Overview
Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Galerie Flechtheim [Contr.]
Der Querschnitt — 5.1925

DOI article:
Tairov, Aleksandr Ja.: Russisches Theater, 2., Aufgaben der Tairoff-Bühne, zur Inszenierung von Ostowskijs "Gewitter" im Moskauer Kammertheater
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.63706#0606

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Der Zusammenstoß dieser beiden Elemente ist der Kern und das Wesen der
Tragödie, hieraus ergeben sich der Sinn und das Pathos des Kampfes und der
Gestalt der Katarina, die durchaus nicht in jenem vielgerühmten „Mystizismus“
zu suchen sind, der oft irrtümlich als die wesentliche Eigentümlichkeit der Kata-
rina angenommen wird, jedoch tatsächlich nur das Erbe jenes „Byt“ ist, dem
sich Katarina ja gar nicht hingegeben hat.
„Das Gewitter“ ist seiner Ganzheit, seinem Maßstabe, seiner Tiefe nach un-
zweifelhaft ein aus der russischen Dramaturgie einzigartig hervorragendes Werk.
Das Monolithhafte und die Vollkommenheit seiner Struktur sind organisch und
unlösbar verknüpft mit seinem sprachlichen Ausdruck; die Sprache im „Gewitter“
ist wie die Sprache im russischen Liede oder den Bylinen tatsächlich von einer
Gestaltung, die durchaus jene volkstümliche Redensart rechtfertigt: „Am Lied
kannst du kein Wörtchen streichen.“ Daher tritt neben anderen elementaren Auf-
gaben der Inszenierung das Problem der Sprache, ihrer Melodik und ihres
Rhythmus in den Vordergrund. Hier ist eine ganz große Aufgabe durchzu-
führen, der als Quellenmaterial und wichtigstes Hilfsmittel das echte russische
Lied mit seinem eigenartigen Rhythmus und seiner harmonischen Struktur dienen
kann. Daher ist neuerdings als unumgängliches Studienelement die Beschäftigung
mit dem russischen Liede in die Studien des Kammertheaters aufgenojnmen
worden, und das Lied wird auch ein organischer Teil der Aufführung selbst
werden. Im schauspielerischen Sinne ist an die Verkörperung der Gestalten im
„Gewitter“ in einer ganz bestimmten Art heranzutreten, in welcher neben der
plastischen, musikalischen, sprachlichen und emotionalen Gestaltung noch jene
spezifische Färbung gegeben werden muß, die allen Gestalten Ostrowskijs das
„Sämoskwaretschje“ *) gegeben hat. Und zwar ist dies nicht als die übliche
„Milieu-Färbung“ aufzufassen, sondern das „Byt“ ist in diesem Falle vom Schau-
spieler als organisch-inneres Element der Gestalt in diese aufzunehmen und
muß deren Auftreten einen durchaus eigentümlichen Klang verleihen.
In Anbetracht dessen, daß ich „Das Gewitter“ als russische Volks-Tra-
gödie betrachte, habe ich mich bemüht, für die äußere szenische Darstellung
und für die Struktur des Bühnenraumes eine ebenso einfache, in Rhythmik und
Plastik monumental-ausdrucksvolle Gestaltung zu finden, wie ihn — allerdings
für einen anderen Entwurf — das hellenische Theater für seine Tragödien ge-
funden hatte. Das ist natürlich eine außerordentlich schwierige Aufgabe, aber
der Gang der Arbeiten zeigt, daß wir auf dem Wege zu ihrer Lösung sind.
All diesem entsprechend müssen auch die Kostüme für die handelnden Personen
beschaffen sein. Einen wichtigen Teil der Aufführung wird das Tonelement
bilden, das hier nicht erschöpft wird mit dem Klang der menschlichen Rede, wie
z. B. in „Phädra“. Das Klingen der Atmosphäre, ihre Tonschwingungen können
nicht durch ein symphonisches Orchester oder eine Harmonika, sondern müssen
durch die Eigenart der Orchestration der Phonetik zum Ausdruck gebracht
werden.
*) „Sämoskwaretschje“ — unverkennbares Genre von Personen, die dem jenseits des Moskwa-
flusses ansässigen Kaufmannsstande angehörten.

Näharbeit nach Skizzen russischer Bauern. Pariser Weltausstellung


406
 
Annotationen