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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 1.1909

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https://doi.org/10.11588/diglit.24117#0035

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Heft 1

Ausstellungen

21

der Stammbaum der Eigentümer hinauf verfolgen
läßt, geben die Möglichkeit, daß es sich um ja-
panische Kopie handle, in vielen Fällen unum-
wunden zu. Um wieviel vorsichtiger wird man
den jungen und jüngsten europäischen Samm-
lungen gegenüber sein müssen, die schnell und
ohne die Möglichkeit kritisch eingehender Sich-
tung zusammengerafft sind, ist doch für eine
eigentliche Bilderkritik kaum noch die erste
Grundlage geschaffen.

Äus diesen Gründen muß auch in den fol-
genden Zeilen auf ein abschließendes Urteil in
irgend einem Sinne verzichtet werden. Was
gegeben werden kann und soll, ist nur ein
Hinweis auf die kunstgeschichtlich interessante-
sten Stücke der Sammlung, wobei die Ättribu-
tionen des Kataloges übernommen werden
müssen, ohne daß im einzelnen Falle auf die
Frage eingegangen werden kann, ob es sich
um wirkliche Originalwerke der betreffenden
Meister handelt.

Soll von diesem Standpunkt eines kunst-
geschichtlichen Interesses ausgegangen sein,
so müssen naturgemäß zuerst die Zeiten des
Werdens aufgesucht werden, weil in ihnen die
wichtigsten Aufschlüsse auch über das Wesen
der Kunst selbst zu erwarten sind. Aber schon
hier ergeben sich unübersteigliche Schwierig-
keiten. Denn kann man sich für die Deutung
des Phänomens der japanischen Kunst im we-
sentlichen auf die Tatsachen chinesischer Ein-
flüsse beziehen, so tappt man im Hinblick auf
die Herkunft dieser chinesischen Kunst selbst
noch so gut wie ganz im Dunkeln. Sicher ist,
daß die Entstehungsgeschichte hier ganz be-
deutend weiter hinaufreicht als für Japan.
Allerdings kommt unsere Wissenschaft fast nur
aus Nachrichten über Künstler, von deren
Schaffen wir uns noch so gut wie keine Vor-
stellung zu machen vermögen. Wenn aber
etwa von Ts’ao Fu-hsing, einem Künstler des
III. Jahrhunderts n. Chr., die bekannten Fabeln
von den lebendig werdenden Gestalten seiner
Bilder erzählt werden, so ist doch der nächst-
liegende Schluß, der hieraus gezogen werden
kann, der auf den Eindruck einer bisher nicht
gekannten Naturnähe, und man muß annehmen,
daß um jene Zeit sich eine entscheidende Ent-
wicklung innerhalb der chinesischen Malerei
vollzogen habe. Sind derartige Erzählungen
beinahe Gemeingut aller Völker, so bedeuten
Geschichten von Landschaften, die zu Wirklich-
keiten werden, wohl eine chinesische Besonder-
heit. Und wenn von Wu Tao-tsze derartiges
berichtet wird, so dürfen wir wieder mit einiger
Sicherheit annehmen, daß zu seiner Zeit, also
im VIII. Jahrhundert sich eine bedeutungsvolle

Entwicklung innerhalb der chinesischen Land-
schaftsmalerei vollzog.

Die wesentlichen Elemente der chinesischen
Kunst müssen nun gegeben gewesen sein. Was
folgte, war zunächst in der Sung-Zeit (X. bis
XIII. Jahrhundert) eine großartige Entfaltung
hauptsächlich der neuen Landschaftsmalerei und
in der Folge ein Verfall, ein Erstarren im Her-
kommen, ein Versiegen der Entwicklung.

Die Sammlung der Frau Wegener enthält
nur weniges, das geeignet wäre, die große Zeit
der chinesischen Malerei zu veranschaulichen,
und auch das wenige ist von anscheinend nicht
immer zweifelfreiem Werte. Das ehrwürdigste
Stüde trägt den Namen des Han-Kan, eines
als Tiermaler berühmten Künstlers des VIII. Jahr-
hunderts, von dem die Sammlung des großen
Kunstmäzens, des Kaisers Hui-tsung, der selbst
ein nicht unbedeutender Maler war, mehr als
50 Pferde- und Reiterbilder besaß. Auch hier
(Nr. 200)J) ist ein Pferdebild zu sehen, noch
archaisch befangen und steif in der Form. Als
Gegenstück ist ein Bild mit dem Namen des
Chao Meng-fu aufgehängt, ebenfalls Pferde,
aber frei in der Bewegung und sehr reizvoll
in der geschmeidigen Führung der Linie und
anmutigen Fügung zur Gruppe. Was sonst
unter dem Namen dieses Künstlers geht, will
weniger überzeugen, eine große Landschaft
(Nr. 25), die zu leer in den Formen ist, um die
Erwartungen, die sidi an den berühmten Na-
men knüpfen, zu erfüllen, eine weitere Land-
schaft mit Pferden (Nr. 174) und endlich das
Bild eines Genius (Nr. 218, wohl Han-shan), die
beide der Katalog selbst als Kopien bezeichnet.
Mit Chao Meng-fu (1254 — 1322), der in die
Yüan-Zeit gehört, ist die eigentlich große Epoche,
die der Sung - Dynastien schon überschritten.
Wir blicken zurück, um die wenigen charakte-
ristischen Stücke dieser Zeit kurz anzuführen.
Von der großen Landschaftskunst der Zeit, den
so stimmungsvoll lyrischen Naturschilderungen
der Sung-Künstler ist nur ein nicht eben her-
vorragendes Stück vorhanden (Nr. 98), das
ohne Künstlernamen geblieben ist. Denn eine
Landschaft des Wang Wei (Nr. 230), der im
VIII. Jahrhundert blühte, würde, wenn sie sich
wirklich auf diesen hochberühmten Künstler zu-
rückführen ließe, eine andere Kategorie chinesi-
scher Landschaftsmalerei repräsentieren. Der
Kaiser Hui-tsung (Anfang des XII. Jahrhunderts),
auf den zwei der allerschönsten echt chinesi-
schen Stimmungslandschaften zurückgeführt zu
werden pflegen, ist hier nur durch ein wenig

ß Zur leichteren Orientierung gebe ich jedesmal in
Klammern die Nummern des Katalogs.
 
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