof. Ernst Barger.

IV. jahrg. Nr. 3

Inhalt: G. Fritsch: Ueber die graphischen Methoden zur Bestimmung der Verhältnisse des menschlichen Kör-
pers. — Vom Grundieren der Hoiztafein und Leinwänden. (2. Fortsetzung.) — Dada. — Pasteiigrundierung.
— Literatur (Wiih. Ostwaid, Goethe, Schopenhauer und die Farbenlehre).

G. Fritsch: Ueber die graphischen Methoden zur Bestimmung dei Verhältnisse
des menschlichen Körpers.

Aus den Verhandlungen der Berliner Ge-
sellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Ur-
geschichte (Redigiert v. Rud. Virchow), Jahr-
gang 1895, S. i/2ff—188.
Die Versuche, auf eine einfache, mechanische
Weise die Hauptmasse des menschlichen Körpers
in ihrem Verhältnis zueinander zu bestimmen, rei-
chen bis in das graue Altertum zurück. Schon
die alten Aegypter hatten für die unzähligen figür-
lichen Darstellungen, welche sie an den Wänden
ihrer öffentlichen Gebäude* und Grabstätten an-
brachten, offenbar einen bestimmten, fest vorge-
schriebenen Canon, wie man aus vereinzelten alten
Werkstätten entlehnten Funden direkt beweisen
kann, wo Linienkonstruktionen zum Feststellen der
noch unfertigen menschlichen Körper auf dem Stein
vorgeschrieben sind. Genauere Angaben über das
dabei beobachtete Prinzip sind nicht auf unsere
Zeit gekommen.
Das Gleiche gilt leider von einer Proportions-
lehre aus der Blütezeit griechischer Kunst, die dem
Bildhauer Po ly kl et ihren Ursprung verdankte.
Selbst eine mehrere hundert Jahre später zur Re-
naissance-Zeit durch den unvergleichlich genialen
Maler Leonardo da Vinci entworfene Tafel zur
Uebersicht der Proportionen des menschlichen Kör-
pers scheint gänzlich verloren gegangen zu sein.
Auf Leonardo wird aber zugleich eine noch heute
im Gebrauch befindliche Bemerkung zurückgeführt,
nämlich: „Der Künstler müsse seine Zirkel im Auge
haben."
Gleichwohl liegt in diesen beiden, sich schein-
bar widersprechenden Tatsachen kein innerer Zwie-

spalt der Natur bei einem derartig vielseitigen
Manne, wie es Leonardo war, der nicht bloss
Malerei, Bildhauerkunst und Musik trieb, sondern
auch ein bedeutender Anatom und Ingenieur war.
Als solcher hatte er gewiss Veranlassung, exakte
Masse zu würdigen und selbst aufzustellen. So
vereinigt Leonardo da Vinci's allumfassender
Genius auch die beiden Anschauungsweisen, deren
Abwägung gegeneinander den wesentlichen Inhalt
der vorliegenden Zeilen ausmacht.
Polyklets und Leonardos Proportions-
lehren wären vielleicht nicht verloren gegangen,
die späteren, uns erhaltenen, nicht vielfach so in
Vergessenheit durch Nichtbrauch geraten, wenn
nicht tatsächlich vom Altertum bis auf den heu-
tigen Tag den Künstlern doch „der Zirkel im Auge"
als das handlichere und leistungsfähigere Instru-
ment erschienen wäre.
In der Tat, so lange das Schönheits-Ideal
den alleinigen Leitstern des bildenden Künstlers
abgibt, ist er souverän in der Wahl derjenigen
Verhältnisse, welche ihm sein Genius als dem zur
Darstellung zu bringenden Ideal am nächsten kom-
mend vorführt. Erstrebt er dagegen Realität
und macht an Stelle des Schönheitsbegriffes die
Naturwahrheit zu seinem Leitstern, so muss
er unweigerlich auch Naturkenner werden und muss
sich mit anderen Naturkennern, die nicht Künstler
sind, darüber auseinandersetzen, inwieweit er
sich ihnen berechtigterweise anreihen
darf. Die brutale Gewalt einer naturwissenschaft-
lichen Tatsache, auf strenge Beobachtung gegrün-
det, ist nicht durch die überzeugungstreueste Be-
 
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