Nr. 6
Münchner kunsttechnische Blätter
33
vermeidlich, dass auch andere kleine Naturen, ohne
Selbständigkeit und innere Kraft, mitgerissen wer-
den in dem Strudel der neuen Kunstbewegung;
es bilden sich neue Gruppen in kleineren Städten
und in anderen Ländern, die sich aneinander an-
schliessen. Die Zahl ihrer Anhänger und Freunde
wächst, so dass es ein dringendes Bedürfnis
wird, eine eigene Fachpresse, ein besonderes
Organ unter kunstgewandter und kunstgelehrter
Führung zu gründen, die sich für die jüngste Kunst
gebührend einsetzen und die Welt von dem Wert
ihrer „Priester" zu überzeugen suchen soll. Und
solche gibt es gegenwärtig gerade genug!
Als ein lehrreiches Beispiel, wie man es für
geboten erachtet, bei solchem Anlass „die gute
Absicht mitjenen abgegriffenen, inhaltslosen Phrasen
zu trüben, die nun schon zu lange wie klingende
Schellen jedes besonnene Urteil übertönen", seien
einige Sätze aus dem Prospekt einer solchen in
Frankfurt a. M. gegründeten „Vereinigung" mit-
geteilt.
Die „M. N. N." vom 22. V. 1917 enthielten
die folgende daraus entnommene Stelle:
„Und ist es nicht, was uns aufrecht hielt in dieser
Zeit, ist es nicht die grosse Inbrunst der Bi!der und
Statuen um uns gewesen, die grosse Welte des Gefühls,
mit der der Geist in diesen seinen Symbolen aus der
Menschheit hinaufschlug. Ist es nicht die paradie-
sische Klarheit, die blaue Ewigkeit Franz Marcs,
die versprechend über alles hinaus vor uns steht. Nicht
Heckeis dithyrambische Explosion . . . Weiss-
gerbers nackte göttliche Körper unter den Palmen-
wedeln . . . Kokoschkas Gier nach dem, was hinter
den Dingen steht . . . Grossmanns mystisches Ver-
schweben der Landschaft . . . Hötgers weises Suchen
des einfachen Ausdrucks . . . Lehmbrucks flöten-
hafte übersehnsüchtige Gotik . . . und andere
Fanfaren: Matisse, . . . Nolde, . . . Munch,. . . Chagall!"
Dazu machte R. Oldenbourg folgende sehr
treffende Bemerkungen:
„Es möchte die Druckerschwärze nicht lohnen,
diese Auslese überspannter Redensarten als
solche kennzeichnen, wenn nicht die moderne Kunst
durch solchen Unfug schwer gefährdet würde. Denn
einerseits werden die Opfer solcher Betörungsversuche
eines Tags beschämt erkennen, dass sie jenem König
im Märchen gleichen, der sich aus Angst, für dumm zu
gelten, zu den unsichtbaren Hosen überreden liess und
mit diesen vor sein Volk trat. In begreiflicher Ent-
rüstung werden sie dann die Schuld nicht bei sich,
sondern auf Seite der modernen Kunst suchen und
ihre erbittertsten Feinde werden. Ernten aber diese
Könige in Unterhosen nur den Lohn ihrer schwäch-
lichen Vertrauensseligkeit, so ist anderseits die Gefahr
der heute üblichen, irreleitenden Propaganda für die
Künstler weit folgenschwerer. Meistens handelt es sich
um junge Talente, die sich noch nicht zu einem sicheren
Bewusstsein ihrer Künstlerschaft durchgearbeitet haben
— vorausgesetzt, dass sie einer solchen überhaupt
fähig sind. Schon nach den ersten selbständigen
Schritten fallen ihnen betäubende Hymnen entgegen
und wenn selbst ihre persönliche Eitelkeit diesem gif-
tigen Weihrauch widerstrebt, so werden sie doch durch
die unverzüglich erfolgenden literarischen Darstellungen
ihrer Kunst in einer Weise abgestempelt und begriff-
lich festgelegt (man vergleiche die zitierten Schlag-
worte), die die unbefangene Weiterentwicklung ihrer
Gaben notwendig beeinträchtigen, wenn nicht gerade-
zu unterbinden muss. Wer möchte bestreiten, dass
mit den oben genannten Namen, so ungleichwertig sie
auch seien, ein paar bedeutende Exponenten der mo-
dernen Kunst angedeutet sind! Warum aber diese
blinde Ekstase, die sich jeder Abstufung des Urteils
begibt? Warum die ,neue Kunst' so scharf für sich
absondern, anstatt sie im Gegenteil als die natürliche
Fortsetzung der vorausgegangenen zu betrachten und
dadurch verständlich zu machen? Wozu der Missbrauch
der Namen Matisse und Munch, um einen Heckei und
Nolde zu heben ? Ist denn die neue Kunst gar so schwach,
dass sie ein sachlich wägendes Urteil nicht verträgt?"
Dieses künstlich in die Höhe getriebene, glit-
zernde Berühmtsein kann, wie der oben genannte
Referent betont für die Künstler oder einige da-
von nicht ohne Folgen sein.
Sie begnügen sich nicht damit, innerhalb der
Kunst, der Malerei, zu einer geistigen Macht und
zu einer führenden Stellung gelangt zu sein; sie
streben nach Höherem und zu einer Reform sämt-
licher übrigen Kunstgattungen!
Man sollte es nicht für möglich halten, was
mir ein Schweizer Freund über die Gründung einer
solchen neuartigen Liga erzählte, die den Titel
„Dada" führt, und für die in Zürich ein gleich-
namiger Salon errichtet wurde. Die „Galerie Dada"
veranstaltet Ausstellungen von „abstrakter Kunst,
bei der man Erwartungen auf menschliche Er-
schütterung ausschaltet, Farbe und Form schlürfen
will wie einen edlen Wein". Aber nicht allein
die bildende Kunst steht unter dem Zeichen „wach-
senden Daseinsgefühls, am Ausgangspunkt des
künstlerischen Erlebens" . . Es scheint, als gäbe
es eine „Sphäre verborgener Gesetzlichkeit, die
mathematisch bestimmbar wäre und von deren
Schwingungszeiten das körperliche und seelische
Glück des Menschen berührt würde", und wie die
Farben auf den Bildern „vielen Engeln gleich auf
und nieder steigen, sich die goldenen Eimer
reichen, eine schöne Einheit mit der Welt ver-
binden", so müssten auch die Künste sich zur
dadaistischen Einheit verbinden. Den simultanen
Farbeneindrücken gleich, werden „simultana-
istische" Gedichte, in vier Sprachen geschrie-
ben, von vier Stimmen gleichzeitig vorgetragen!
Einige mir vorliegende dadaistische Gedichte sind
zu läppisch, als dass sich wagen würde, sie hier
abzudrucken. Man sollte meinen, derlei Kinderei
könnte kaum lange dauern oder überhaupt nie
ernst genommen werden. Aber man irrt darin!
Die Dadaisten suchen ihre Lehre zu verbreiten
und sandten Sendboten im vorigen Sommer nach
Berlin. Karl Lahm berichtete über diese Pro-
pagandafahrt der Züricher Künstlergilde „Dada"
in einem Feuilleton der „M. N. N.", aus dem fol-
gende Stellen entnommen sind:
„Dadaismus? Arme, wechsellüsterne Lebewelt!
Man sucht, sich nach neuem Verfahren wichtig zu
machen, lädt ein unter eine knallige Fahne Scholanten
zu vorgeblich noch nicht dagewesenem Kunst- und
Münchner kunsttechnische Blätter
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vermeidlich, dass auch andere kleine Naturen, ohne
Selbständigkeit und innere Kraft, mitgerissen wer-
den in dem Strudel der neuen Kunstbewegung;
es bilden sich neue Gruppen in kleineren Städten
und in anderen Ländern, die sich aneinander an-
schliessen. Die Zahl ihrer Anhänger und Freunde
wächst, so dass es ein dringendes Bedürfnis
wird, eine eigene Fachpresse, ein besonderes
Organ unter kunstgewandter und kunstgelehrter
Führung zu gründen, die sich für die jüngste Kunst
gebührend einsetzen und die Welt von dem Wert
ihrer „Priester" zu überzeugen suchen soll. Und
solche gibt es gegenwärtig gerade genug!
Als ein lehrreiches Beispiel, wie man es für
geboten erachtet, bei solchem Anlass „die gute
Absicht mitjenen abgegriffenen, inhaltslosen Phrasen
zu trüben, die nun schon zu lange wie klingende
Schellen jedes besonnene Urteil übertönen", seien
einige Sätze aus dem Prospekt einer solchen in
Frankfurt a. M. gegründeten „Vereinigung" mit-
geteilt.
Die „M. N. N." vom 22. V. 1917 enthielten
die folgende daraus entnommene Stelle:
„Und ist es nicht, was uns aufrecht hielt in dieser
Zeit, ist es nicht die grosse Inbrunst der Bi!der und
Statuen um uns gewesen, die grosse Welte des Gefühls,
mit der der Geist in diesen seinen Symbolen aus der
Menschheit hinaufschlug. Ist es nicht die paradie-
sische Klarheit, die blaue Ewigkeit Franz Marcs,
die versprechend über alles hinaus vor uns steht. Nicht
Heckeis dithyrambische Explosion . . . Weiss-
gerbers nackte göttliche Körper unter den Palmen-
wedeln . . . Kokoschkas Gier nach dem, was hinter
den Dingen steht . . . Grossmanns mystisches Ver-
schweben der Landschaft . . . Hötgers weises Suchen
des einfachen Ausdrucks . . . Lehmbrucks flöten-
hafte übersehnsüchtige Gotik . . . und andere
Fanfaren: Matisse, . . . Nolde, . . . Munch,. . . Chagall!"
Dazu machte R. Oldenbourg folgende sehr
treffende Bemerkungen:
„Es möchte die Druckerschwärze nicht lohnen,
diese Auslese überspannter Redensarten als
solche kennzeichnen, wenn nicht die moderne Kunst
durch solchen Unfug schwer gefährdet würde. Denn
einerseits werden die Opfer solcher Betörungsversuche
eines Tags beschämt erkennen, dass sie jenem König
im Märchen gleichen, der sich aus Angst, für dumm zu
gelten, zu den unsichtbaren Hosen überreden liess und
mit diesen vor sein Volk trat. In begreiflicher Ent-
rüstung werden sie dann die Schuld nicht bei sich,
sondern auf Seite der modernen Kunst suchen und
ihre erbittertsten Feinde werden. Ernten aber diese
Könige in Unterhosen nur den Lohn ihrer schwäch-
lichen Vertrauensseligkeit, so ist anderseits die Gefahr
der heute üblichen, irreleitenden Propaganda für die
Künstler weit folgenschwerer. Meistens handelt es sich
um junge Talente, die sich noch nicht zu einem sicheren
Bewusstsein ihrer Künstlerschaft durchgearbeitet haben
— vorausgesetzt, dass sie einer solchen überhaupt
fähig sind. Schon nach den ersten selbständigen
Schritten fallen ihnen betäubende Hymnen entgegen
und wenn selbst ihre persönliche Eitelkeit diesem gif-
tigen Weihrauch widerstrebt, so werden sie doch durch
die unverzüglich erfolgenden literarischen Darstellungen
ihrer Kunst in einer Weise abgestempelt und begriff-
lich festgelegt (man vergleiche die zitierten Schlag-
worte), die die unbefangene Weiterentwicklung ihrer
Gaben notwendig beeinträchtigen, wenn nicht gerade-
zu unterbinden muss. Wer möchte bestreiten, dass
mit den oben genannten Namen, so ungleichwertig sie
auch seien, ein paar bedeutende Exponenten der mo-
dernen Kunst angedeutet sind! Warum aber diese
blinde Ekstase, die sich jeder Abstufung des Urteils
begibt? Warum die ,neue Kunst' so scharf für sich
absondern, anstatt sie im Gegenteil als die natürliche
Fortsetzung der vorausgegangenen zu betrachten und
dadurch verständlich zu machen? Wozu der Missbrauch
der Namen Matisse und Munch, um einen Heckei und
Nolde zu heben ? Ist denn die neue Kunst gar so schwach,
dass sie ein sachlich wägendes Urteil nicht verträgt?"
Dieses künstlich in die Höhe getriebene, glit-
zernde Berühmtsein kann, wie der oben genannte
Referent betont für die Künstler oder einige da-
von nicht ohne Folgen sein.
Sie begnügen sich nicht damit, innerhalb der
Kunst, der Malerei, zu einer geistigen Macht und
zu einer führenden Stellung gelangt zu sein; sie
streben nach Höherem und zu einer Reform sämt-
licher übrigen Kunstgattungen!
Man sollte es nicht für möglich halten, was
mir ein Schweizer Freund über die Gründung einer
solchen neuartigen Liga erzählte, die den Titel
„Dada" führt, und für die in Zürich ein gleich-
namiger Salon errichtet wurde. Die „Galerie Dada"
veranstaltet Ausstellungen von „abstrakter Kunst,
bei der man Erwartungen auf menschliche Er-
schütterung ausschaltet, Farbe und Form schlürfen
will wie einen edlen Wein". Aber nicht allein
die bildende Kunst steht unter dem Zeichen „wach-
senden Daseinsgefühls, am Ausgangspunkt des
künstlerischen Erlebens" . . Es scheint, als gäbe
es eine „Sphäre verborgener Gesetzlichkeit, die
mathematisch bestimmbar wäre und von deren
Schwingungszeiten das körperliche und seelische
Glück des Menschen berührt würde", und wie die
Farben auf den Bildern „vielen Engeln gleich auf
und nieder steigen, sich die goldenen Eimer
reichen, eine schöne Einheit mit der Welt ver-
binden", so müssten auch die Künste sich zur
dadaistischen Einheit verbinden. Den simultanen
Farbeneindrücken gleich, werden „simultana-
istische" Gedichte, in vier Sprachen geschrie-
ben, von vier Stimmen gleichzeitig vorgetragen!
Einige mir vorliegende dadaistische Gedichte sind
zu läppisch, als dass sich wagen würde, sie hier
abzudrucken. Man sollte meinen, derlei Kinderei
könnte kaum lange dauern oder überhaupt nie
ernst genommen werden. Aber man irrt darin!
Die Dadaisten suchen ihre Lehre zu verbreiten
und sandten Sendboten im vorigen Sommer nach
Berlin. Karl Lahm berichtete über diese Pro-
pagandafahrt der Züricher Künstlergilde „Dada"
in einem Feuilleton der „M. N. N.", aus dem fol-
gende Stellen entnommen sind:
„Dadaismus? Arme, wechsellüsterne Lebewelt!
Man sucht, sich nach neuem Verfahren wichtig zu
machen, lädt ein unter eine knallige Fahne Scholanten
zu vorgeblich noch nicht dagewesenem Kunst- und