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Münchner kunsttechnische Blätter — 15.1918-1919

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Nr. 17
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Stehl, Georg: Kunstlackierungen [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.36588#0102

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Münchner kunsttechnische Blätter

:o2

Nr.

zeitlichen Ausstattungsgegenständen angewandt und
damit gute dekorative Wirkungen erzielt. Auch glaubte
man wohl, dass derartige Lackierungen für uns heut-
zutage wenig Interesse hätten, weil zu teuer und nicht
zeitgemäss. Dem ist aber nicht so. Es lassen sich
zu annehmbaren Preisen bessere Möbel herstellen, die
einen gar nicht übertriebenen Schmuck der Wohnung
bieten. Auch ist nicht gesagt, dass eine ganze Raum-
ausstattung nun in dieser Art Kunstlackierung durch-
geführt sein müsse. Im Gegenteil, die Alten Hessen
solche Vernis-Martin-Stücke als Einzelgegenstände
in einer Raumausstattung paradieren. Das Gleiche
gilt auch heute noch. Schreiber dieses hat schon
manches Einzelstück angefertigt, aber nur, weil der-
selbe selbst in seiner Wohnung solche neuangefertigte
Sachen als Muster hat. Es liegt wohl auch ein Fehler
darin, dass man die alten Mustersachen in die Museen
verschleppt, wo sie wohl aufbewahrt und „konserviert"
(erhalten) bleiben, aber aus den Augen der Leute ge-
bracht werden. Auch kann sich der Laie nicht vor-
stellen, wie solch ein Möbel in einer anderen Umgebung
wirkt, und die Berufenen kümmern sich nicht darum;
für die letzteren ist meistens der Zweck mit der Ein-
kastelung erreicht. Damit wird aber unserem und so
vielen anderen Gewerben die Anregung entzogen, und
es geht nicht allein die Verdienstmöglichkeit, sondern
die Sache selbst verloren.
Im Nachstehenden wollen wir nun zunächst eine
gründliche Beschreibung des ganzen Vernis-Martin-
Lackverfahrens von Grund aus geben, um dann mit
einer kurzen Nutzanwendung für unsere heutige Zeit
und deren Anforderungen zu schliessen; jedenfalls aber
hoffen wir damit diese dankbare und verdienstbringende
Arbeit aus der Vergessenheit ans Tageslicht zu ziehen
und damit zu neuen Verdienstmöglichkeiten anzuregen.
Die zu behandelnden Gegenstände müssen aus
bestem, astfreiem Holz hergestellt sein. Nadelhölzer
sind zu vermeiden, weil diese sich immer werfen, ziehen
und zusammenschrumpfen. Trotz der umfassendsten
Vorarbeiten sieht man die Jahrringe unter dem Lack
hervortreten und ein wellenförmiges Gebilde ergeben.
Die von uns oben erwähnten Möbel waren meistens
aus Ahornholz gefertigt und von beiden Seiten ver-
doppelt, also kein einfaches Fournier, sondern 3 — 4 mm
starke Nussbaumtafeln waren quer darübergeleimt, an
Füllungen und Friesen; die ersteren waren stets lose
eingelegt und innen mit einer Halt- und Deckleiste
versehen. Schon daraus geht wohl hervor, dass man
einen ausserordentlich hohen Wert auf den Untergrund
zu legen hat. Selbstverständlich ist, dass das Holz
trocken sein muss. Das Holz der oben geschilderten
Möbel wurde im Ofen getrocknet, bevor es in Arbeit
gegeben wurde. Ebenso ist allersauberste Tischler-
arbeit nötig.
Der Gegenstand wird dann zunächst mit feinem
Glaspapier gut nachgeschliffen, wo der Tischler doch
etwa noch manches übersehen hat. Dann wird sau-
berst abgestaubt und mit Leimwasser getränkt. Die
Stärke des Leimwassers wird so gehalten, dass Daumen
und Zeigefinger bei der Klebeprobe nur ganz leicht
aneinander kleben. Dieses Leimwasser, von bestem
Tischlerleim hergestellt, von den Vergoldern auch
„Tränke" genannt, wird heiss autgetragen. Beim Auf-
trag sieht man schon, während die Tränke in das Holz
einzieht, wie sich die Poren des Holzes ausdehnen,
wie das Holz „quillt". Die Tränke soll möglichst gleich-
mässig aufgetragen werden. Ueberhaupt sei von vorn-
herein gesagt, dass ein peinlich sauberes, genaues, ja
geradezu liebevolles Arbeiten bis in die kleinsten Teile
erforderlich ist, soll das Endresultat ein schönes und
befriedigendes sein. Jeder Leichtsinn, auch der kleinste,
ist geeignet, sich später bitter zu rächen. Nachdem
nun die Tränke gut getrocknet ist, nimmt man ent-
sprechend scharfes Glaspapier und schleift das Möb<d

zuerst in den Ecken sauberst heraus, etwa scharfe
Kanten, zarte runde Stäbchen und Schnitzereien müssen
mit kleinen Stückchen Glaspapier in ziehender Weise
behandelt werden. Wir sagen ausdrücklich, dass zu-
erst die Ecken uud Winkel sowie etwaige Schnitze-
reien geschliffen werden und später erst die Flächen.
Wird umgekehrt gearbeitet, so setzen sich die Ecken,
Winkel und Schnitzereien voll Schleifabfall. Dieser
erschwert dann das gründliche Schleifen ausserordent-
lich, ja er macht diese Arbeit oft geradezu unmöglich,
so fest sitzt der Abfall in den Poren. Das Gleiche
gilt auch für alle spätere Schleifarbeit, deren es bei
diesem Lackverfahren nicht wenig gibt. Schleifen ist
eine der grössten Hauptsachen bei der ganzen
Arbeit.
Ist nun gut geschliffen, sauberst abgestaubt, wenn
nötig, nachgeschliffen und nachgestaubt, so nimmt man
den sogenannten Kreidegrund zur Hand, der auch im
Vergolderbetrieb als solcher bekannt ist. Den Kreide-
grund bereitet man, indem man der heissen Tränke
so viel feinst gemahlene Berg- oder Steinkreide zu-
setzt, dass dieselbe in der Mitte des Gefässes über
die Flüssigkeit hervorragt. Man lasse sich nicht ver-
leiten, Schlemmkreide zu nehmen, weil diese den Dienst
nicht tut, vor allem wird sie nicht hart genug und
neigt zum Blättern. Am besten nimmt man ein Haches
irdenes Gefäss, welches man auf den Gas-, Petroleum-
oder Spirituskocher stellt und in welchem man bei
schwacher Flamme die Flüssigkeit heiss, nicht
kochend, erhält, also auch den Kreidegrund. Dann
streut man mit der Hand die Bergkreide langsam in
die Mitte hinein. Hat die Kreide in der Mitte die
OberHäche überschritten, so rührt man langsam um,
damit eine innig vermengte dicke Flüssigkeit entsteht.
Sodann nimmt man verschieden grosse Siebe, am besten
drei, das letzte muss ganz fein sein (Drahthaarsieb)
und reinigt so den Kreidegrund von allen Körnern und
Substanzen. Unter Umständen emphehlt es sich sogar,
den Kreidegrund in dicker Form auf dem Stein zu
reiben und dann mit Tränke entsprechend zu ver-
dünnen.
Ist so der Kreidegrund fertig, dann trägt man ihn
mit einem Haarpinsel heiss auf, schön gleichmässig,
lässt gut trocknen und schleift dann mit feinem Glas-
papier, wie oben beschrieben. Dann staubt man ab
und wiederholt den Vorgang einigemale; 3—4 mal wird
meistens genügen, wenn wirklich saubere Tischlerarbeit
vorliegt. Beim zweiten Auftrag des Kreidegrundes
und bei den späteren Wiederholungen muss man recht
Hink zu Werke gehen, da sich sonst der Grund leicht
aufreibt; das soll unter allen Umständen vermieden
werden. Wird der Kreidegrund durch das Heisshalten
auf der Flamme zu dick, so muss mit Leimwasser
nachgeholfen werden.
So erhält man äusserst feine, glatte Flächen, so
glatt wie eine Kristallglastafel; auch die Ecken, Winkel
und Schnitzereien müssen so sein. Etwaige doch ent-
stanoene Unebenheiten sind Folgen fehlerhaften Kreide-
grundes und werden mit Kreidegrund ausgebessert und
nachgeschliffen, doch soll das nicht Vorkommen. Das
ganze ist eine wenn auch nicht mühsame, so doch eine
Arbeit, welche viel Liebe zur Sache erfordert. Ecken,
Winkel und Schnitzereien kann man nötigenfalls mit
Schachtelhalm schleifen. Schachtelhalm sind dünne,
hohle Stengel mit feinscharfen Rippen, in jeder Drogerie
zu haben. Man bricht kleine Stücke ab, mit denen
man in die Winkel reicht. Schwierige Stellen kann
man mit einem Haarpinsel mit Wasser befeuchten, die
man dann mit in Wasser geweichtem Schachtelhalm
schleift.
(Fortsetzunng folgt.)

Verlag der Werkstatt der Kunst E. A. Seemann, Leipzig
 
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