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Galerie Flechtheim [Contr.]
Der Querschnitt — 5.1925

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Fels, Florent; Mauthner, Margarete [Transl.]: Utrillo
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https://doi.org/10.11588/diglit.63706#1212

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Verträumtheit, die sich an die physischen Realitäten heftet, ohne die es
kein Kunstwerk gibt, und sich an ihnen kontrolliert. Ohne jemals litera-
risch zu sein, weiß er aus wenig sympathischen Sujets eine seltsame
lyrische Essenz zu ziehen.
Hier haben wir einen jungen Maler, einen großen Maler, einen, der
Cezanne nichts zu verdanken hat.
Unter den Bildern seiner Mutter, Suzanne Valadon, entstanden manche
nur um der Freude willen, gewisse Farbenzusammenklänge zu schaffen,
andere, um Momente aus dem intimen Frauenleben wiederzugeben. Äußert
sich vielleicht darin der Einfluß von Degas ? An ihren ersten Meister
erinnert nur weniges in ihren späten Bildern, in denen sich die reinen,
Töne nach neuen Gesetzen vermählen.
Suzanne Valadon: „Die Malerei ist für mich unlöslich mit dem Leben
verbunden. Ich habe in die Arbeit dieselbe Energie gelegt, die ich, wäre
ich weniger kraftvoll veranlagt gewesen, an das Leben verausgabt hätte,
und ich habe alle von ihrer Kunst besessenen Maler mit derselben An-
spannung arbeiten sehen. Ich erinnere mich van Goghs, bei unseren
wöchentlichen Zusammenkünften bei Lautrec. Er kam mit einem Bilde
unterm Arm herein, stellte es in eine Ecke, aber so, daß es gut be-
leuchtet war, und wartete nun, ob man ihm Aufmerksamkeit schenken
würde. Aber niemand achtete darauf. Er setzte sich nun vor sein
Bild, beobachtete aller Blicke, mischte sich kaum ins Gespräch und ging
dann resigniert mit seinem Bildchen fort. Aber schon in der nächsten
Woche war er wieder da und kam immer wieder und jedesmal war es
dasselbe Manöver.
Degas hat mich viel weniger durch seine Ästhetik beeinflußt, als durch
seine Art, zu beobachten, was man die Wahl des Sujets zu nennen pflegt.
Utrillo: „In jedem von uns lebt eine besondere Form von Poesie. Ich
bin Pariser, und wenn ich mich auch auf dem Land wohlfühle, so
finde ich dooh nur in Paris eine Poesie, die mir vertraut ist und die
mich anregt. loh sehe in den Mauern, die manch einer fleckig und rissig
nennt, kostbare Farben, den heißen Stempel der Zeit und der lebendigen
Menschheit. Die Stadtteile der Armen haben prächtigere Töne als die
aristokratischen Luxusstraßen, in den Läden überraschen kühne Farben-
zusammenstellungen, die den Blick fesseln und zur Freude stimmen. Vor
den Fenstern der armseligsten Häuser sieht man oft wahre Blumengärten,
und hat man erst einmal erkannt, daß in jedem Gegenstände Poesie
liegt, so findet man in allem eine Schönheit. Dies hat Renoir so gut in
seinen letzten Bildern ausgedrückt, wo die Frauen und ihre Umgebung
aus dem gleichen Stoff sind, der aus grünem, rotem, gelbem und blauem
Staube besteht. Ich habe meine eigene Poesie, und ich habe sie ge-
funden, wo ich konnte . . . Wenn ich das Band der Ehrenlegion hätte,
würde ,man‘ mich nicht mehr verrückt nennen. Ich bin weder ein
Wahnsinniger noch ein Narr, ich bin ein etwas verdrehter Kerl. . .
Übrigens habe ich auch eine große Vorliebe für Modigliani. . “

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