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Münchner kunsttechnische Blätter — 15.1918-1919

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Nr. 21
DOI Artikel:
Die künstlerische Proportionslehre von Vitruv bis Dürer [1]
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Berger, Ernst: 25 Jahre Münchener Maltechnik: zur Geschichte meiner römisch-pompejanischen Rekonstruktionsversuche [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.36588#0122

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Münchner kunsttechnische Blätter

Nr 2i

natürlicherweise längst verloren, und wir wissen
kaum mehr von ihnen als deren Titel und Urheber.
Das vielleicht älteste noch erhaltene Dokument,
das die oben erwähnte griechische Proportions-
lehre traditionell übernommen haben dürfte, findet
sich in Vitruvs Werk über die Architektur
(III. Buch, I. Kapitel); es beweist vor allem, welche
Wichtigkeit die antiken Baukünstler der Kenntnis
der Proportionen des menschlichen Körpers bei-
massen. Ja, für Vitruv ist kein Tempel ohne
Symmetrie und Proportion seiner Anlage gerecht-
fertigt, wenn er nicht, einem wohlgebildeten
Menschen ähnlich, ein genau durchgeführtes
Gliederungsgesetz in sich trägt.
Daraus kann gefolgert werden, wie wichtig
den Künstlern des Altertums die Gesetze der
menschlichen Proportion gewesen sind, denn die
Auffassung von dem göttlichen Ursprung des
Menschen, die wir in der Mythologie der Griechen
genau so finden, wie bei den Aegyptern und in
den biblischen Schriften, führt dazu, im Bau des
menschlichen Körpers das Ideal oder den Höhe-
punkt der Schöpfung erkennen zu sollen, dessen
Verhältnisse schon in sich eine dogmatische, für
alle Zwecke und durch alle Zeit gleich gültige
Wichtigkeit einschloss. Vitruvs Worte sind wohl
nicht so zu verstehen, als ob ein gut gegliederter
Tempel nur in den Massenverhältnissen des
menschlichen Körperbaues „schön" sein könne,
sondern so, dass ebenso wie ein schöner Körper
nach den Proportionen anerkannter schöner Sta-
tuen gemessen wird, so ist ein Tempel dann
schön und einwandfrei, der nach den als voll-
kommen geltenden Vorbildern geschaffen wor-
den sei.
Den Typus für die menschliche idealschöne
Figur hatten die Künstler durch langjähriges tra-
ditionelles Uebereinkommen durch empirisches
Sehen, Vergleichen und Nachbilden geschaffen,
und da sie für die Götterbilder nicht minder die
schönsten Typen ihrer Mitwelt zum Vorbild
nahmen, musste sich eine Art Kanon der ideal-
menschlichen Figur, sowohl des Mannes als auch
der Frau entwickelt haben. Wir sehen diesen
Kanon in seiner Anfangsform in frühgriechischen
Bildwerken, wie z. B. den Aegineten und können
die vollendeteren Formen aus der Zeit des Praxi-
teles und seiner Nachfolger bis zu den römischen
Bildhauern wiederfinden, denen wir das Beiwort
„klassisch" gegeben haben.
Wie sich dieser Kanon in den späteren Zeiten,
bei den byzantinischen Malern, den Meistern der
Frührenaissance und ihren Nachfolgern, in der
Hochrenaissance, also bis zu Lionardo de Vinci
und Albrecht Dürer, zum Schema der mensch-
lichen Proportion ausgebildet hat, soll diese Ab-
stiker zugleich, berichtet Plinius (35, 129), dass er Ver-
fasser von zwei Büchern, über die Symmetrie und über
die Farben, gewesen.

handlung an der Hand der bekannten Quellen
zeigen. Diese Quellen sind zum Teil den Maler-
büchern entnommen.
Einige illustrative Beigaben bezwecken den
besseren Vergleich der verschiedenen Proportions-
Schemen untereinander.
Die historischen Quellenangaben haben die
folgende Reihenfolge:
1. Vitruvs Schema im III. Buch, 1. Kapitel
seiner zehn Bücher über Architektur.
2. Byzantisches Schema der Körperpro-
portion im § $2 des Handbuches der Malerei vom
Berge Atlas.
3. Cemino Ceminis Angaben im 70. Kapitel
des Buches von der Kunst.
4. Lionardo de Vincis Hinweise auf die
menschliche Proportion
a) nach der Ausgabe von Joh. Georg Böhm
(736),
b) nach Heinrich Ludwigs Ausgabe.
3. Leon Battiste Albertis Angaben.
6. Michelangelos Masse.
7. Albrecht Dürer. Von der menschlichen
Proportion.
8. Joh. Melchior Kröker Angaben (1/29).
I. Vitruvs Angaben
im III. Buch, 1. Kapitel (Woher die symme-
trischen Verhältnisse auf die Tempel
übertragen sind).
(Uebersetzung von Reber, des Vitruvius Zehn
Bücher über Architektur, Stuttgart 1865, S. 74.)
I. Die Anlage der Tempel beruht auf dem
symmetrischen Verhältnisse, deren Gesetze der
Baukünstler aufs sorgfältigste innehaben muss.
Diese aber entstehen aus dem Ebenmasse (Pro-
portion), welches von den Griechen Analogia ge-
nannt wird. Proportion ist die Zusammenstimmung
der entsprechenden Gliederteile im gesamten Werke
und des Ganzen, woraus das Gesetz der Symmetrie
hervorgeht. Denn es kann kein Tempel ohne
Symmetrie und Proportion in seiner Anlage ge-
rechtfertigt werden, wenn er nicht, einem wohl-
gebildeten Menschen ähnlich, ein genau durch-
geführtes Gliederungsgesetz in sich trägt.
(Fortsetzung folgt.)
25 Jahre Münchener Maltechnik.
Zur Geschichte meiner römisch-pompeja-
nischen Rekonstruktionsversuche.
Von E. B.
I.
Im Anschluss an die Artikelserie „23 Jahre
Münchner Maltechnik" und in Zusammenhang
mit meinen darin bereits erwähnten Arbeiten zur
Entwicklungsgeschichte der Maltechnik möge hier
auf die Geschichte meiner römisch-pompeja-
nischen Rekonstruktionsversuche näher eingegangen
 
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