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Münchner kunsttechnische Blätter — 15.1918-1919

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Nr. 13
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Die Lehre vom "goldenen Schnitt" und seine Anwendung [5]
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Berger, Ernst: 25 Jahre Münchener Maltechnik [6]
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https://doi.org/10.11588/diglit.36588#0074

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74

Münchner kunsttechnische Blätter

Nr. tß

idealistischen Formgebung, die wie jede Form-
gebung bestimmten Gesichtspunkten entsprach.
Wir Anden heute eine Gesetzmässigkeit in diesen
Kunstäusserungen, wir schieben bestimmte Ab-
sichten dort ein, wo von Anfang an ganz natur-
gemäss und ohne Zwang in rein künstlerischem
Geist geschaffen worden ist. Ist aber wirklich
ein Gesetz für das Mass der harmonischen und
schönen Form gefunden, dann wären wir unklug,
es nicht auch für unsere Zwecke zu verwerten.
N achschrift.
Mit dem Abschluss der obigen Abhandlung
beschäftigt, erhalte ich Kenntnis von dem Er-
scheinen eines Werkes von E. Zederbauer, „Die
Harmonie im Weltall, in der Natur nnd Kunst"
(Orion-Verlag, Wien und Leipzig 1917), in dem
der Autor eine neue Theorie aufstellt, die darin
besteht, dass sowohl die Natur im grossen und
im kleinen, als auch
jegliche künstlerische
Produktion auf dem sog.
harmonischen Drei-
eck beruhe. Das har-
monische Dreieck ist auf
dem pythagoräischen
Lehrsatz basiert, indem
die Quadrate der beiden
Katheten und der Hy-
pothenuse innerhalb
eines die Enden dieser
Quadrate berührenden
harmonischen Kreises
liegen. Das harmonische
Dreieck bildet zwei
grundlegende Grössen
(die beiden Seiten a
und b), die dritte
Grösse bietet der Durch-
messer des obigen Krei-
ses (R) und die vierte
Grösse (r) wird gefun-
den durch die Differenz
der beiden Längen der
Seiten des Dreiecks. Mit diesen vier Grössen
operiert nun Zederbauer und er kommt in der Tat
an hunderten von Beispielen in Natur und Kunst
zu einer Art von übereinstimmender Gesetzmässig-
keit. Als Beispiele füge ich zwei Pausen nach
Zederbauers Werk hier an (Fig. 5 u. 6).
Ist durch die Theorie des „harmonischen Drei-
ecks" die Regel des goldenen Schnittes überholt
oder wertlos geworden? Mit nichten! Im Gegen-
teil! Denn abgesehen davon, dass Zederbauers
Massannahmen etwas Willkürliches haben, weil er
die vier Grundmasse nach Belieben bald addiert,
multipliziert oder dividiert, je nachdem es ihm
besser passt (s. die Figuren!), so sind, wenn man
sie mit dem goldenen Zirkel nachmisst, die vier

Grössen untereinander auch im Verhältnis
des goldenen Schnittes, und daraus erklärt
sich die vielfache Uebereinstimmung der Zeder-
bauerschen Messungen mit denen von Zeising,
Göringer u. a.
25 Jahre Münchener Maltechnik.
Von E. B.
(5. Fortsetzung.)
Der Unterschied zwischen der gewöhnlichen
Oelmalerei und dieser Temperamalerei lag auf der
Hand. L. A. Kunz zeigte mir zwei Bilder gleichen
Motives in den beiden Manieren gemalt und die
Feinheiten der Malerei waren auf dem Tempera-
bild ungleich schöner, die Durchsichtigkeit der
Schattentöne ungleich grösser und die Gesamt-
erscheinung erinnerte mehr an die alte Meisterart.
Hatten die Niederländer, hatte Tizian und die
Italiener in dieser Art gemalt? Jetzt begriff ich
Lenbachs Vorliebe für diese Methode und verstand,
was ihn so sehr an den Alten bezauberte. Ausser
Lenbach und sein Kreis waren die jungen Diez-
Schüler von der Art sehr eingenommen, auch
hörte man, dass Hans Thoma und Arnold Böcklin
sie pflegten. Ich besitze aus der Zeit noch etliche
in dieser Manier gemalte Skizzen, die alle Vor-
züge der Technik zeigen; auch gleichzeitig in
Wurmscher Tempera auf geleimter (ungrundierter)
Pappe gemalte Proben zeigen die Durchsichtigkeit
der Schatten und die Transparenz der Töne bis
heute unverändert.
Neuartig war zu dieser Zeit in München die
Pastelltechnik, die in grosser Vollendung von
Meistern wie Bruno Piglhein ausgeübt wurde.
Er verstand es, mittels dieses Materiales zauber-
hafte Effekte zu erzielen und entzückte durch
immer neue Variationen seiner schicken Porträts
oder noch mehr durch seine Kinderfiguren, deren
Fleischteile er ganz unnachahmlich wahr wieder-
gab. Seine hervorragende zeichnerische Begabung
kam hier vollends zur Geltung. Durch zwei seiner
Schüler wurde ich mit Piglhein bekannt und hatte
Gelegenheit, dessen Technik aus erster Hand
kennen zu lernen: sie war in jeder Richtung auf
sicheres Können und hervorragend feinen Ge-
schmack basiert.
Im übrigen malten alle Maler mit Oelfarben,
denn nur mit diesen konnte die realistische
Wirkung, wie sie allgemein gefordert wurde und
als die „alleinige" Methode der Zeit galt, erzielt
werden. Die im Gefolge des Realismus auftretende
Malerei in freier Luft (Pleinairismus) gestattete
kaum eine andere Malart als die Oelmalerei, denn
nur diese ermöglicht, die Töne „alla prima" hin-
zusetzen, wie sie der Maler vor der Natur sieht.
Das früher und ganz besonders in der Zeit Pilotys
viel geübte Lasieren galt als überwundener Stand-
punkt, weil in der Natur, besonders aber in der
 
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