Overview
Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 1.1909

DOI Heft:
2. Heft
DOI Artikel:
Ausstellungen
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.24117#0078

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
64

Der Cicerone

Heft 2

gen; Ludwig von Hofmann hat dekorative
Entwürfe und Skizzen in Pastell ausgestellt,
von jener glücklichen Bemeisterung von Raum
und Fläche und jenem leichtbeschwingten Rhyth-
mus der Linie, worin ihm wohl kein zeitgenös-
sischer Deutscher gleichkommt.

Von den jüngeren Berlinern scheint Wal-
demar Rösler mit seinen Vorstadtpastellen
die größten Versprechungen zu geben; auch
Max Beckmann hat interessante Entwürfe
und Zeichnungen ausgestellt. Emil Orlik ist
nicht so gut vertreten wie kürzlich in einer
Sonderausstellung der Kunstgewerbebibliothek,
von E. R. Weiß ist vorzüglich ein aquarellierter
Akt — ähnlich dem erst kürzlich ausgestellten
Ölgemälde — hervorzuheben.

Ich erwähne noch in aller Kürze die Land-
schaftszeichnungen Paul Baums, die Radie-
rungen von Marcus Behmer, von Otto
Fischer und dem Grafen Kaickreuth, die
Zeichnungen und Aquarelle der beiden Hübner,
von Fritz Rhein und Carl Strathmann;
Künstler, bei denen die bloße Nennung des
Namens dasselbe ist, wie eine ausführliche Cha-
rakteristik. Zu den Illustratoren trage ich noch
die Namen von Karl Walser, Ernst Heile-
mann, Paul Scheurich, Max Feldbauer,
Demetrius Galanis, Julius Klinger, Wil-
helm Schulz und besonders den von Max
Slevogt nach.

Über die Plastiken ist weniger Gutes zu
sagen. Die Stilisten überwiegen mit den Stein-
gußarbeiten von Mendes da Costa-Amster-
dam, den Gipsen und Holzarbeiten Ernst Bar-
lachs und zwei Arbeiten von Georg Kolbe.
Josef Floßmanns feinfühlige Art, denMarmor
zu behandeln, ist in zwei kleineren Proben gut
kennen zu lernen.

Mit der Krüger-Ausstellung kann ich
mich nicht befreunden. Nach meiner Empfindung
stört sie die Einheit der Ausstellung empfind-
licher als irgend etwas Anderes; und die Qualiät
der meisten Arbeiten, zumal der Lithographien,
rechtfertigt weder die Breite der Auswahl noch
das überschwängliche Lob des Vorwortes.

H. V.
s

DIE MÄREES-ÄUSSTELLUNG IN
DER MÜNCHENER SEZESSION

Im Mittelpunkt der allgemeinen Diskussion
steht die große Hans von Marees-Aussteliung,
mit deren Veranstaltung sich die Münchener
Sezession den Dank aller verdient hat, die prak-
tisch oder platonisch an der Entwicklung deut-
scher Kunst interessiert sind. Denn wie man

sich auch zu Marees stellen mag, dies Eine wird
man zugeben müssen: sein „Fall“ ist in tieferem
Sinne aktuell und nach welcher Richtung der
Weg der Zukunft auch führen mag, das Problem
Marees wird er unbedingt schneiden.

Daß Marees heute in Aller Munde ist und
daß man sein Lebenswerk nun in einer so
prunkvollen Gesamtausstellung vereinigt sieht,
ist zweifellos von symptomatischer Bedeutsam-
keit. Denn es besagt, daß die synthetischen
Bestrebungen, um die Marees gerungen und
die für ihn Lebensfragen waren, nun zu Lebens-
fragen der deutschen Kunst geworden sind und
daß der Outsider von damals nun Repräsentant
unserer aktuellsten Höhe ist.

Wir hungern und dürsten ja wieder nach der
großen Kunst, nach der Kunst, die mehr gibt als
Augenfreude und Sinnenreiz. Wir stehen wieder
einmal an dem Punkte, wo die unausrottbaren
ideologischen Bedürfnisse in uns sich restlos in
rein formal-künstlerische Bedürfnisse umgesetzt
haben und auf Erfüllung warten. Wir suchen
nach einer Sakralkunst für Ungläubige oder —
um mit der Terminologie des Deutschen zu
sprechen — wir suchen wieder nach einer Klassik.

Klassisch ist ja alle gute Kunst, aber wenn
man von deutscher Klassik spricht, dann hat das
Wort eine ganz eigene Bedeutung, dann schwingt
leise das Bewußtsein mit, daß Klassik und Deutsch
eigentlich eine contradictio in adjecto ist und
daß dieser Widerspruch das Schaffen aller deut-
schen Klassiker mit einer unverwischbaren Pro-
blematik beschattet hat. Die Klassiker Deutsch-
lands — von Dürer bis zu Marees — waren
auch immer seine eigentlichen Problematiker.
Denn die Synthese, auf der alle klassische Kunst
beruht, und die den romanischen Rassen gleich-
sam im Handgelenk liegt, ist uns nur durch eine
gewaltsame Kraftanstrengung erreichbar und
diese Gewaltsamkeit setzt das Erreichte wieder
in Frage. Denn Klassik läßt keine Gewaltsam-
keit zu. Und dennoch hängt gerade an dieser
fragwürdigen Klassik unser Herz.

Für Frankreich war der Impressionismus klas-
sisch, für Deutschland nicht. Wir danken ihm
wohl eine große Erziehung zur Wirklichkeit und
eine unvergängliche Bereicherung und Verfeine-
rung unserer künstlerischen Äusdrucksweise, aber
die eigentlich schöpferischen Kräfte unseres Vol-
kes hat er nicht frei gemacht. Ein mehr oder
minder starkes Gefühl des Unbefriedigtseins blieb
zurück und dieses Gefühl macht uns nun reif
für Marees, für dessen Wollen uns nun erst die
Augen aufgehen.

Im schuldbewußten Eifer der Rehabilitierung
geht es natürlich ohne Übertreibung nicht ab
und aus unserer eigenen Not und Sehnsucht
 
Annotationen