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Münchner kunsttechnische Blätter — 15.1918-1919

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Nr. 22
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Berger, Ernst: 25 Jahre Münchener Maltechnik: zur Geschichte meiner römisch-pompejanischen Rekonstruktionsversuche [2]
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Münchner kunsttechnische Blätter

Nr. 22

:3c

25 Jahre Münchener Maltechnik.
Zur Geschichte meiner römisch-pompeja-
nischen Rekonstruktionsversuche.
Von E. B.
(:. Fortsetzung.)
Am wenigsten treffe die vermeinthehe
Bildung einer „Kalkseife" zu, denn I. lasse
sich Wachs durch einfache Kochung mit Soda
oder Pottasche überhaupt nicht verseifen,
sondern nur durch Aetzlauge, und dabei wären
nur die myricinsauren Anteile (etwa I$^/J
verseifbar, während der Rest höchstens emulgierbar
wäre (Prof. Lincke); 2. bilde die nach den An-
gaben des Plinius und Dioskorides hergestellte
Wachsmasse deshalb keine wassermischbare Masse,
weil bei der vorgeschriebenen Kochung in Salz-
wasser das emulgierte Wachs sich zu einer festen
Substanz kraguliere. Alle meine gegenteiligen Be-
hauptungen beruhten auf irriger Voraussetzung
(Dr. Lang).*)
Diese Vorwürfe waren teilweise nicht unbe-
gründet und ich erkenne heute gerne ihre Be-
rechtigung an. Der Fehler meinerseits war, die
zum Zwecke der Ganosis, bei Vitruv angegebene
Vermischung des „punischen" Wachses mit einer
geringen Menge von Oel (cero punice poulo oleo
temperate) als gleichwertig mit punischem
Wachs anzunehmen. Aber da es sich bei der
Verwendung der Masse vor allem um ein leicht
verstreichbares Bindemittel handeln musste — mit
einer festen Masse ist doch ein Arbeiten unmög-
lich —, führten mich die Versuche auf diesen Weg.
Dass über die Verseifbarkeit des Wachses
unter denChemikern selbstMeinungsverschiedenheit
herrschte, erwies die Diskussion zu Genüge, ebenso
waren die Ansichten über die Bildung der „Kalk-
seife" geteilt und da mich mein „Gewährsmann"
schnöde im Stich Hess, musste ich die wissenschaft-
liche Begründung meiner ersten Rekonstruktion
für verunglückt ansehen. Dass ich beim Kaiser-
lichen Patentamt ein Patent für mein Verfahren
angemeldet und erhalten hatte, war ein Beweis
dafür, dass es „neu", d. h. bisher unbekannt ge-
wesen ist. Für mich hatte die Patenterteilung
jedoch nur den Sinn, zu zeigen, dass das ver-
meintliche antike Verfahren völlig in Vergessenheit
geraten war und die Wiederentdeckung als „Neues
Verfahren" anerkannt worden ist.
Noch ein weiterer Umstand brachte mich zur
Einsicht, an der Richtigkeit meiner Rekonstruktion
zu zweifeln, als mir nämlich Gelegenheit gegeben
wurde, mein Verfahren im grossen (an .zwei
Loggienbemalungen) zu erproben. Hier versagte
mein System der Erhärtung und die „Bildung der
Kalkseife" blieb problematisch.
*) Einige Jahre später ist die Frage des punischen
Wachses durch den schweizer Chemiker Dr. O. Buss
in einem für mich günstigen Sinne entschieden worden.
Vgl. Münch, kunstt. Bl. jhg. VH. Nr. 22—24.

Aber der Wendepunkt trat ein; ich sagte mir,
ich müsste von vorne beginnen, um von den als
richtig erkannten, sowohl in den Quellen gefun-
denen und durch eigene Beobachtung bestätigten,
ganz bestimmten Einzelheiten ausgehend, zu
neuen Resultaten zu gelangen.
Diese Einzelheiten waren:
1. Die Erkenntnis, dass Vitruv in seiner Be-
schreibung nur die Vorbereitungsarbeit für
gefärbtes Tectorium im Auge hatte.
2. Die Beobachtung von Originalstücken, dass
die Farbschicht in der Masse gefärbt ge-
wesen ist.
3. Die nähere Voraussetzung, dass Glanz und
Glätte des Tectoriums nur die Folge von
Glättungsoperationen sein könnte.
4. Die Vermutung, dass die antiken Arbeiter
nicht nur in einer einzigen Art, sondern in ver-
schiedener Weise vorgegangen seien.
Durch einen tüchtigen italienischen Stukkateur,
dem ich einen Teil Loggienausstattung übertragen
hatte, und die er in „Stucco lustro" ausführen
sollte (vor allem die Marmorimitation), wurde ich,
was ich von Anfang an beabsichtigt, mit der
Methode bekannt, wie heute italienische Stuck-
arbeiter Vorgehen, um glatten Verputz zu machen.
Dabei war es unvermeidlich, Vergleiche zu ziehen
und es wurde mir vollends klar, dass hier eine
Tradition vorliegen müsse, deren Wurzeln
weit zurückliegen. Ich suchte und fand auch in
Quellen Hinweise bis in die Frührenaissance und
von da bis ins Altertum (bei Joh. Batt. Alberti u. a.);
ich begann wieder ganz von vorne zu experi-
mentieren, mit allen mir nur zugänglichen Mate-
rialien Bewürfe herzustellen, in allen nur denk-
baren Weisen zu verarbeiten und zu glätten, und
zu bemalen, bis ich meine zweite Rekon-
struktion der antiken Wandmalerei voll-
kommen fertig hatte. So viel gearbeitet und
so wenig geschlafen habe ich in meinem ganzen
Leben nicht, wie zu jener Zeit, denn es handelte
sich für mich darum, ein mir vorgestecktes Ziel
ganz zu erreichen. Einige Jahre meines Lebens
habe ich freilich dabei opfern und meine künst-
lerischen Arbeiten ganz und gar in den Hinter-
grund schieben müssen!
Die Jahre von 1893 —1900 vergingen mit
diesen fortgesetzten Arbeiten, nur unterbrochen
und vereinigt mit der Herausgabe der „Beiträge
zur Entwicklungsgeschichte der Maltechnik", deren
fünf Folgen im Laufe der Jahre mit Unterstützung
des Königlich preussischen Unterrichtsministeriums
(seit 1897) erschienen sind.
Vor der notwendig gewordenen Neubearbeitung
der ersten beiden, die „Maltechnik des Altertums"
behandelnden Folgen der „Beiträge" hielt ich es
für angezeigt, abermals eine Reise nach Rom
und Neapel zu machen (Frühjahr 1902), um
durch Vergleiche die Richtigkeit meiner neuen
 
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