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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 1.1909

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Entdeckungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.24117#0044

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30

Der Cicerone

Heft 1

Schreibung für gesichert. Wir sind damit um
zwei interessante Werke des Brüsseler Malers
bereichert. Hermann Voss.

COLIJN DE COTER, Kreuzabnahme
□ Stuttgart, Galerie

NEUE DOKUMENTE ZUR JUGEND-
GESCHICHTE RÄFFÄELS

Das Urkundenmaterial, auf welches sich
unsere bisherigen Kenntnisse von Raffaels Jugend
bis zu seiner Übersiedelung nach Rom stützen,
ist mehr als dürftig. Einige wenige gerichtliche
Dokumente, die sich auf unerquickliche Familien-
Verhältnisse beziehen und vom kunsthistorischen
Gesichtspunkt aus belanglos sind, das ist Alles.
Über den künstlerischen Bildungsgang desMeisters
herrscht infolgedessen immer noch starke Un-
klarheit. Im Allgemeinen hat man sich, den
Untersuchungen Morellis folgend, auf den in
Bologna ausgebildeten Urbinaten Timoteo Viti

als den ersten Lehrer Raffaels geeinigt, da
dessen Einfluß auf die Entwicklung durch Mo-
relli erwiesen wurde.

Eine höchst interessante und willkommene
Erweiterung dieses Standes unseres Wissens
ist nunmehr durch die Veröffentlichung zweier
neuentdeckter Urkunden erfolgt, die der um die
Kenntnis der Kunst seiner Vaterstadt Cittä di
Castello sehr verdiente Cav. Magherini-Graziani
in dem letzten Heft des Bolletino della R. Depu-
tazione di storia patria per l’Umbria bekannt
gibt. Hier liegen nun die ersten festen Daten
über Raffael als Künstler vor, aus denen zugleich
neues Licht auf seinen Entwicklungsgang fällt.
Es handelt sich um einen in Cittä di Castello
in der Kirche von Sant’Ägostino am 10. Dez.

1500 vor dem Notar Gentile di Giovanni Buretti
geschlossenen Vertrag zwischen den persönlich
anwesenden Parteien: Andrea di Tomaso Baronico
einerseits und den Malern Evangelista di Andrea
di Pian di Meleto und Raffael di Giovanni
Santi aus Urbino, wonach die Maler ein Altar-
bild für die in Sant’Ägostino gelegene Kapelle
Andreas’ gegen einen Lohn von 33 Dukaten
Gold malen sollten. In der anderen Urkunde
quittieren die beiden Künstler am 13. September

1501 vor demselben Notar über den Rest dieser
Summe. Das Bild, auf das sich diese Urkunden
beziehen, eine Krönung des hl. Nikolaus von
Tolentino ist leider nicht erhalten, doch ist es
aus genauen Berichten älterer Schriftsteller be-
kannt. Bis 1789 war es in besagter Kapelle,
wurde dann an Pius VI. verkauft, der mehrere
kleinere Stücke aus den gut erhaltenen Teilen
herausschnitt und daraus besondere Bilder
machte, die leider später aus dem Vatikan ver-
schwanden und nicht wieder aufgetaudht sind.

Die Schlüsse, die sich aus diesen Urkunden
ziehen lassen, geben nun ein neues, klares Bild
der Jugendgeschichte Raffaels. Es geht daraus
hervor, daß der 17jährige Meister in intimer
künstlerischer Beziehung zu einem bislang kaum
in der Kunstgeschichte gekannten Maler Evan-
gelista aus Pian di Meleto gestanden hat. Wir
wissen, daß dieser Künstler bereits 1483 in der
Werkstatt des Vaters Raffaels tätig war. Die
Annahme liegt also nahe, daß Giovanni Santi
bei seinem Tode den jungen Sohn dem lang-
jährigen Gefährten zu weiterer Unterweisung
und Ausbildung anvertraut hat. Wir hätten
damit also in Evangelista di Pian di Meleto den
eigentlichen Lehrer des jugendlichen Raffael zu
* erblicken. Gestützt wird diese Annahme noch
durch den interessanten Umstand, daß Evan-
gelista nachgewiesenermaßen mit Timoteo Viti
lange Jahre hindurch gemeinsam gearbeitet hat.
Es ist demnach sehr wahrscheinlich, daß im
 
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