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Münchner kunsttechnische Blätter — 15.1918-1919

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Nr. 22
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Die künstlerische Proportionslehre von Vitruv bis Dürer [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.36588#0129

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'Nr. 32

Münchner knnsttechnische Blätter.

teilungen teilst: die Stirne für die erste, die
Nase für die zweite und das Kinn für die dritte.
Mache die Haare ausserhalb des Masses eine
Nasenlänge. Teiie den Raum, der zwischen Kinn
und Nase ist, wieder in drei Partien; das Kinn
ist für zwei Masse, der Mund für eine und der
Kehlkopf für eine Nasenlänge.
Dann miss vom Kinn bis zur Mitte des
Leibes drei Masse; bis zu den Knien zwei
andere. Für das Knie nimmst du eine Nasen-
länge. Von den Knien bis zum Astrogal
(Knöchel) zwei andere Masse, dann vom Astrogal
bis zur Fusssohle eine Nasenlänge; von da zu
den Nägeln ein Mass.
Vom Kehlkopf zur Schulter ebenfalls ein
Mass, desgleichen zur andern Schulter. Für die
Rundung der Schulter nimm eine Nasenlänge.
Miss bis zum Ellbogen an der inwendigen
Seite ein Mass. Und wieder ein anderes bis zum
Handgelenk. Von dort wieder bis zur Finger-
spitze ein Mass.
So gross das eine Auge ist, ist es das andere
ebenfalls; um ebensoviel ist auch das eine vom
anderen entfernt. Ist der Kopf seitwärts (gekehrt),
so macht es zwei Nasen zwischen Auge und
Ohr; ist der Kopf ins Gesicht (gekehrt), so
braucht es nur eine Nasenlänge. Das Ohr muss
der Nase gleich sein.
Ist der Mensch nackt, so braucht man vier
Nasen für die Hälfte seiner Breite; ist der Mensch
bekleidet, so hat die Hälfte der Brust anderthalb
Kopf; der Gürtel muss bis zu den Hüften (ge-
hoben) sein, bis wohin der Ellbogen reicht.
Anmerkung von Didron d. Ält.
Heutzutage geben die Maler auf dem Berge
Athos ihren Figuren nicht mehr die Ausdehnung,
welche das Manuskript vorschreibt. Statt eins
zu neun, ist es nur mehr eins zu acht; die Per-
sonen sind kürzer. Man nimmt den Kopf als
Einheitsmass, und man sagt der Kopf (soll wohl
„Körper" heissen? E. B.) muss acht Längenmasse
haben. Das Becken ist vier Masse von den
Knöcheln und vier Masse von dem Scheitel des
Hauptes und es liegt gerade in der Mitte des
Körpers. Das Knie liegt an fünf und einem halben
Mass. Uebrigens ist, wie es im Manuskript heisst,
von der Nasenwurzel bis zur Spitze dieselbe Ent-
fernung, wie von der Nasenwurzel zum Ende des
Auges. Mit dem Zirkel bestimmte Pater Joaseph
die Verhältnisse seiner Figuren und den Umriss
ihwet heisst Licht; Augen. Ich
(d. i. Didron) übersetze deshalb toy?; mit Kopf, um-
somehr, als wie ich es in der Note der folgenden
Seite anführe, man noch jetzt auf dem Berge Athos
die Verhältnisse des menschlichen Körpers nach
Köpfen zählt. Ich habe den Maler Joesaph !ß Figuren
mit Anwendung dieses Kalküls malen sehen. Bei
Lionardo de Vinci 1. c. n. 9 werden io Köpfe als die
Grösse des ausgewachsenen Menschen angegeben.

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des Hauptes, die Verhältnisse der Büste und des
ganzen Körpers. In unserer romanischen Kunst,
die man so fälschlich byzantinisch nennt, haben
die Figuren neun Hauptlängen; acht und einhalb


ungefähr im 13. Jahrhundert, acht und sieben-
einhalb im 14. und 1$. Im 16. erhebt sich mit
der Renaissance die Taille, und gewisse Fi-
guren von Jean Gouzon erreichen neun Haupt-
längen. Lesueur liebt diese langen Figuren.
Wenn der Hl. Bruno, der knieend betet, aufrecht
stände, hätte er mehr als neun Hauptlängen.
Das wahre Verhältnis des menschlichen Leibes
ist ungefähr sieben und Dreiviertel oder acht
Hauptlängen; es ist diejenige, welche unsere
Maler, die dem Ideal die Realität vorziehen, in
unseren Tagen angenommen haben.
Anmerkung.
Die hier eingeschaltete Figur 2 zeigt das by-
zantinische Schema der neun Gesichtlängen grossen
menschlichen Gestalt, wobei (linke Figur) die
Gesichtslänge zur Grundlage genommen ist. Da
Didrons Darstellung es ungewiss lässt, ob die
Gesichts- oder die Kopflänge als Einheit
zu gelten habe, ist die Figur rechts nach gleicher
Art mit Kopflängen konstruiert.
(Fortsetzung folgt.)
 
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