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Münchner kunsttechnische Blätter — 15.1918-1919

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Nr. 4
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Kunstkritikers Bekehrung
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https://doi.org/10.11588/diglit.36588#0023

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Münchner kunsttechnische matter

33

Kr 4

Kunstkritikers Bekehrung.
Vom Herausgeber.
Der im vorigen Jahrgang erschienene Aufsatz „Vom
künstierischen Können in der Maierei früher und jetzt",
sowie der „Irrungen und Wirrungen in der neuesten
Kunst" überschriebene Artikei, haben der Schriftieitung
sowohl schriftiiche ais auch mündiiche Zustimmungen
eingebracht. Sie beweisen, dass der Standpunkt der
beiden Mitarbeiter von einem Koiiegenkreis gebiiiigt
wird, dem das künstierische Können noch ein wichtiger
Teit des Kunstschaffens bedeutet, und dem es nicht
mögiich ist, mit den sog. „neuesten Richtungen" in
eine ideite Verbindung zu gelangen. Und gleichzeitig
beweisen dieseiben, dass das Uebergreifen des Trans-
zendentaien, Mystischen, auf die Gebiete der bilden-
den Künste ein Irrweg ist, von dem kein wahrer Fort-
schritt zu erwarten ist.
Die Pflicht des Chronisten erheischt es, zu kon-
statieren, dass in den Kreisen der Hauptverehrer jener
„Richtung" ein Umschwung sich zu vollziehen beginnt.
Von dem Kritiker W. Hausenstein, den die Leser ais
Schrittmacher für Kubismus, Expressionismus und an-
derer Extravaganzen kennengeiernt haben, iesen wir
neuestens in den „M. N. N.", dessen Kunstreferent der
Genannte ist, einige Artikei, in denen er sichtiich von
„den Geistern, die er rief", abrückt und nicht mehr
dem Nur-Neuen huldigt, sondern sich zusehends zu
denen bekennt, die für die Güte eines Biides eintreten,
wo auch immer sie sich findet.
In einem „Rückbiick" überschriebenen Aufsatz
heisst es:
„Die .Sturm'-Aussteiiung im .Reich' bestätigt aufs
Neue die Notwendigkeit praktisch-unmitteibaren Sich-
tens, die an dieser Steile bei verwandten Anlässen
schon oft unterstrichen worden ist. Theoreme und
Richtungsprogramme bedeuten nicht die mindeste Bürg-
schaft für den Wert des tatsächlichen Einzelbildes. ,
Gegenüber moderner Kunst ist, wie gegenüber allen
künstlerischen Bekundungen, die je gewesen sind, ein-
zig möglicher Standpunkt: der Blick auf die formale
Spannung, durch die das Welterlebnis des bildnerischen
Menschen sich ausdrückt oder wenigstens anzeigt.
Für diesen Standpunkt kann es sich längst nicht
mehr darum handeln, unermüdlich immer wieder die
Gesamtstrebung moderner Kunst zu würdigen. Die
Aufgabe bestand, so lange sie neu war; so lange die
neue Malerei als Ganzes anzutreten gezwungen blieb;
so lange sie selbst noch die grundsätzlichste Orien-
tierung suchte. Damals mochte sich eins ans andere
binden; das Unbedeutende durfte in den Schatten des
Wesentlichen treten, denn auch das Schwache trug da-
mals — damals! im gleichsam politischen Stadium der
neuen Entwicklung — zum Durchbruch bei. Damals,
im Feuer des Neuen, war es möglich, das tatsächliche
Einzelne schon um der symptomatischen Zeichen willen
anzunehmen, mit denen es zwar nie als Grundlage, wohl
aber als organisatorischer Beitrag zum kämpfenden Gan-
zen erscheinen konnte. Es ist indes notwendig, aus-
zusprechen, dass diese Zeit gewesen ist. Das Rich-
tungsmässige darf dem Mittelmässigen und Unbedeu-
tenden keinen Vorwand der Existenz mehr leihen.
Die Aufgabe liegt sehr einfach so: die guten Bilder
von den schwachen und schlechten zu unterscheiden.
Selbstverständlich, dass sie im letzten Grunde niemals
anders liegen konnte. Jede Einschränkung dieses ab-
soluten Masses hatte nur das relative Recht des Po-
lemischen: des Kampfs um das Prinzipielle eines neuen
Gedankens.*
Und nach schärfster Ablehnung „kaum mittel-
mässiger" Malereien, expressionistischer und kubisti-
scher Dekorationen, wobei die Hauptvertreter der Rich-
tung mehr oder weniger günstig kritisiert werden (von
Chagall z. B. wird gesagt: man wisse nicht, ob die Bild-

Vision „der ahnungsvolle Bilderbogen eines kindlichen
Menschen oder Ruine des Lebens eines Hoffnungs-
losen, ob sie Versuch eines neuen Aufschwungs oder
Verwirrung eines Fallenden ist . . ."), kommt Hausen-
stein zu folgendem Schluss:
„Die Betrachtung aller dieser Dinge muss wohl,
wenn sie überhaupt geschieht, durch das Subjektive
hindurchgehen. Wer den Antrieb zu ihnen hin nicht
empfindet, zwinge sich nicht: der Affekt würde litera-
risch. Im übrigen: es ist ein Ende erreicht. Diese
Ausstellung ist schon historisch. Man sehnt sich
nach dem Maler, der eine unzerstückte Rea-
lität malt — gesehene oder geglaubte: mit gutem
Grift rund um die Figur. Es lebe Rubens."
Nicht minder skeptisch äussert sich derselbe Kri-
tiker über das Wirken der Münchner neuen Sezession, die
im Laufe der verflossenen vier Jahre nicht gehalten
hätte, was „man" von ihr erwarten zu sollen alle Hoff-
nung hatte; vor allem fehle es an neuen leitenden
„Führern" und Kräften, die es ermöglicht hätten, die
Ausstellung reicher und eindringlicher zu machen. Es
heisst dann weiter:
„War dies nicht möglich, so durfte zum mindesten
nichts im Wege stehen, wo es sich darum handelte,
das Unterwertige fernzuhalten. Die neue Sezession kann
es sich nicht leisten, Dinge wie die rohen Ansätze von
M. . . auszuhängen. Keine unsichere und schwache
Duldsamkeit durfte ihr erlauben, schalen Malereien
S . . .'s Raum zu gewähren. Den schärfsten Ein-
spruch fordern die Darbietungen C . . .'s heraus.
Mystagogischer Neurasthenie, die sich als
neuen Stil empfindet, muss ohne Schonung gesagt
werden, dass sie sich irrt. Es ist Blasphem, so
mit Marües zu spielen, wie das durch einen Streifen
auf die billigste Weise in ein Diptychon geteilte Bild
es tut. Die gute Meinung des Urhebers bleibe ausser
Zweifel: aber schlechte Bilder werden darum
noch längst nicht gut. Es bleibt objektiv unver-
antwortlich, in dieser Weise mit Maröes, Kubin und —
bei dem Mann zwischen den Häusern — mit Daumier
umzuspringen; unerlaubt, die jeder Disziplin bare Kreu-
zung ins Zufällige unbeherrschter Handbewegung ent-
gleisen, ins Diagonale des Geheimnisvoll-Ungefähren
errutschen und verschummern zu lassen. Zuletzt bleibt
nur der Eindruck, dass ein ebenso ungeführtes und der
Lenkung bedürftiges wie tatsächliches Talent sich durch
aufreizend schlechtes Handwerk für absehbare Zeit
verdorben hat. Endlich — da die bitter notwendigen
Wahrheiten einmal gesagt werden müssen und von
diesem Augenblick ab vielleicht noch einer Anspannung
der sichtenden Kräfte zu dienen vermögen: die nach
dem Statut des Verbandes sich selbst jurierenden Mit-
glieder müssten sich im eigenen Interesse wie dem der
Gruppe in manchem Fall schärfere Zucht auferlegen.
Noblesse oblige. Zu deutsch: wer sich selbst misst,
soll am strengsten messen."
Welche Wandlung der Kritiker in der letzten Zeit
(zu seinem Vorteil!) durchgemacht hat, sieht man am
besten aus einem Bericht über eine Ausstellung
von alten Bildnissen in der Galerie Gaspari, die
zu den „erquicklichsten Darbietungen zählt,
die in den letzten Monaten hier gesehen worden ist",
und in der man „aus den beunruhigenden, aus
den erschütternden Bezirken zeitgenössi
scher Problematik in ein Paradies der Zuver-
lässigkeit schreite".
„Alle Form ringsum ist gegründet. Die Bildwelt
im Kreise ist beschlossen — ist wie Festland nach
taumelnder Fahrt, wie genau ausgesagter und von klarer
Sonne umlichteter Horizont nach Tagen des Sturms.
Es ist ein geradliniges Gefühl des Glücks, sich an diese
Dinge für Stunden und Augenblicke aufzulassen. Der
Moment bleibt nicht aus, in dem die Grenzen eines in
solchen Bildern ausgedrückten Lebensgefühls und Form-
 
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