Münchner kunsttechnische Blätter
39
Nr. §
Ungleich leichter dünkt unserem jungen Mann
der Beruf des Dichters. Vor allem braucht die
Persönlichkeit nicht in dem Masse in den Vorder-
grund zu treten, wie beim Sänger, Schauspieler,
Musiker usw. Um aber als Dichter seine Lauf-
bahn zu beginnen, gehört ausser der Begabung
noch viel, viel Glück, und bis der Verleger ge-
funden, die Kritik gewonnen, die Redaktionen belle-
tristischer, führender Zeitschriften, Novellen und
Aehnliches, oder gar Romane abdrucken, kann
gar manches Jahr vergehen.
Um wie viel besser ist hier der Maler dran!
Schon von dem Moment an, da er sich das nötige
Handwerkszeug, Staffelei, Leinwand und Farben
angeschafft hat, fühlt er sich als zur Malerschait
gehörig, er besucht alle Kunstausstellungen, kriti-
siert die Arbeiten seiner Genossen und Freunde,
er trifft Gleichgesinnte im Cafe und schliesst sich
ihnen in der Kneipe an. Hat er nun auch seine
nächste Umgebung, die Eltern oder den Vormund
von seinem Talent und der ihm blühenden Zukunft
überzeugen können, dann sieht er wohl den ,,Himmel
voller Geigen". Die Not ums tägliche Brot ist ihm
benommen, er braucht sich nicht in den Frohn-
dienst der Illustration oder der kunstgewerblichen
Arbeiten zwingen zu lassen, er ist ein freier Mann
und Herr seiner Entschlüsse. Und er entschliesst
sich natürlich auch sofort zur „neuen Kunst", denn
nur das Neueste hat Zukunft! Aber das Wich-
tigste ist, dass er für diese Kunst keine umständ-
liche Vorschule oder gar die Akademie zu besuchen
braucht, denn das Wesentliche der neuen Kunst-
richtung besteht eben darin, alles abzuwerfen, was
an die Schule oder Akademie nur erinnert. Nicht
das handwerkliche Können ist erstrebenswert, son-
dern der geistige Gehalt des Werkes, die Form
tritt ganz zurück gegen den Gedanken, in dem sich
die „Neue Kunst" auszusprechen sucht.
Bedenken wir vor allem, aus welchen Kreisen
sich die Jungmannschaft der „neuen" Kunst rekru-
tiert, und dass es meist Leute sind, die aus rein
literarisch-geistiger Sphäre zur Kunst Fühlung
nehmen und von wirklich malerischem Sinn wenig
oder gar nichts in sich stecken haben! Vollends
nur auf die Tageskritiken der Zeitungen eingestellt,
die von jeher dem Alten und Hergebrachten den
Krieg erklären, begrüssen sie alles „Anti-aka-
demische" mit lautem Beifall und fühlen sich be-
rufen, an der Erneuerung der ästhetischen, wie sie
glauben, verbesserungsbedürftigen Kunstanschau-
ung und der Schaffung neuer Grundlagen für die
nach ihrer Meinung altersschwach gewordene
Kunst mitzuarbeiten.
Der allgemeinen Uebung folgend, besucht unser
angehender „Kunstmaler" eine der Privat-Mal-
schulen, in denen Akt und Kopf nach der Natur
gezeichnet oder gemalt werden kann; aber nur
wenige Monate hält es ihn daselbst fest. Das
Anlehnen an das Naturvorbild ist ihm nicht „geistig"
genug, auch fühlt er sich vor der Natur nicht „frei",
weil er bei der Korrektur von seiten des Meisters
auf das fehlerhafte seiner Zeichnung eindringlich
aufmerksam gemacht wird.
Er bleibt also bald ganz fort; denn auch die
Kenntnis der Anatomie des menschlichen Körpers,
auf die er beim Aktzeichnen immer verwiesen wurde,
scheint ihm nicht nötig zu sein, und noch viel
weniger die Perspektive, gegen deren konstruktive
Grundsätze sein „feines Empfinden" vollends rebel-
liert. Wozu auch diese vielen Hilfslinien, nach-
dem doch, wie er an den Bildern neuerer Kunst
sieht, jeder feste Anhalt perspektivischer Art von
vornherein ängstlich vermieden wird!
Sein „Studium" besteht ausschliesslich im Be-
such der Ausstellung neuester Kunst; er bleibt
stundenlang vor Bildern oder Reproduktionen der
jüngsten Kunst in stiller Andacht versunken und
dabei kommt er auf die Ideen, die den Inhalt seines
nächsten Schaffens ausmachen sollen; er sagt sich
wohl:Wasdiese schaffen, das kannichauch!
Wenn ich mir die Zeit und Mühe gebe, wenn ich
versuche, noch bizarrer, noch weniger präzis, noch
„wilder" und neuartiger zu sein, als diese Vor-
bilder! Hat sein Vorbild die menschliche Farbe
in Chokoladebraun gehalten, dann versucht er sie
in Rosa, Grün oder Violett; er verliebt sich in ge-
wisse Farbenkombinationen, die ihm einen bestimm-
ten Gedankeninhalt bieten sollen, er malt mit den
von ihm gewählten Farben, er mischt sie wie Karten-
blätter zusammen, und überlässt es dem Zufall, was
dabei entsteht. Tag für Tag beginnt er das näm-
liche Motiv; einmal wird das Gesicht rosarot, der
Hintergrund Grün und das Gewand Violett, oder
das Gesicht ist Violett mit Grün konturiert, und so
weiter wie bei dem „Thema mit Variationen", das
nämliche wird immer wieder, nur mit anderem Bei-
werk, auszuführen versucht.
Und dann die Zeichnung! Je einfacher und
vereinfachter, je primitiver, naiver desto besser.
Man muss auch weiter zurückgreifen, z. B. zu den
Naturmenschen Asiens, um zum „Urtypus der Form"
zu gelangen, oder bis zur Abstraktion der Form
selbst, um die Mystik und den Symbolismus, also
den geistigen Inhalt von Form und Farbe ganz
und gar auszuschöpfen. Missverstandene Aesthetik,
in Verbindung mit allerlei hohlen Phrasen, die der
Maler sich immer wieder vorspricht, tragen das
ihrige dazu bei, sein Urteil zu verwirren, so dass
er endlich selbst daran glaubt, sich selbst hypno-
tisiert, und der Autosuggestion verfällt, dass
der von ihm eingeschlagene Weg der wahre, ans
Ziel führende ist. Unter seinen nächsten und gleich-'
gesinnten Freunden als besonderes Genie aus-
posaunt, glaubt er bald in Wahrheit ein Künstler
„von Gottes Gnaden" zu sein. Denn (das hat er
irgendwo gelesen) „in einem wahren Künstler muss
der lebendige Gottesfunke, ein Teil der göttlichen
Schöpfungskraft und Macht glühen, der Genius m
39
Nr. §
Ungleich leichter dünkt unserem jungen Mann
der Beruf des Dichters. Vor allem braucht die
Persönlichkeit nicht in dem Masse in den Vorder-
grund zu treten, wie beim Sänger, Schauspieler,
Musiker usw. Um aber als Dichter seine Lauf-
bahn zu beginnen, gehört ausser der Begabung
noch viel, viel Glück, und bis der Verleger ge-
funden, die Kritik gewonnen, die Redaktionen belle-
tristischer, führender Zeitschriften, Novellen und
Aehnliches, oder gar Romane abdrucken, kann
gar manches Jahr vergehen.
Um wie viel besser ist hier der Maler dran!
Schon von dem Moment an, da er sich das nötige
Handwerkszeug, Staffelei, Leinwand und Farben
angeschafft hat, fühlt er sich als zur Malerschait
gehörig, er besucht alle Kunstausstellungen, kriti-
siert die Arbeiten seiner Genossen und Freunde,
er trifft Gleichgesinnte im Cafe und schliesst sich
ihnen in der Kneipe an. Hat er nun auch seine
nächste Umgebung, die Eltern oder den Vormund
von seinem Talent und der ihm blühenden Zukunft
überzeugen können, dann sieht er wohl den ,,Himmel
voller Geigen". Die Not ums tägliche Brot ist ihm
benommen, er braucht sich nicht in den Frohn-
dienst der Illustration oder der kunstgewerblichen
Arbeiten zwingen zu lassen, er ist ein freier Mann
und Herr seiner Entschlüsse. Und er entschliesst
sich natürlich auch sofort zur „neuen Kunst", denn
nur das Neueste hat Zukunft! Aber das Wich-
tigste ist, dass er für diese Kunst keine umständ-
liche Vorschule oder gar die Akademie zu besuchen
braucht, denn das Wesentliche der neuen Kunst-
richtung besteht eben darin, alles abzuwerfen, was
an die Schule oder Akademie nur erinnert. Nicht
das handwerkliche Können ist erstrebenswert, son-
dern der geistige Gehalt des Werkes, die Form
tritt ganz zurück gegen den Gedanken, in dem sich
die „Neue Kunst" auszusprechen sucht.
Bedenken wir vor allem, aus welchen Kreisen
sich die Jungmannschaft der „neuen" Kunst rekru-
tiert, und dass es meist Leute sind, die aus rein
literarisch-geistiger Sphäre zur Kunst Fühlung
nehmen und von wirklich malerischem Sinn wenig
oder gar nichts in sich stecken haben! Vollends
nur auf die Tageskritiken der Zeitungen eingestellt,
die von jeher dem Alten und Hergebrachten den
Krieg erklären, begrüssen sie alles „Anti-aka-
demische" mit lautem Beifall und fühlen sich be-
rufen, an der Erneuerung der ästhetischen, wie sie
glauben, verbesserungsbedürftigen Kunstanschau-
ung und der Schaffung neuer Grundlagen für die
nach ihrer Meinung altersschwach gewordene
Kunst mitzuarbeiten.
Der allgemeinen Uebung folgend, besucht unser
angehender „Kunstmaler" eine der Privat-Mal-
schulen, in denen Akt und Kopf nach der Natur
gezeichnet oder gemalt werden kann; aber nur
wenige Monate hält es ihn daselbst fest. Das
Anlehnen an das Naturvorbild ist ihm nicht „geistig"
genug, auch fühlt er sich vor der Natur nicht „frei",
weil er bei der Korrektur von seiten des Meisters
auf das fehlerhafte seiner Zeichnung eindringlich
aufmerksam gemacht wird.
Er bleibt also bald ganz fort; denn auch die
Kenntnis der Anatomie des menschlichen Körpers,
auf die er beim Aktzeichnen immer verwiesen wurde,
scheint ihm nicht nötig zu sein, und noch viel
weniger die Perspektive, gegen deren konstruktive
Grundsätze sein „feines Empfinden" vollends rebel-
liert. Wozu auch diese vielen Hilfslinien, nach-
dem doch, wie er an den Bildern neuerer Kunst
sieht, jeder feste Anhalt perspektivischer Art von
vornherein ängstlich vermieden wird!
Sein „Studium" besteht ausschliesslich im Be-
such der Ausstellung neuester Kunst; er bleibt
stundenlang vor Bildern oder Reproduktionen der
jüngsten Kunst in stiller Andacht versunken und
dabei kommt er auf die Ideen, die den Inhalt seines
nächsten Schaffens ausmachen sollen; er sagt sich
wohl:Wasdiese schaffen, das kannichauch!
Wenn ich mir die Zeit und Mühe gebe, wenn ich
versuche, noch bizarrer, noch weniger präzis, noch
„wilder" und neuartiger zu sein, als diese Vor-
bilder! Hat sein Vorbild die menschliche Farbe
in Chokoladebraun gehalten, dann versucht er sie
in Rosa, Grün oder Violett; er verliebt sich in ge-
wisse Farbenkombinationen, die ihm einen bestimm-
ten Gedankeninhalt bieten sollen, er malt mit den
von ihm gewählten Farben, er mischt sie wie Karten-
blätter zusammen, und überlässt es dem Zufall, was
dabei entsteht. Tag für Tag beginnt er das näm-
liche Motiv; einmal wird das Gesicht rosarot, der
Hintergrund Grün und das Gewand Violett, oder
das Gesicht ist Violett mit Grün konturiert, und so
weiter wie bei dem „Thema mit Variationen", das
nämliche wird immer wieder, nur mit anderem Bei-
werk, auszuführen versucht.
Und dann die Zeichnung! Je einfacher und
vereinfachter, je primitiver, naiver desto besser.
Man muss auch weiter zurückgreifen, z. B. zu den
Naturmenschen Asiens, um zum „Urtypus der Form"
zu gelangen, oder bis zur Abstraktion der Form
selbst, um die Mystik und den Symbolismus, also
den geistigen Inhalt von Form und Farbe ganz
und gar auszuschöpfen. Missverstandene Aesthetik,
in Verbindung mit allerlei hohlen Phrasen, die der
Maler sich immer wieder vorspricht, tragen das
ihrige dazu bei, sein Urteil zu verwirren, so dass
er endlich selbst daran glaubt, sich selbst hypno-
tisiert, und der Autosuggestion verfällt, dass
der von ihm eingeschlagene Weg der wahre, ans
Ziel führende ist. Unter seinen nächsten und gleich-'
gesinnten Freunden als besonderes Genie aus-
posaunt, glaubt er bald in Wahrheit ein Künstler
„von Gottes Gnaden" zu sein. Denn (das hat er
irgendwo gelesen) „in einem wahren Künstler muss
der lebendige Gottesfunke, ein Teil der göttlichen
Schöpfungskraft und Macht glühen, der Genius m