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Münchner kunsttechnische Blätter — 15.1918-1919

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Nr. 16
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Die Farben des Isenheimer Altars [3]
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Berger, Ernst: 25 Jahre Münchener Maltechnik [9]
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https://doi.org/10.11588/diglit.36588#0093

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Müncnner kunsttecnmsche B!ätter

93

Nr. r6

eine ins Grüngraue spielende Totenfarbe, die auch
das Bild des Gekreuzigten auf dem Isenheimer
Altar und auf der Predella zeigt. Freilich wird
ein Meister wie Grünewald sich an derlei Vor-
schriften nicht strikt gehalten haben, sondern nach
seinem Cefühl vorgegangen sein. Auf den ersten
Anblick wird man geneigt sein, in dem Körper
des am Kreuze hängenden toten Christus Grün-
erde zu erkennen, aber es ginge gewiss auch mit
Hilfe von Ocker, Lazurblau und Indigo die gleiche
Mischung zu erzielen.
In der Karnation der übrigen Figuren könnten
die oben angeführten Farben wohl gebraucht
worden sein. Die etwas harte Fleischfarbe auf
der Verkündigung spricht für Anwendung von
Zinnober und Mennige nebst Ocker und Bleiweiss.
Wangen und Lippen werden mit ,,Röslinrot" oder
„Pariserrot" gemischt worden sein.
Die wichtigste Farbe für alle Mischungen ist
das in allen Quellen gleichlautend erwähnte Blei-
weiss. Die bei Boltz benannten Eierschalenweiss
und weisser Bolus kommen für Oelfarbe nicht in
Betracht. Uebereinstimmend wird die Herstellung
dieser Farbe nach den ältesten Angaben so be-
schrieben, dass Bleiplatten in einem gut glasierten
Gefäss über starkem Weinessig aufgehängt und
etliche Wochen an einem warmen Ort verwahrt
werden. Die Bleistücke sind durch die Einwirkung
des Essigs mit einer weissen Kruste (dem Blei-
weiss) überzogen, die alle 14 Tage abgeschabt
wurde. Daher hiess dieses Weiss Schieierweiss
oder Schulpweiss (schelp-wit der Niederländer).
In neuerer Zeit ist man von dieser primitiven Art
der Bleiweissherstellung (sog. holländische Me-
thode) ganz und gar abgekommen. Das jetzt her-
gestellte Bleiweiss ist chemisch von dem alten
nicht unterschieden, weil beide Substanzen aus
kohlensaurem Bleioxyd bestehen, aber die mikro-
skopische Untersuchung des Bleiweiss der Karnation
alter Malereien ergab, wie Raehlmann (S. 53 der
erwähnten Schrift) fand, eine ganz andere physi-
kalische Beschaffenheit als das gegenwärtig im
Handel befindliche moderne Bleiweiss. Während
das letztere ein sehr feines aus amorphen undurch-
sichtigen Körnern bestehendes Pulver darstellt,
dessen Einheiten unter dem Mikroskope bei durch-
fallendem Licht dunkel erscheinen, hat das Blei-
weiss der alten Malereien eine kristallinische Be-
schaffenheit und zeigt mikroskopisch plättchen- und
schuppenartige bis faserige Teile von matt opales-
zierenden Glanz und einer gewissen Transparenz,
die den Teilen des modernen Bleiweiss fehlt.
Raehlmann ist der Ansicht, dass dem alten Blei-
weiss die gute Erhaltung der damit gemalten
Lichter an alten Bildern zuzuschreiben ist, während
dem modernen Material keine grosse Haltbarkeit
nachgerühmt werde.
An dem Isenheimer Altar sind in der Tat die
-weissen Partien in ihrer Helligkeit und Leucht-

kraft bewundernswert; die Modellierung zeigt sich
überall in tadelloser Frische. Man hat nirgends
den Eindruck, dass die mit Weiss gemalten Partien
der Gewänder oder die mit Weiss gemischten
Lichter der Draperien irgendwie verändert wären,
so dass die Gesamtwirkung der farbigen Kompo-
siton auch heute in gleicher Schönheit sich zeigt
wie zur Zeit der Schöpfung des Werks. Das Be-
wundernswerteste an diesem Bilde ist vor allem
der Umstand, dass Meister Matthias Grünewald
trotz des an sich so geringen Umfangs der ihm
zur Verfügung gestandenen Farben eine solch
herrliche Farbenwirkung erzielte, die trotz der
Verwendung einiger der Veränderung ausgesetzten
Farbstoffe in ihrer Einheitlichkeit und Schönheit
im Laufe von vier Jahrhunderten nichts eingebüsst
zu haben scheint.
25 Jahre Münchener Maltechnik.
Von E. B.
(S. Fortsetzung.)
Mit den „bösen" Farbenfabrikanten" setzte er
sich in dem obigen Buche ganz besonders aus-
einander, und infolge einer Beleidigungsklage
einer grossen Farbenfabrik, deren „Schmierer-
praxis" er als „längst bekannt" bezeichnete, wurde
sein Buch von der Staatsanwaltschaft beschlag-
nahmt und dessen Verkauf verboten.
Um nunmehr zu beweisen, dass er im Rechte
war, nicht nur hinsichtlich dieses einen Falles,
sondern um allgemein die Schäden aufzudecken,
die in der Fabrikation und im Handel mit Farb-
materialien eingerissen waren, um zu zeigen, wie
schädlich der „Schlendrian und Schwindel" auf
die gesamte Malerpraxis einwirkte, begann Keim
alles zu sammeln, was für seine Prozesssache
dienlich sein könnte, er erwirkte wohl endlich
auch die Freigabe des Buches, unter der Bedingung
der Unkenntlichmachung der beanstandeten Stelle,
aber wichtiger noch als alle Beweise erschien ihm
der Erfolg, den er sich von einem eigens zu diesem
Zwecke einberufenen „Kongress zur Bekämpfung
des Schlendrians und Schwindels im Handel und
Gebrauch mit Farben", München 190$, versprach.
Mit dem ihm eigenen Organisationstalent ging
Keim an die Ausführung des Planes und er konnte
an der zahlreichen Beteiligung aus Malerkreisen
sehen, dass er mit seiner Kampfansage vielen aus
der Seele gesprochen hatte. Aber das im höchsten
Grade merkwürdige, ja unerwartete Ergebnis der
Debatten war die Erkenntnis, dass nicht die Fa-
brikanten, sondern die Verbraucher an dem
Schlendrian und schwindelhaften Farbenmischen
schuld waren, dass die letzteren der Konkurrenz
wegen möglichst billige Waren und gestreckte
Farben verlangten und sich nicht um die Halt-
barkeit der Arbeit kümmerten, wenn sie nur bei
 
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