Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 1.1909
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3. Heft
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Der Cicerone
Heft 3
wohl sagen — die sich um Rauch gebildet hatte,
das richtige Verhältnis zwischen den beiden
ungleich begabten Künstlern zu erkennen; Scha-
dows eigene, schwer begreifliche Entwicklung
mag nicht wenig schuld daran gewesen sein.
Wir sind uns heute darüber klar, daß ein Re-
lief wie das der drei Parzen am Grabmal des
Grafen von der Mark nach Ändreas Schlüter
einzig innerhalb der Berliner Kunst dasteht,
und mögen in Rauchs eigenem Interesse mit
keinem seiner Werke einen Vergleich ziehen.
Äber Schadow selber — und hier greifen wir
mit Händen das Sonderbare dieses Lebens —
hat aus seinen späteren Zeiten kaum etwas
aufzuweisen, das den Ärbeiten der neunziger
Jahre, wie dem Zieten, der Statue der beiden
Prinzessinnen, der Quadriga auf dem Branden-
burger Tor gewachsen wäre. Einzig in der
charakteristischen Auffassung der Persönlichkeit
entwickelt er sich weiter und schafft Büsten
von so frappanter Lebendigkeit wie die des
Astronomen Bode, die gewiß zu den Aller-
bedeutendsten von seiner Hand gehört.
Die früheren Porträtbüsten betonen im besten
Sinne das Ideale, wie etwa die der Henriette
Herz von 1783. Man hat Rokokonachklänge
darin finden wollen, eine Ansicht, die ich weder
mit Bezug auf diese noch auf andere Frühwerke
Schadows teilen kann. Der römische Aufenthalt
(1785—87) hat ihn dann unter dem entschei-
denden Einfluß Canovas ganz auf die Fährte
der Antike geführt, und die ersten Ärbeiten nach
seiner Rückkehr, wie das Grabmal der Dorotheen-
städtischen Kirche, die Reliefs des Parolesaales
und die Quadriga, stehen ganz unter dem Zeichen
des Klassizismus.
Die Berliner Architektur jener Zeit bietet Paral-
lelerscheinungen zu ihm: Langhans, den Schöpfer
des Brandenburger Tores und vor allem Fried-
rich Gilly, den Frühgestorbenen, von dessen ge-
nialischer Begabung nur wenige Zeugnisse auf-
recht geblieben sind, während seine Skizzen und
Pläne noch heute eine eindringliche, merkwürdig
suggestive Sprache führen. Linien, Flächen und
Räume haben eine stille, edle und einfache Größe,
eine Musik der Verhältnisse, die, um im Bilde
jener Zeit zu bleiben, gluckisch berühren. Scha-
dow, der eine ausdrucksvolle Büste Gillys (von
1801) geschaffen hat, besitzt in vielen seiner
Ärbeiten etwas von der monumentalen Einfach-
heit des Architekten, dessen Hauptschöpfung, die
Münze, er nach Gillys Entwürfen mit Reliefs ge-
schmückt hat — aber von vornherein war er gegen-
über dem Hugenottenabkömmling, der in Frank-
reich sich gebildet hatte, der Realistischere; so haben
wir denn seine weitere Entwicklung als etwas
in seiner Natur Gegebenes hinzunehmen.
Vielen wird die jetzige Ausstellung den Be-
griff von dem Umfange des Schadowschen
Schaffens erweitern. Schon die kürzliche Publi-
kation seines Familienalbums durch Mackowskg
lehrte größere Kreise den Zeichner Schadow
kennen. Dessen Mittel sind bewundernswert
frei und einfach; mit ein paar Strichen, die sich
von der Konvention der Zeit auffallend fern
halten, trifft er den charakteristischen Umriß
einer Persönlichkeit. Männer, die wir in idealem
Lichte zu sehen gewohnt sind, deckt eine Profil-
zeichnung Schadows so auf, daß wir jetzt erst
glauben zu wissen, wer und was sie waren;
wirkt die Art, wie er uns Schinkel vorführt, wie
eine Ernüchterung, so kann sein Schillerporträt
wegen seiner unerbittlichen Wahrheit schlechter-
dings nur eine Profanation genannt werden —
und doch ist sie ganz gewiss nicht als solche
gedacht gewesen.
Schadow als Äktzeichner, das ist wieder
ein Kapitel für sich, und eines der interessan-
testen in seinem Schaffen. Aus dem Besitz der
Akademie sind mehrere derartige Studien aus-
gestellt, alle bewundernswert, sicher und glaub-
haft und dabei von jener durchaus beruhigten,
reinen Linie, jener Vereinfachung und Stilisierung
des Details, die den Klassizisten und Schüler
Canovas verrät.
Der Einfluß Canovas scheint mir nicht ge-
nügend gewürdigt zu werden. Liegt es daran,
daß Berlin keinen genügenden Begriff von der
Bedeutung des um sieben Jahre Älteren bietet?
Jedenfalls ist es Schadow selber nicht in den
Sinn gekommen, den Wert von Canovas römisch
monumentaler, obwohl kalter Kunst so niedrig
einzuschätzen, wie es jetzt gewöhnlich geschieht.
Ohne Canovas Vorgang hätte Schadow weder
den Aufbau noch die edle Liniensprache des Grab-
males in der Dorotheenstädtischen Kirche finden
können. Und daß Schadow nicht länger im Bann-
kreise von Canovas Kunst geblieben ist, mag
zwar der freien Entwicklung seiner Persönlich-
keit zugute gekommen sein, aber der Ausbildung
seiner Begabung für das Monumentale hat der
befruchtende Einfluß Roms uud der um Canova
dort gruppierten neuen künstlerischen Bestre-
bungen in der Folgezeit eher gefehlt.
Ganz eigentümlich und neu ist, was mehrere
Werke, u. a. das Grabmal Grünfeldt auf Lehn-
haus, über Schadows Anschluß an die gotische
Kunst sagen. In seinem eigentlichen Fahrwasser
befand sich der Meister hier jedoch ebensowenig
wie Schinkel etwa, als er die Werdersche Kirche
schuf. Zu seinen schwächeren Ärbeiten rechne
ich auch die meisten seiner Reliefs, sowohl die
zu den verschiedenen Feldherrndenkmälern, wie
Der Cicerone
Heft 3
wohl sagen — die sich um Rauch gebildet hatte,
das richtige Verhältnis zwischen den beiden
ungleich begabten Künstlern zu erkennen; Scha-
dows eigene, schwer begreifliche Entwicklung
mag nicht wenig schuld daran gewesen sein.
Wir sind uns heute darüber klar, daß ein Re-
lief wie das der drei Parzen am Grabmal des
Grafen von der Mark nach Ändreas Schlüter
einzig innerhalb der Berliner Kunst dasteht,
und mögen in Rauchs eigenem Interesse mit
keinem seiner Werke einen Vergleich ziehen.
Äber Schadow selber — und hier greifen wir
mit Händen das Sonderbare dieses Lebens —
hat aus seinen späteren Zeiten kaum etwas
aufzuweisen, das den Ärbeiten der neunziger
Jahre, wie dem Zieten, der Statue der beiden
Prinzessinnen, der Quadriga auf dem Branden-
burger Tor gewachsen wäre. Einzig in der
charakteristischen Auffassung der Persönlichkeit
entwickelt er sich weiter und schafft Büsten
von so frappanter Lebendigkeit wie die des
Astronomen Bode, die gewiß zu den Aller-
bedeutendsten von seiner Hand gehört.
Die früheren Porträtbüsten betonen im besten
Sinne das Ideale, wie etwa die der Henriette
Herz von 1783. Man hat Rokokonachklänge
darin finden wollen, eine Ansicht, die ich weder
mit Bezug auf diese noch auf andere Frühwerke
Schadows teilen kann. Der römische Aufenthalt
(1785—87) hat ihn dann unter dem entschei-
denden Einfluß Canovas ganz auf die Fährte
der Antike geführt, und die ersten Ärbeiten nach
seiner Rückkehr, wie das Grabmal der Dorotheen-
städtischen Kirche, die Reliefs des Parolesaales
und die Quadriga, stehen ganz unter dem Zeichen
des Klassizismus.
Die Berliner Architektur jener Zeit bietet Paral-
lelerscheinungen zu ihm: Langhans, den Schöpfer
des Brandenburger Tores und vor allem Fried-
rich Gilly, den Frühgestorbenen, von dessen ge-
nialischer Begabung nur wenige Zeugnisse auf-
recht geblieben sind, während seine Skizzen und
Pläne noch heute eine eindringliche, merkwürdig
suggestive Sprache führen. Linien, Flächen und
Räume haben eine stille, edle und einfache Größe,
eine Musik der Verhältnisse, die, um im Bilde
jener Zeit zu bleiben, gluckisch berühren. Scha-
dow, der eine ausdrucksvolle Büste Gillys (von
1801) geschaffen hat, besitzt in vielen seiner
Ärbeiten etwas von der monumentalen Einfach-
heit des Architekten, dessen Hauptschöpfung, die
Münze, er nach Gillys Entwürfen mit Reliefs ge-
schmückt hat — aber von vornherein war er gegen-
über dem Hugenottenabkömmling, der in Frank-
reich sich gebildet hatte, der Realistischere; so haben
wir denn seine weitere Entwicklung als etwas
in seiner Natur Gegebenes hinzunehmen.
Vielen wird die jetzige Ausstellung den Be-
griff von dem Umfange des Schadowschen
Schaffens erweitern. Schon die kürzliche Publi-
kation seines Familienalbums durch Mackowskg
lehrte größere Kreise den Zeichner Schadow
kennen. Dessen Mittel sind bewundernswert
frei und einfach; mit ein paar Strichen, die sich
von der Konvention der Zeit auffallend fern
halten, trifft er den charakteristischen Umriß
einer Persönlichkeit. Männer, die wir in idealem
Lichte zu sehen gewohnt sind, deckt eine Profil-
zeichnung Schadows so auf, daß wir jetzt erst
glauben zu wissen, wer und was sie waren;
wirkt die Art, wie er uns Schinkel vorführt, wie
eine Ernüchterung, so kann sein Schillerporträt
wegen seiner unerbittlichen Wahrheit schlechter-
dings nur eine Profanation genannt werden —
und doch ist sie ganz gewiss nicht als solche
gedacht gewesen.
Schadow als Äktzeichner, das ist wieder
ein Kapitel für sich, und eines der interessan-
testen in seinem Schaffen. Aus dem Besitz der
Akademie sind mehrere derartige Studien aus-
gestellt, alle bewundernswert, sicher und glaub-
haft und dabei von jener durchaus beruhigten,
reinen Linie, jener Vereinfachung und Stilisierung
des Details, die den Klassizisten und Schüler
Canovas verrät.
Der Einfluß Canovas scheint mir nicht ge-
nügend gewürdigt zu werden. Liegt es daran,
daß Berlin keinen genügenden Begriff von der
Bedeutung des um sieben Jahre Älteren bietet?
Jedenfalls ist es Schadow selber nicht in den
Sinn gekommen, den Wert von Canovas römisch
monumentaler, obwohl kalter Kunst so niedrig
einzuschätzen, wie es jetzt gewöhnlich geschieht.
Ohne Canovas Vorgang hätte Schadow weder
den Aufbau noch die edle Liniensprache des Grab-
males in der Dorotheenstädtischen Kirche finden
können. Und daß Schadow nicht länger im Bann-
kreise von Canovas Kunst geblieben ist, mag
zwar der freien Entwicklung seiner Persönlich-
keit zugute gekommen sein, aber der Ausbildung
seiner Begabung für das Monumentale hat der
befruchtende Einfluß Roms uud der um Canova
dort gruppierten neuen künstlerischen Bestre-
bungen in der Folgezeit eher gefehlt.
Ganz eigentümlich und neu ist, was mehrere
Werke, u. a. das Grabmal Grünfeldt auf Lehn-
haus, über Schadows Anschluß an die gotische
Kunst sagen. In seinem eigentlichen Fahrwasser
befand sich der Meister hier jedoch ebensowenig
wie Schinkel etwa, als er die Werdersche Kirche
schuf. Zu seinen schwächeren Ärbeiten rechne
ich auch die meisten seiner Reliefs, sowohl die
zu den verschiedenen Feldherrndenkmälern, wie