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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 1.1909

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1. Heft
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Kunstwissenschaft und Kunsthandel. Ein programmatisches Vorwort
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https://doi.org/10.11588/diglit.24117#0016

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2

Der Cicerone

Heft 1

uns plötzlich bei irgend einem glücklichen Fund, einer nicht alltäglichen Erkenntnis
überwältigte und jeder von den Großen und Werdenden auf unserem Gebiete kennt
aus Erfahrung zur Genüge jene nervöse und doch schöne Stimmung, mit der man
hoffnungsfroh ebenso die Kabinette eines Kunsthändlers wie die entlegensten Tempel
alter Kunst betritt.

Wir dürfen es auch offen aussprechen, ohne bei den Fachgenossen in Miß-
kredit zu geraten, der Händler — und es kann nur von den wirklichen, den großen,
wissenschaftlich orientierten Vertretern des Faches die Rede sein — ist in den meisten
Fällen ein tüchtigerer Kenner von Qualität und Zugehörigkeit als so mancher an-
erkannte Verfasser dickleibiger Monographien. Denn der Händler ist derjenige, der
seine praktische Erfahrung mit barer Münze aufwiegt, er ist dem Sammler nahe ver-
wandt, der seinerseits wiederum ebenso auf Grund seiner spezialisierten Kennerschaft
wie seiner besonderen Vorliebe für das von ihm erwählte Objekt alles mit Gold be-
zahlt. Darum wäre es falsch, die Bedeutung beider Teile für die wissenschaftliche Er-
kenntnis zu unterschätzen, ebensowenig, wie wir bestreiten dürfen, daß der Sammler
heute ein wichtiges Bindeglied zwischen Kunsthistorie als fachwissenschaftlicher Doktrin
und dem an unerforschten Geheimnissen reichen Kunsthandel darstellt. Das Sammel-
wesen gerade ist eine piece de resistance, ganz im wörtlichen Sinne gesprochen; denn
es entzieht dem unausgesetzt in Bewegung begriffenen Fluß des Kunsthandels seine
Schätze, fügt sie nach und nach zu festen Besitzständen zusammen, die infolge der
Konzentrierung dem Kunsthistoriker die Erkenntnis wesentlich erleichtern.

Aber es muß auch genügend betont werden, wie sehr auf der einen Seite
der eigentliche Kunsthandel auf die Ergebnisse angewiesen ist, die ihm die Kunst-
historie als solche zubringt und wie sehr auf der anderen die moderne kunstgeschicht-
liche Erkenntnis durch den Kunsthandel vertieft worden ist. An dem Lebenswerk gerade
unserer besten Kenner alter Kunst tritt die Tatsache deutlich zutage, wie viel diese
Kennerschaft letzten Endes dem kontinuierlichen Konnex mit dem Kunsthandel zu danken
hat. Das sollte uns von selbst die Richtlinie weisen. Wir müssen es mit aller Macht er-
streben, innigere Fühlung zum Kunsthandel zu gewinnen, damit das, was Ein-
zelnen in ihrer bevorzugten und scharf umrissenen Stellung als Leiter großer Sammlungen
möglich ist, auch der breiteren Allgemeinheit wissenschaftlich arbeitender Kreise zugute
komme. Wir müssen es versuchen, mit dem Kunsthandel Hand in Hand zu arbeiten,
ihn von seinem eingefleischten Vorurteil, daß die wirkliche Erkenntnis und richtige
Bewertung der in seinem Besitz befindlichen Schätze, den Wert derselben herabsetze,
abzubringen und ihm andererseits klar zu machen, daß es sein ureigenstes Interesse
erheischt, wenn er der Forschung seine Schätze in anderem Maße zugänglich macht,
als es bisher geschehen ist.

Der Kunsthandel muß davon überzeugt werden, daß die Publikation einzelner,
in seinem Besitz befindlicher, hervorragender Werke keine Schädigung seiner rein ge-
schäftlichen Interessen oder gar eine Herabsetzung ihrer künstlerischen Werte be-
deuten kann.

Wir haben es gottlob erfahren, daß nach der Seite hin so mancher Händler
großzügiger denkt, als man schlechthin angenommen hat. Es ist uns schon im ver-
 
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