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Münchner kunsttechnische Blätter — 15.1918-1919

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Nr. 7
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Fritsch, Gustav: Ueber die graphischen Methoden zur Bestimmung der Verhältnisse des menschlichen Körpers [5]
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Berger, Ernst: Erhaltung der Rottman-Fresken und die neue Zeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.36588#0038

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Münchner kunsttechnische matter

Nr. 7

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der Entwicklung sind die Proportionen erheblich
andere. Aus diesem Grunde wird es notwendig,
an dem Schmidt-Fritschschen Proportions-Schema
einige Aenderungen vorzunehmen, die bezwecken,
von vornherein die männliche Figur von der
weiblichen zu unterscheiden.
Zu diesem Zwecke zeichnen wir in schema-
tischer Form ein männliches und ein weibliches
Skelett und konstruieren den Schmidtschen Pro-
portionsschlüssel in der oben angegebenen Weise;
aber statt beim weiblichen Körper die Entfernung
der Schulterpunkte (c d) doppelt so gross zu halten
wie die Beckenpunkte (e f), setzen wir sie gleich-
gross (e' i'), die Linie g e wird dann in die Linie
g e' verbreitert, und die Folge davon ist, dass die
Linie vom Hüftknorren zur Kniemitte eine Neigung
erhält, die der natürlichen Haltung der weib-
lichen Oberschenkel sowie der Auswärtsstellung
der Unterschenkel besser entspricht (s. Figur 7).
Es dürfte sich auch empfehlen, für das Kon-
struktionsschema des ausgebildeteten, kräftigen
Mannes die beiden Schulterpunkte (c d) etwa um
je eine Nasenlänge zu verbreitern, gegenüber der
Konstruktion für eine noch unentwickelte Jüng-
lings-Figur. Alle übrigen Grössen bleiben unver-
ändert, und sie können zur Ermittlung der einzel-
nen Masse der Ober- und Unter-Extremitäten in
der nämlichen Weise dienen. Verbindet man die
Punkte c e und d f mit geraden Linien zu dem
Viereck cdfe, so wird man durch die Form des-
selben schon den Eindruck der vollentwickelten
Männerbrust und der männlichen Gestalt erhalten,
und ebenso wird durch die verbreiterte Hüften-
linie bei der weiblichen Figur deren Natur deut-
lich zur Geltung gebracht.
Für die Bedürfnisse der künstlerischen Arbeit
mag es vielleicht vorteilhaft sein, durch Konstruk-
tion die Grössen der einzelnen Gliedmassen be-
stimmen zu können. Diese Konstruktion wird aller-
dings nur zur Ermittlung der Gliedmassenlängen
dienen und das Verhältnis der Längen der Glied-
massen zur Breite des Körpers gibt dann erst den
Eindruck der richtigen Proportion.
Nehmen wir etwa den Fall an, ein Künstler
hätte eine grosse, figurenreiche Komposition vor,
und in solchen Dimensionen, die eine Uebersicht
erschwerte, dann wäre es am besten, wenn er sich
die Grössenverhältnisse der einzelnen Figuren-
Typen schematisch festlegt; z. B. für den Männer-
typus, für den alten und jungen, für die Frau, für
den heranwachsenden und den kleinen Kinder-
körper. Er markiert sich auf einer aufgespannten
Leinwand, oder auf der Atelierwand die einzelnen
Grössen, konstruiert nach dem Schmidtschen Schema
die Grössen-Proportionen und kann dann mit Leich-
tigkeit alle nötigen Längs-Proportionen der ver-
schiedenen Typen ablesen. Für Bildhauer, die
vielfach nach kleinen Modellen in grösserem Mass-
stabe arbeiten, kann ich mir kaum etwas Ein-

facheres denken. Falsche oder schlechte Propor-
tionen sind kaum möglich, und manche Korrektur
oder Nacharbeit, viele verlorene Arbeit wird er-
spart werden.
Erhaltung der Rottmann-Fresken und
die neue Zeit.
Goethe hat irgendwo einmal gesagt: ,,Jeder der
in sich fühlt, dass er Gutes wirken kann, muss
ein Plagegeist sein. Er muss nicht warten, bis
man ihn ruft ... er muss sein wie eine Fliege,
die verscheucht, die Menschen immer wieder von
einer anderen Seite anfällt."
Dieses Zitat wird wohl Goethes Gesprächen mit
Eckermann entstammen. Im obgemeinten Sinne
möge es an die Spitze dieser Zeilen gesetzt wer-
den, die bezwecken, das Interesse an der Erhal-
tung der Rottmannschen Fresken in den Hofgarten-
Arkaden nicht einschlafen zu lassen, da es in der
„alten Zeit" glücklich wachgerufen und die Frage
zu einer Lösung gediehen war, durch die ein
weiterer Verfall dieser einstmals so sehr geschätzten
Kunstwerke hintangehalten werden sollte. Wird
die neue Zeit in dieser Richtung die Versprechungen
des alten Regimes erfüllen? Das ist die Frage.
Man wird sich erinnern, dass der frühere
bayerische Unter, ichtsminister Dr. v. Knilling in
einer öffentlichen Sitzung des Landtages das be-
stimmte Versprechen abgegeben hatte und gewisse
Vorschläge bereits Vorlagen, sei es zur Trans-
ferierung der Fresken an einen anderen (nicht be-
zeichneten) Platz, sei es zur Restaurierung der-
selben; jedenfalls konnten die kunstliebendenKreise
der Residenz darauf rechnen, dass in der Sache
etwas geschehen werde. Unterstützt wurde diese
Hoffnung durch eine Entschliessung des Münche-
ner Altertumsvereins, die in der letzten General-
versammlung zur Erhaltung der Rottmannschen
Fresken gefasst wurde, und in der es heisst: „Der
Verein hält es für seine Pflicht, in der Oeffent-
lichkeit auszusprechen, dass mit den Rottmann-
schen Fresken der Hofgarten-Arkaden ein unersetz-
licher Kulturwert in Bälde zugrunde gehen wird,
wenn nicht sobald als möglich Massregeln zu deren
Rettung getroffen werden. Die einzige Möglich-
keit, die Fresken dauernd zu erhalten, erblickt
der Verein darin, dass sie abgenommen, restau-
riert und in geschlossenem Raum untergebracht
werden. Nur so kann verhindert werden, dass
künftige Geschlechter den heute dafür Verantwort-
lichen den berechtigten Vorwurf machen, den Unter-
gangwertvoller Kunstschätze verschuldet zu haben."
In dem obigen ist es klar ausgesprochen, dass
und warum für die „Rettung" der Fresken das
Nötige veranlasst werden soll.
Ein Umstand vor allem ist es, der uns die
Rolle der Goetheschen Fliege aufzwingt, nämlich
die Gefahr, dass der Zustand der Fresken mit der
 
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