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Verein für Historische Waffenkunde [Editor]
Zeitschrift für historische Waffen- und Kostümkunde: Organ des Vereins für Historische Waffenkunde — 2.1900-1902

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Heft 12
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Reimer, Paul: Die Erscheinung des Schusses und seine bildliche Darstellung, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.37716#0459

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12. Heft.

Zeitschrift für historische Waffenkunde.

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lediglich die Expansion der sehr heissen Verbren-
nungsgase und steigert die Geschossgeschwindig-
keit bis zur Mündung und noch ein wenig darüber
hinaus. Ausdehnung ist Arbeit und Arbeit ist Ab-
kühlung. Die Gase kühlen sich daher um so mehr
ab, je mehr Arbeit zu leisten ihnen Gelegenheit ge-
geben ist. Es wird daher wesentlich von der
Schwere des Geschosses, der Länge des Rohres und
von der anfänglichen Temperatur der Gase ab-
hängen, ob dieselben als Flammenerscheinung vor
der Mündung sichtbar werden oder nicht. Im erste-
ren Falle müsste nach dem bisher Gesagten ein
deutlich sichtbarer, weil nicht von Rauch verdeck-
ter Feuerstrahl aus dem Rohre schlagen — dem ist
indessen nicht so.
Die Zersetzung des rauchschwachen Pulvers ist,
wie beim Schwarzpulver, in der Hauptsache ein
Verbrennungsvorgang, bei dem indessen, wenig-
stens beim Schiesswollpulver, mangels genügenden
darin enthaltenen Sauerstoffs nicht alle verbrenn-
baren Substanzen wirklich bis zur höchsten Stufe
oxydiert werden. Es bestehen daher die aus dem
Rohr tretenden Gase aus einem noch brennbaren
Gemisch. Hat dieses nun unter den obigen Voraus-
setzungen noch eine entsprechend hohe Tempera-
tur, so entzündet es sich bei Berührung mit der
Luft und es erfolgt vor der Mündung eine ausser-

lenweit sichtbar sind und jede Batteriestellung
schon auf sehr grosse Entfernung verraten. Es
ist daher das Bestreben aller Artillerien, das Auf-
treten des Mündungsfeuers nach Möglichkeit zu
verhindern. Das Mündungsfeuer des Schiesswoll-
pulvers ist rot, ohne indessen die tief rote Farbe des
Schwarzpulverblitzes zu erreichen. Bei hellem Son-
nenschein erscheint die Flamme mehr rosa, hat
aber noch eine ganz bedeutende Helligkeit.
Das Nitroglycerinpulver, welches, wie erwähnt,
mit einem selbst ballistisch wirksamen Stoff, der
Kollodiumwolle, gelatiniert ist, hat eine noch erheb-
lich höhere Verbrennungstemperatur als das
Schiesswollpulver. Dieselbe ist so hoch, dass die
Rohre bei grossen Ladungen in verhältnismässig
kurzer Zeit bis zur Unbrauchbarkeit ausbrennen,
ein Umstand, über den besonders in England leb-
haft geklagt wird. Es ist daher bei der praktisch
möglichen Länge der Rohre nicht angängig, die
Pulvergase durch Ausdehnung so sehr abzukühlen,
dass sie nicht mehr glühend aus dem Rohre treten.


Fig. ii.

ordentlich heftige Knallgasexplosion. Unter wahr-
haft betäubendem Knall zeigt sich für einen sehr
kurzen Moment eine gewaltige Flamme, die, soweit
ein geübter Beobachter dies erkennen kann, am
Rande vielfach zerfetzt erscheint. Die neben-
stehende rohe Skizze (Fig. ii) soll lediglich zeigen,
welchen Umfang eine derartige Flamme im Ver-
gleich zur Grösse des ganzen Geschützes haben
kann. Diese Erscheinung bezeichnet man in
Deutschland mit „Mündungsfeuer“. Es ist bei
langen Rohren, also bei Kanonen, keine normale
Erscheinung des Schiesswollpulvers, da bei diesem
die Temperatur der Verbrennungsgase nur eine
solche Hitze erreicht, dass eine genügende Abküh-
lung bis zur Mündung unter sonst geeigneten Um-
ständen noch zu erzielen ist. Werden die Rohre
aber bei anhaltendem Schiessen sehr warm - man
kann in ihnen häufig Wasser mit Leichtigkeit zum
Kochen bringen — oder wird z. B. bei stark aus-
geschossenen Rohren die Arbeitsleistung der Pul-
vergase etwas verringert, so treten sofort die Mün-
dungsfeuer auf. Dieselben sind taktisch äusserst
lästig, da sie auch bei hellstem Sonnenschein mei-

Zwar erhalten die Verbrennungsgase des chemisch
günstiger zusammengesetzten Nitroglycerin-Pulvers
theoretisch nur wenig noch brennbare Verbin-
dungen, indessen tritt auch hier stets ein Mündungs-
feuer mit den charakteristischen Merkmalen der
Knallgasexplosion auf. Der Grund hierfür liegt mög-
licherweise darin, dass die Temperatur, welche die
Gase im Rohr noch kurz vor dem Austritt des Ge-
schosses haben, erheblich höher ist, als die Disso-
ziationstemperatur der endgültigen Verbrennungs-
produkte, d. h. derjenigen Temperatur, bei welcher
diese Produkte sich zu zersetzen beginnen, also
auch nicht mehr bildungsfähig sind. Erst bei der
plötzlichen Abkühlung vor der Mündung findet
dann unter Explosionserscheinung die völlige Ver-
brennung statt. Aus ballistischen Gründen ist das
Nitroglycerinpulver in Deutschland bei allen mit
kleinen Ladungen feuernden Geschützen, also den
Haubitzen und Mörsern, eingeführt. Obschon auch
bei diesen Geschützen die Schussflamme sehr er-
heblich ist, so kann man hier doch nicht von einem
eigentlichen Mündungsfeuer sprechen, die Flamme
nähert sich vielmehr eher dem Blitz des Schwarz-
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