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Der Neckar-Bote: Wochenblatt für amtl. u. Privat-Bekanntmachungen (8) — 1844

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https://doi.org/10.11588/diglit.42423#0193

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Neckar




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Auskunft crthcili, 3 kr.

Dienstag, den 28. Mai 1844.

Wuntes aus der Leit.
In Frankfurt haben die Schneidergesellen Revolution
gespielt und in Gesccke bei Paderborn hat der Pöbel
aus eigenem Antrieb oder auf Veranlassung die dorti-
gen Iudenhünser gestürmt und demolirt, weil ein Jude
zum Christenthum nbergetreten war und der katholische
Pfarrer, der ibn bekehrt batte, einen anonymen Droh-
brief von der Judenschaft erhalten haben sollte.
Der berühmte Dahlmann bat einen Ruf nack Hei-
delberg abgelehnt, und deshalb haben ihm die Bonner
Studenten einen Fackelzug gebracht, bei dem er eine
recht herzliche Anrede hielt.
Auf der belgischen Eisenbahn ist ein Unglück passirt,
dessen Veranlassung man noch nicht kennt. Doch hat
eS glücklicherweise nur wenige Verletzungen der Reisen-
den zur Folge gehabt.
Die Gazette de France schreibt: »Noch kaum drei
Monate und wir werden in das 1 3. Jahr der jetzigen
Regierung treten. Die Republik bat 13 Jahre, von
1789 bis >804, gedauert. Napoleon bat 13 Jahre,
von 1709 (dann Consulat) an bis 1814, geherrscht.
Die Restauration dauerte 13 Jahre, von >814 — 1830,
wenn man due LOO Tage abziebt.-
Nack: Briefen aus St. Petersburg sollen die Russen
einen glänzenden Sieg über die Kaukasier davongetra-
geu haben; doch muß man erst officielle Nachrichten
abwarten.
Die Chinesen sind doch ein höchst ungalauteö Volk;
man höre nur was ein Engländer berichtet, der den
Krieg gegen das himmlische Reich milmachte: Die Chi-
nesen scheinen ein besonderes Vergnügen daran zu fin-
den, verschiedene Vorrichtungen zu ersinnen, durch wel-
che der Mensch auf recht grausame Weise um'S Leben
gebracht werden kann. Die originellste dieser Vorrich-
tungen fand man in Ningpo unter andern schrecklichen
Dingen, nämlich eine Maschine — zum Zerstampfen
ungetreuer Frauen.
Eine andere interessante Entdeckung aber, welche die
Engländer in China machten, war ein kleiner Tempel,
der ganz aus Gußeisen bestand, und nach den daran
befindlichen Schriftzeichcn wenigstens 1200 Jahre alt
war. So alt ist also bei den Chinesen die Erfindung
eiserne Häuser zu bauen, die bei uns für etwas ganz
Neues gehalten wird.
In den beiden ersten Meßwochen sollen in Leipzig
eine Million Briese cingegangen sein.
Eine englische Zeitung bemerkt »bei dem Tode Thor-
waldsens, daß eines seiner ausgezeichnetsten Werke, die
Statue Lord Byrons, die in London in der Westmin-
sterabtei aufgestellt werden sollte, seit 8 Jahren in
einem Breterkasten im Keller des Zollhauses in Loudon
liege, weil Niemand die Fracht zahlen wolle.
Das fehlte uns noch! In Bombay hat man eine
seit 30 Jahren bestehende ActiengeseUschaft zu Raub
und Plünder urg entdeckt, welche jährliche Dividenden
von 60 bis 30,000 Pfund zu verthcilcn pflegte.
Der französische Orden der Ehrenlegion zahlt jetzt
83,630 Mitglieder und wächst noch täglich. Wenn

die Kreuzträger alle beisammen wären, gäbe es in der
That eine Legion.
In Frankreich sind von der Revolution 1789 bis
Oktober 1843 nicht weniger als 8>,366 Gesetze er-
schienen. Am meisten gab Ludwig XVIII.: 814 vor
den hundert Tagen und 17,812 nach den hundert Ta-
gen. — Und das Alles soll die Menschheit auswendig
wissen, um ein guter Staatsbürger zu sein.
Von den Münchener Blättern werden die Griechen
jetzt schon »Halbbarbarcn« genannt. Noch vor zehn
Jahren hteßen sie »die edlen Hellenen» und wur-
den selbst von einer Allerhöchsten Lyra angcsungen.

Der geliehene Magen.
Ich befand mich im Sommer 1887 in einem
deutschen Badeorte. Man hatte damals noch nicht
die Erfindung gemacht, durch Anwendung der Po-
litik alle Geselligkeit von Grund aus zu zerstören.
Man wählte zu seinem Umgänge noch Menschen
und nicht Zcitungsblättcr. —
In einer französischen Restauration, wo eine
treffliche Tafel geführt wurde, versammelten sich
täglich eine Anzahl Männer, die Heilern Sinnes
dem „guten Geiste" dienten. Zch war etwas weni-
ger laut, als meine Nachbarn, uns machte, wie es
so meine angcbornc Unart ist, meine Beobachtun-
gen. Das Ziel derselben war ein langer, etwas
dünnleibigcr Herr, der ein Gutschmcckcr war, und
testen unerschütterliche Laune niats trüben konnte.
Eine besonders gütige Natur schien ihn von allen
physischen Nachwchen, welche sonst die Ausübung
seiner Kunst nach sich zieht, befreit zu haben; denn
nie sahen wir ihn nach der Tafel verstimmt sich ab-
sonvern, nie einen einsamen Spaziergang unter-
nehmen oder dem Schlafe sich hingcbcn, um den un-
leidlichen Zoll zu entrichten, den wir dem Körper
Schulden, nachdem die Sylphidcngeistcr der Inspira-
tion bei einer guten Tafel uns verlassen haben. Mit
einem Worte, er schien ein Mann zu sein von dem
besten, unverwüstlichsten, hcldcnmuchigsten Magen,
der je seine Verdauungswerkzeugc in Ausübung
brachte. Ich muß osten gestehen, daß wir ihn
sämmtlich beneideten, besonders wenn ein schlecht
gerathenes Souper oder eine nur zu gut gerochene
Austernpastete uns in Gefahren stürzte.
Unser Gourmand merkte dies, und gleichsam um
unsere Verwunderung und unfern Neid osten her-
auszufordcrn, that er das Unglaubliche. Die un-
verträglichsten Dinge mischte er zusammen, die un-
verdaulichsten Evmpositionen, wahre Gifte, verzehrte
er lächernd; cs fehlte nur noch, daß er Steine aß
oder glühendes Blei verschluckte. Ein alter Oberst,
 
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