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Münchner kunsttechnische Blätter
Nr. 14
das Hellgrau des gotischen Interieurs, das die
Mitte völlig beherrscht, dann auf der rechten
Seite der in Gelb mit rotem fliegenden Mantel
gekleidete Engel. Dieses Gelb klingt in den
Rippen der Gewölbevierung wieder, während die
obere Architektur in neutralen bis wärmeren
Dunkelheiten das Gesamtbild abschliesst.*)
Der koloristische Aufbau des Gesamtwerkes
und die Durchführuug der Einzelheiten sind von
allen Kunstverständigen als höchste Leistung ein-
geschätzt, so dass bald die Idee auftauchte, dass
zu Zwecken des Studiums originalgetreue Kopien
für die Akademien von München und Berlin an-
gefertigt werden sollten. Dass dies keine so leichte
und einfache Aufgabe wäre, darüber wird wohl
niemand zweifeln, der etwas vom Kopieren alter
Gemälde versteht. Denn eine Kopie kann wohl
dem Originale möglichst nahekommen, aber eine
vollkommene Kopie wird es niemals werden, wenn
der Kopist nicht mit den gleichen Mitteln die
Wirkung zu erzielen strebt, sondern sich, wie es
allgemein üblich ist, des heute gebrauchten Farben-
materials bedient.
Vom maltechnischen Standpunkt aus betrachtet,
drängt sich deshalb die Frage auf, welche farbigen
Pigmente dem Meister des Isenheimer Altars zur
Verfügung standen, d. h. wie seine „Palette" zu-
sammengesetzt gewesen sein mag?
Um diese Frage einigermassen richtig und er-
schöpfend beantworten zu können, müssten wir
ein Malerbuch aus der Zeit des Meisters Grüne-
wald zur Verfügung haben, das in ähnlicher Voll-
ständigkeit die Farbenliste der frühen Deutschen
enthielte, wie es Cennini in seinem „Traktat von
der Malerei" für die Frührenaissance in Italien
geschaffen hat. Ein solches Malerbuch fehlt uns
aber, ebenso wie für die Dürerzeit, vollkommen.
Von deutschen Quellen, die allein in Betracht
kämen, sind nur zwei bekannt: I. Das Strass-
burger Manuskript, die älteste deutsche Quelle
für Maltechnik, wahrscheinlich dem Anfang des
1$. Jahrhunderts angehörig**), und 2. eine aus dem
Kloster Tegernsee stammende kompilatorische
Schrift, ,Liber illuministarius, der Münchner
Bibliothek***), aus der gleichen Zeit (einige Ein-
tragungen sind vom Jahre i$Oß und 1508 datiert)
etwa, wie das Isenheimer Altarwerk geschaffen
wurde.
Die älteste deutsche Druckschrift, die auch zum
Vergleich herangezogen werden könnte, ist das
Illuminierbuch des Valentin Boltz von
*) Für Zwecke des Vergleiches ist die Grüne-
wald-Mappe (E. A. Seemanns Künstlermappen 4),
mit den nach den Originalen hergestellten farbigen
Reproduktionen deslsenheimer Altars sehr zu empfehlen.
**) Vgl. m. Beiträge z. Entwicklungsgeschichte der
Maltechnik. 111. Folge (Mittelalter), II. Aufl. S. r 55 u. folg.
(I. Aufl. S. 143.)
***) Ebenda S. 192 (I. Aufl. S. 178).
Ruffach, das erstmals im Jahre 1549 erschienen
ist.*) Da die Schrift des Boltz hauptsächlich das
Material und die Technik der Miniaturmaler (lllu-
minierer) enthält, die Tafelmalerei aber nicht be-
handelt, sind wir auf die beiden erstgenannten
Manuskripte angewiesen. Und da es hier in erster
Linie auf die von Meister Grünewald verwendeten
Farben ankommt, wollen wir die Frage der Binde-
mittel nicht berühren, sondern annehmen, dass es
sich um „Oelmalerei" handelt, wobei freilich eine
Untertuschung mit wässerigem Bindemittel, wie
Ei, Leim oder Emulsionen nicht ausgeschlossen
sein dürfte.
Neben diesen Schriften kämen aber noch als
Quellen der Erkenntnis die Untersuchungen in
Betracht, wie solche von dem verstorbenen Prof.
Ed. Raehlmann (Weimar) angestellt wurden, der
auf Grund umfassender mikrochemischer Analysen
das von den alten Malerschulen verwendete Farben-
material festgestellt hat.**) Ebenso kämen die
Arbeiten des englischen Gelehrten A. P. Laurie
in Oxford in Frage, die freilich bei uns weniger
bekannt sind und infolge des Krieges jetzt kaum
zu beschaffen sein dürften.***) Laurie hat sich
besonders mit Bestimmung des Farbenmaterials
der Miniaturmalerei vom 7.—16. Jahrhundert be-
fasst und zahlreiche mikrochemische sowie mikro-
photographische Untersuchungen angestellt. Von
altdeutscher Malerei war ihm bisher, wie es scheint,
wenig zugänglich.
Am sichersten könnte allerdings die Farben-
liste des Isenheimer Altars festgestellt werden,
wenn von diesem oder einem gleichartigen Werk
Farbenproben aller Art mikrochemisch analysiert
würden, eine Aufgabe, die einmal vorgenommen
werden müsste, um die Farbenskala der altdeutschen
Maler der Zeit ein für allemal und ohne jeden
Zweifel kennen zu lernen. Eine Einschränkung
muss freilich gemacht werden insofern, als das zu
analysierende altdeutsche Werk ohne spätere Zu-
taten, Uebermalungen oder wesentliche Verände-
rungen auf uns gekommen sein müsste.
Solange eine solche umfassende Analyse noch
aussteht, müssen wir uns an die Quellen schrift-
licher Art halten und durch Vergleich des daselbst
beschriebenen Materials auf die von Grünewald
gebrauchten Farben Schlüsse ziehen.
(Fortsetzung folgt.)
*) Vgl. die Neuausgabe von Dr. C. J. Benziger,
in Sammlung maltechnischer Schriften, Bd. IV. München
1913.
**) Von den zahlreichen Arbeiten Raehlmanns ist
seine zuletzt erschienene Schrift „Ueber die Farbstoffe
der Malerei in den verschiedenen Kunstperioden" (E.
A. Seemann, Leipzig 1914) die umfassendste.
***) In m. Besitz befinden sich die meisten Schriften
Lauries, darunter: Materials of the Painters Craft
(London und Edinburgh 19 m); The Pigments and Me-
diums of the Old Masters (London 19:4).
Münchner kunsttechnische Blätter
Nr. 14
das Hellgrau des gotischen Interieurs, das die
Mitte völlig beherrscht, dann auf der rechten
Seite der in Gelb mit rotem fliegenden Mantel
gekleidete Engel. Dieses Gelb klingt in den
Rippen der Gewölbevierung wieder, während die
obere Architektur in neutralen bis wärmeren
Dunkelheiten das Gesamtbild abschliesst.*)
Der koloristische Aufbau des Gesamtwerkes
und die Durchführuug der Einzelheiten sind von
allen Kunstverständigen als höchste Leistung ein-
geschätzt, so dass bald die Idee auftauchte, dass
zu Zwecken des Studiums originalgetreue Kopien
für die Akademien von München und Berlin an-
gefertigt werden sollten. Dass dies keine so leichte
und einfache Aufgabe wäre, darüber wird wohl
niemand zweifeln, der etwas vom Kopieren alter
Gemälde versteht. Denn eine Kopie kann wohl
dem Originale möglichst nahekommen, aber eine
vollkommene Kopie wird es niemals werden, wenn
der Kopist nicht mit den gleichen Mitteln die
Wirkung zu erzielen strebt, sondern sich, wie es
allgemein üblich ist, des heute gebrauchten Farben-
materials bedient.
Vom maltechnischen Standpunkt aus betrachtet,
drängt sich deshalb die Frage auf, welche farbigen
Pigmente dem Meister des Isenheimer Altars zur
Verfügung standen, d. h. wie seine „Palette" zu-
sammengesetzt gewesen sein mag?
Um diese Frage einigermassen richtig und er-
schöpfend beantworten zu können, müssten wir
ein Malerbuch aus der Zeit des Meisters Grüne-
wald zur Verfügung haben, das in ähnlicher Voll-
ständigkeit die Farbenliste der frühen Deutschen
enthielte, wie es Cennini in seinem „Traktat von
der Malerei" für die Frührenaissance in Italien
geschaffen hat. Ein solches Malerbuch fehlt uns
aber, ebenso wie für die Dürerzeit, vollkommen.
Von deutschen Quellen, die allein in Betracht
kämen, sind nur zwei bekannt: I. Das Strass-
burger Manuskript, die älteste deutsche Quelle
für Maltechnik, wahrscheinlich dem Anfang des
1$. Jahrhunderts angehörig**), und 2. eine aus dem
Kloster Tegernsee stammende kompilatorische
Schrift, ,Liber illuministarius, der Münchner
Bibliothek***), aus der gleichen Zeit (einige Ein-
tragungen sind vom Jahre i$Oß und 1508 datiert)
etwa, wie das Isenheimer Altarwerk geschaffen
wurde.
Die älteste deutsche Druckschrift, die auch zum
Vergleich herangezogen werden könnte, ist das
Illuminierbuch des Valentin Boltz von
*) Für Zwecke des Vergleiches ist die Grüne-
wald-Mappe (E. A. Seemanns Künstlermappen 4),
mit den nach den Originalen hergestellten farbigen
Reproduktionen deslsenheimer Altars sehr zu empfehlen.
**) Vgl. m. Beiträge z. Entwicklungsgeschichte der
Maltechnik. 111. Folge (Mittelalter), II. Aufl. S. r 55 u. folg.
(I. Aufl. S. 143.)
***) Ebenda S. 192 (I. Aufl. S. 178).
Ruffach, das erstmals im Jahre 1549 erschienen
ist.*) Da die Schrift des Boltz hauptsächlich das
Material und die Technik der Miniaturmaler (lllu-
minierer) enthält, die Tafelmalerei aber nicht be-
handelt, sind wir auf die beiden erstgenannten
Manuskripte angewiesen. Und da es hier in erster
Linie auf die von Meister Grünewald verwendeten
Farben ankommt, wollen wir die Frage der Binde-
mittel nicht berühren, sondern annehmen, dass es
sich um „Oelmalerei" handelt, wobei freilich eine
Untertuschung mit wässerigem Bindemittel, wie
Ei, Leim oder Emulsionen nicht ausgeschlossen
sein dürfte.
Neben diesen Schriften kämen aber noch als
Quellen der Erkenntnis die Untersuchungen in
Betracht, wie solche von dem verstorbenen Prof.
Ed. Raehlmann (Weimar) angestellt wurden, der
auf Grund umfassender mikrochemischer Analysen
das von den alten Malerschulen verwendete Farben-
material festgestellt hat.**) Ebenso kämen die
Arbeiten des englischen Gelehrten A. P. Laurie
in Oxford in Frage, die freilich bei uns weniger
bekannt sind und infolge des Krieges jetzt kaum
zu beschaffen sein dürften.***) Laurie hat sich
besonders mit Bestimmung des Farbenmaterials
der Miniaturmalerei vom 7.—16. Jahrhundert be-
fasst und zahlreiche mikrochemische sowie mikro-
photographische Untersuchungen angestellt. Von
altdeutscher Malerei war ihm bisher, wie es scheint,
wenig zugänglich.
Am sichersten könnte allerdings die Farben-
liste des Isenheimer Altars festgestellt werden,
wenn von diesem oder einem gleichartigen Werk
Farbenproben aller Art mikrochemisch analysiert
würden, eine Aufgabe, die einmal vorgenommen
werden müsste, um die Farbenskala der altdeutschen
Maler der Zeit ein für allemal und ohne jeden
Zweifel kennen zu lernen. Eine Einschränkung
muss freilich gemacht werden insofern, als das zu
analysierende altdeutsche Werk ohne spätere Zu-
taten, Uebermalungen oder wesentliche Verände-
rungen auf uns gekommen sein müsste.
Solange eine solche umfassende Analyse noch
aussteht, müssen wir uns an die Quellen schrift-
licher Art halten und durch Vergleich des daselbst
beschriebenen Materials auf die von Grünewald
gebrauchten Farben Schlüsse ziehen.
(Fortsetzung folgt.)
*) Vgl. die Neuausgabe von Dr. C. J. Benziger,
in Sammlung maltechnischer Schriften, Bd. IV. München
1913.
**) Von den zahlreichen Arbeiten Raehlmanns ist
seine zuletzt erschienene Schrift „Ueber die Farbstoffe
der Malerei in den verschiedenen Kunstperioden" (E.
A. Seemann, Leipzig 1914) die umfassendste.
***) In m. Besitz befinden sich die meisten Schriften
Lauries, darunter: Materials of the Painters Craft
(London und Edinburgh 19 m); The Pigments and Me-
diums of the Old Masters (London 19:4).