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Verein für Historische Waffenkunde [Hrsg.]
Zeitschrift für historische Waffen- und Kostümkunde: Organ des Vereins für Historische Waffenkunde — 2.1900-1902

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Heft 2
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Potier, Othmar: Etwas über das Vorkommen geöhrter Nadeln an Dolchmessern
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https://doi.org/10.11588/diglit.37716#0047

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2. Heft.

Zeitschrift für historische Waflenkunde.

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ziemlich kräftiger Magnet wirkt, trägt an der Stelle
des Schlangenkopfes beim Herringschen Dolch-
messer einen glatten, fast halbkreisförmigen Haken
und endet in einem korkzieherartigen Instrumente,
welches, sobald die Waffe zusammengeschraubt ist,
im Hefte versteckt liegt. Der Griff sowie die Scheide
bestehen aus Schildpatt und sind mit graviertem
Silberblech reich beschlagen.
Etwas abweichend von den beiden beschrie-
benen Messern ist ein ausserordentlich prächig und
genau gearbeitetes Dolchmesser gestaltet, welches
eine Zierde der gräflich Kellerschen Sammlung in
St. Petersburg ausmacht. Unser verehrtes Vorstands-
mitglied, Staatsrat v. Lenz, hatte die grosse Liebens-
würdigkeit, mir eine eingehende Beschreibung und
mehrere Abbildungen dieses schönen und inter-
essanten Objekts einzusenden, wofür ich ihm an
dieser Stelle meinen verbindlichsten Dank sage. Die
Länge dieser Waffe (Fig. 5) beträgt 320 mm. An
der ebenfalls abschraubbaren, 200 mm langen, zwei-
schneidigen Klinge bemerkt man einen tiefen Hohl-
schliff, dessen Ränder sich durch eine' auffallend
reiche Gliederung auszeichnen. Diese Rinne endet

bei dem Herringschen und bei meinem Messer die
Funktion des Ausschliffes am Genuesermesser zu-
kommt.
Gehen wir nun auf den Kern der ganzen An-
gelegenheit ein, so wollen wir uns zunächst fragen,
welche Umstände für die Annahme sprechen, dass
diese Dolchmesser wirklich zu tückischen Anfällen
gedient haben mochten.
Da müssen wir uns daran erinnern, dass in
Europa in der That einst vergiftete Blankwaffen
gebraucht worden waren. Ich vermag mich dies-
bezüglich wieder nur auf Litteraturbelege zu stützen.
So legt Shakespeare dem Laertes (Plamlet, 4. Auf-
zug, 7. Scene) folgende Worte in den Muiid :
Ich wilfls thun
Und zu dem Zwecke meinen Degen salben.
Ein Charlatan verkaufte mir ein Mittel,
So tödlich, taucht man nur ein Messer drein,
Wo’s Blut zieht, kann kein noch so köstlich Pflaster
Von allen Kräutern unterm Mond, mit Krafc
Gesegnet, das Geschöpf vom Tode retten,
Das nur damit geritzt ist; mit dem Gift
Will ich die Spitze meines Degens netzen,
So dass es, streif ich ihn nur obenhin,
Den Tod ihm bringi.



in eine etwa 10—15 mm lange Höhlung, welche ge-
wissermassen der Nadelspitze zur Scheide zu dienen
hat. Den mit dunklem Schildpatt belegten Griff
zieren 6 Bänder, welche gleich der Kappe und der
Zwinge aus dünnem, leicht graviertem Silber be-
stehen. Die kleine, gegliederte, in runde Knäufe
auslaufende Parierstange, sowie die beiderseits der-
selben angebrachten geschnittenen Muscheln über
dem kräftigen Klingenansatz sind aus vergoldetem
Messing hergestellt. Fest mit dem Griffe verbunden
ist eine 80 mm lange, schön geschnittene, starke
Nadel von cylindrischem Querschnitt, deren feines,
viereckiges, scharfkantiges, mit Gold oder ver-
goldetem Messing gefüttertes Oehr 25 mm von der
Nadelspitze entfernt ist. Die zu dieser Waffe ge-
hörende Scheide (Fig. 6) besteht aus zwei Platten
Schildpattes, deren Nähte dünne, gravierte Silber-
streifen decken.
Dieses technisch wie künstlerisch tadellos ge-
arbeitete Stück unterscheidet sich also von den
beiden früher beschriebenen Dolchmessern haupt-
sächlich dadurch, dass bei demselben die geöhrte
Nadel nicht in der Klinge, sondern neben und pa-
rallel zu derselben angebracht ist, dass ferner hier
eine kurze Parierstange den Haken ersetzt, welchem

Die vergifteten Rapierklingen, deren der grosse
Dichter noch ein zweites Mal (Hamlet, 5. Aufzug,
2. Scene) Erwähnung thut, verdanken gewiss nicht
blos der schöpferischen Einbildungskraft des Poeten
ihr Dasein. Shakespeare, welcher ja einen «Ur-
hamlet» vorgefunden hatte, wird sicher von dem
Vorkommen derartiger «Werkzeuge des Frevels»
irgend einmal etwas von seinen Zeitgenossen gehört
haben, cs müsste denn sein, dass ihm die Stelle
aus dem Berichte des Quintus Curtius Rufus x) vor-
geschwebt habe, nach welcher die Bewohner einer
Stadt den eindringenden Soldaten Alexanders mit
vergifteten Schwertern unheilbare Wunden geschlagen
hätten. Vielleicht fände sogar der Forscher in älteren
Kommentaren zu Hamlet einen Fingerzeig dafür, wie
Shakespeare dazu gekommen ist, des Laertes Arm
mit einer vergifteten Klinge zu bewehren.
Wir müssen ferner beachten, dass diese Dolch-
messer eben wegen ihrer geöhrten Nadeln, ganz aus-
gezeichnete Banditenwaffen waren, wenn wir uns den
Verlauf der Thätigkeit des Bravo etwa so vorstellen:
*) Q. Curt. Rufus. De rebus gestis Alexandri Magni libri X,
lib. IX, c. 33 : «quippe barbari veneno tinxerant gladios ; itaque
saucii subinde expirabant, nec causa tarn strenue mortis exeogitari
poterat a medicis, cum etiam leves plagae insanabiles essent».
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