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Galerie Flechtheim [Mitarb.]
Der Querschnitt — 5.1925

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Kuh, Anton: Der Hass gegen das Monokel
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https://doi.org/10.11588/diglit.63706#1024

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Dajier, erste naiv-optische und berechtigte Ursache dieses weltumspannenden
Monokeljhasses: das Monokel ist eine solche Fahne, der stupiden Gewöhnlichkeit
Beachtung schaffend.
Das zweite Motiv aber ist bereits psychologischer Natur und spricht gegen
den Hasser. Der Eindruck löst bei ihm Ärger aus über den Anspruch. Welche
Kühnheit, denkt er, sich von der Affengleichheit der Gattung „Mensch“ eman-
zipieren und im Käfig dieser Welt ein Unterscheidungsmerkmal tragen zu
wollen! Mitaffen heraus! Duldet kein Privileg!
Aus ähnlichen Gründen dienen, wie man weiß, originell gekleidete, lang-
haarige, auf einem Bein hüpfende oder durch Genie ausgezeichnete Persönlich-
keiten dem öffentlichen Gespött.
Hier setzt auch mein Erlebnis ein. Je mehr ich Grund i) der Mitwelt zu-
billigte, desto mehr nahm ich ihr Grund 2) übel.
Denn das Monokel, das so viel Ärgernis schuf, erschien mir nunmehr als
ein Symbol, das, statt von außen dem Gesioht eingezwängt, auch unsichtbar
in ihm enthalten sein könnte, Symbol des Mutes: anders auszusehen,• Merkmal
des Risikos: aufzufallen. Halt, hier hak’ ich mich fest — warum euer Zorn
dagegen ?
Ich gelange zur Folgerung:
Dieser Zorn muß seine Ursache offenbar in der eigenen Mutlosigkeit und
Abgeneigtheit haben, ein Gleiches zu tun; in starken Selbstzweifeln. Wer aber
diese Unsicherheit fühlt — wie soll er einem anderen Sicherheit kreditieren?
Muß er das Tragen des Monokels nicht als heuchlerischen, präpotenten Anspruch
nehmen, die Herkunft aus derselben Unsicherheits-Gasse zu verleugnen? Muß
er seinen Träger nicht als Drückeberger der gemeinsamen Verlegenheit an-
sehen, der Mysteriosität vorspiegelt und zwischen sich und den detektivischen
Blick der Umwelt ein Kristallfenster schiebt?
Hier bin ich bereits beim Problem des Plebejertums.
Diese Unsicherheit, diese Angst aufzufallen, dieser argwöhnische Haß
gegen die anderen, verbunden mit dem Schuldbewußtsein, wie schlecht ihm
selbst eine Maskierung gelänge — das ist der ganze Plebejer!
Der Plebejer ist nämlich der Mensch, der fühlt, daß ihm die Klassenhörigkeit
(unter Klasse meine ich vornehmlich das, was man unter „geistigem Mittel-
stand“ versteht) in Gesicht, Gebärde, Haltung, geschrieben ist, und der unter
dieser unentrinnbaren Durchsichtigkeit, die ihn weltscheu, ungraziös, taktlos
macht, namenlos leidet. Niemand aber ist ihm verhaßter, als ein Mensch seines-
gleichen, der sich —■ etwa durch ein Monokel — undurchsichtig machen möchte.
Da werden alle Resignationen und Gedrücktheiten in ihm rebellisch. Da fühlt
er sich gedemütigt und herausgefordert. Alles recht logisch — wenn sich nun
nicht das Malheur ergäbe, daß er, wo ihm von der Zeitung, dem Lesebuch,
der Partei oder seinen Geistesgöttern nichts anderes vorgeschrieben erscheint,
schlechthin jeden, der sein Blutgegenteil und Bändiger ist, für einen solchen
frechen Klassen-Deserteur hält.
In den meisten Ehrenaffären und überall, wo man auf den ersten Blick fest-
stellt: „Der ist mir unsympathisch“ — ist nichts anderes im Spiel. Keine Wider-
sacher befehden sich so heftig, wie zwei Kommis, die sich voreinander
maskieren.
Der erste Schritt zu meiner Weltanschauung war durch diese Erkenntnis
getan, ich hatte eine Einteilung.
Nun aber — was geschah meinem Monokel!

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