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Galerie Flechtheim [Contr.]
Der Querschnitt — 5.1925

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Kuh, Anton: Der Hass gegen das Monokel
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https://doi.org/10.11588/diglit.63706#1025

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Es wurde zur Mausefalle, zum Fliegenpapier für Plebejergesichter, zu einem
photographischen Objektiv, das ihnen zurief: Bitte, ein unfreundliches Gesicht!
Jeder, wie er hineinguckte, war sofort aufgenommen. Schon schwang ich es
froh in der Hand, als statistischen Behelf und Beute-Mittel! Wenn sich darin,
wie es von den brechenden Augen der Ermordeten heißt, die Übeltäter auch
für die Zukunft fixieren sollten — ich könnte es einem noch nicht dagewesenen
Museum für Menschheitskunde als noch nicht dagewesenes Exemplar vererben!
Manchmal sah auch ein Monokel hinein (vergipsten Mundwinkeln Rückhalt
bietend). Denn klarerweise mußte sich’s immer häufiger ereignen, daß ein
Plebejer den Graben der Angst überhüpfte und seine Butterbrot-Visage mit
einem Glas zierte — aus Weltanschauung. Wie sagte ich doch, daß sein
Antlitz hernach aussah? Wie eine „flammende § 23-Berichtigung gegen sein
Monokel im Auge“!
Wer zu solchen Erkenntnissen gelangt, muß durch ein Gesicht dazu ge-
kommen sein; Gesicht — sowohl mit dem Plural „Gesichte“, wie „Gesichter“;
denn nur wer das eine hat, hat das andere. Mein Kronstolz ist begreiflich.
Wie scharf und streng scheidet sich seither vor meinem Aug’ das Unedle,
Unfreie, Armselig-Unaromatische auf Erden von allem Geistig-Gut-Gearteten I
Nationalismus, Schweizerkäse, Sexualneid, Autoritätsglaube und Handschweiß
hie, Adel und Anarchismus drüben —• die kleine Glitzerscherbe zeigt sie, blickt
ein würdiges Auge durch, in einem vielstufigen Panorama. Kaiser Nero
(Nietzsche I.) sah erst das kreischende Gezücht hindurch, die Hysterie vor dem
Brand. Er gab ihnen — Allgütiger! — den Brand dazu.
Was nun, fragst du, bleibt den anderen verbrannten Christen wie ent-
brannten Soldaten? Was spreizt ihre Seelen wie unsere Augen das Monokel?
Eine geschluckte Scherbe. Sie fängt auch mit „Mo“ an und heißt: Moral.


Jean Cocteau

Serge de Diaghilew und Leon Bakst
 
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