Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 1.1909
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Heft 4
Vermischtes
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der Unwissenheit oder der Zerfahrenheit zu
setzen sind. Dem Leser werden fast auf jeder
Seite die lieblichsten Blüten einer heftig er-
regten Phantasie dargeboten, zwischen welchen
zahllose Irrtümer im Gebrauch der italienischen
Sprache und bei der Änführung kunstgeschicht-
licher Notizen, der Jahreszahlen usw. angenehm
verstreut sind. Besonders belehrend sind die
Vergleiche zwischen Goethe und Raffael, aus
denen ein inniges Verhältnis zu den Persönlich-
keiten dieser beiden fabelhaft ähnlichen Men-
schen spricht (auf die Güte des deutschen Stiles,
den Herr Lessing schreibt, sei ebenfalls auf-
merksam gemacht): . Soviel Goethe von
Leidenschaft weiß und sagt, er war zu großer
Liebe nicht fähig . . . Nie verstand Goethe sich
weniger als wenn ihn der tragische Heroismus
Schillers oder Byrons Titanismüs gequält hat
. . . Man kann die Veranlagung Raffaels und
Goethes als typisierend-morphologische Denk-
art (11) bezeichnen. Sie ist unfähig zu Ana-
lyse im einzelnen. Sie geht auch nicht auf das
Allgemeine in mathematisch-logischem Sinne.
Sondern sie verfährt intuitiv verallgemeinernd
in der Sphäre alltäglich aktueller Erfahrung.“
Wird es nach diesen Ausführungen wundern,
zu vernehmen von der Nüchternheit und Herz-
losigkeit, die Holbein eigen war, und weiterhin
auf die empörenden Sätze zu stoßen: „Erst
Luther und Köppernik haben die natürliche har-
monische Welt in Trümmer geschlagen. Diese
ungeschlachten unschönen moral-brüchi-
gen Deutschen. Sie warfen von nun an das
Menschengeschlecht aufs ‘Ethische’“.
Diese Proben können genügen. Von der
seltenen Unbefangenheit, mit der Herr Lessing
die kunstwissenschaftlichen Fragen behan-
delt, sei gar nicht die Rede. Allein das Novum,
daß Raffael im — „Riesengrund des
Kolosseum (S. 22) beerdigt wurde, glauben
wir unsern Lesern nicht vorenthalten zu dürfen.
Angesichts solcher fast täglich auf dem Markte
neu sich zeigender Beschäftigungsnachweise von
Dilettanten fragen wir uns aber doch einmal
ernstlich, wo kommen wir in Deutschland hin,
wenn Bücher wie diese „Madonna Sixtina“ nicht
nur geschrieben werden, sondern wenn sie sogar
einen angesehenen Verleger finden, der sie an-
zeigt als „Gründlich, meisterhaft, vielseitig,
allgemein verständlich — ja als Musterbeispiel (1!)
ästhetischer Bilderanalyse überhaupt.“ U.-B.
Rom. Der Consiglio superiore di antichitä hat
in einer seiner jüngsten Sitzungen beschlossen,
endlich dem Projekte der Hebung der zwei im
Nemisee liegenden kaiserlichen Prachtschiffe ernst-
lich näher zu treten. Dem ursprünglichen und
gewiß sicherem Projekte, das Wasser des Sees
abzulassen, setzt nun der Taucher Pardi, der
schon vor mehr als zehn, Jahren die jetzt im
Thermenmuseum aufbewahrten Bronzen aus der
Wassertiefe herauf befördert hat, ein Gegenpro-
jekt entgegen. Er will mittels Luftdruck die
zwei Schiffe heben. Seinen Berechnungen nach
stellt sich dieses Projekt auf 150000 fs. Es ist
aber sehr die Frage, ob man ein System, das
für eben gesunkene moderne Schiffe sich eignet,
so ohneweiters bei floßähnlichen Schiffen ver-
wenden kann, die fast vor 1900 Jahre am See-
grunde liegen und zum Teile von einer zu Stein
verhärteten Schlammschicht bedeckt sind. L. P.
Wien. Ein wiederaufgefundenesKaiser-
bildnis von Waldmüller. Ein interessanter
Fund wird gegenwärtig hier lebhaft besprochen.
Er betrifft ein lebensgroßes Bildnis Kaiser Ferdi-
nands, gemalt von F. G. Waldmüller im Jahre
1839, das durch 30 Jahre auf dem Nordbahnhofe
im Wartesalon I. Klasse völlig unbeachtet hing,
bis es vor kurzer Zeit durch den Maler C. Mell wie-
dergefunden wurde. Der Kaiser ist in Generals-
uniform an einem Tische stehend dargestellt, auf
dem die Throninsignien liegen. Das Werk stammt
aus der Wiener Sammlung Gsell,bei deren Ver-
steigerung im Jahre 1872 sechsunddreißig Ölbilder
Waldmüllers verkauft wurden. Waldmüller war
zu dieser Zeit nur als Genremaler geschätzt, was
aus den Preisnotierungen dieser Auktion deutlich
ersichtlich wird. So wurde z. B. eines der be-
kanntesten Genrebilder des Meisters, „Die Pe-
tersdorfer Hochzeit“, mit 17000 Gulden, „Die
Christbescherung“ mit 15000 Gulden bezahlt,
während die „Hütteneckalpe“ — heute eine
Perle der Städtischen Sammlungen — nur 1000
Gulden einbrachte und keine der köstlichen
kleinen Praterlandschaften mehr als 4—500 Gul-
den eintrug. Das nun wieder aufgefundene
Bildnis Kaiser Ferdinands war das Stiefkind der
Auktion und erzielte nicht mehr als 76 Gulden.
Sein Ersteher hieß Dr. Schmid. Später kam es
an die Nordbahn, wo es, wie gesagt, im Warte-
salon 1. Klasse bei vollster Öffentlichkeit 30 Jahre
lang verborgen blieb. Der Direktor der Nord-
bahn, Sektionschef Baron Banhans, überließ in
freundlichster Weise das Bildnis, das zu den re-
präsentativsten und wirkungsvollsten Porträts
Waldmüllers gehört, für kurze Zeit der Galerie
Miethke zur Ausstellung, wo es gelegentlich der
Eröffnung der Amateurausstellung solches Auf-
sehen erregte, daß bereits von Seite des Unter-
richtsministeriums Schritte unternommen worden
sind, dieses Porträt Kaiser Ferdinands vom
Nordbahnhofe weg in die Moderne Galerie zu
entführen. H.
Vermischtes
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der Unwissenheit oder der Zerfahrenheit zu
setzen sind. Dem Leser werden fast auf jeder
Seite die lieblichsten Blüten einer heftig er-
regten Phantasie dargeboten, zwischen welchen
zahllose Irrtümer im Gebrauch der italienischen
Sprache und bei der Änführung kunstgeschicht-
licher Notizen, der Jahreszahlen usw. angenehm
verstreut sind. Besonders belehrend sind die
Vergleiche zwischen Goethe und Raffael, aus
denen ein inniges Verhältnis zu den Persönlich-
keiten dieser beiden fabelhaft ähnlichen Men-
schen spricht (auf die Güte des deutschen Stiles,
den Herr Lessing schreibt, sei ebenfalls auf-
merksam gemacht): . Soviel Goethe von
Leidenschaft weiß und sagt, er war zu großer
Liebe nicht fähig . . . Nie verstand Goethe sich
weniger als wenn ihn der tragische Heroismus
Schillers oder Byrons Titanismüs gequält hat
. . . Man kann die Veranlagung Raffaels und
Goethes als typisierend-morphologische Denk-
art (11) bezeichnen. Sie ist unfähig zu Ana-
lyse im einzelnen. Sie geht auch nicht auf das
Allgemeine in mathematisch-logischem Sinne.
Sondern sie verfährt intuitiv verallgemeinernd
in der Sphäre alltäglich aktueller Erfahrung.“
Wird es nach diesen Ausführungen wundern,
zu vernehmen von der Nüchternheit und Herz-
losigkeit, die Holbein eigen war, und weiterhin
auf die empörenden Sätze zu stoßen: „Erst
Luther und Köppernik haben die natürliche har-
monische Welt in Trümmer geschlagen. Diese
ungeschlachten unschönen moral-brüchi-
gen Deutschen. Sie warfen von nun an das
Menschengeschlecht aufs ‘Ethische’“.
Diese Proben können genügen. Von der
seltenen Unbefangenheit, mit der Herr Lessing
die kunstwissenschaftlichen Fragen behan-
delt, sei gar nicht die Rede. Allein das Novum,
daß Raffael im — „Riesengrund des
Kolosseum (S. 22) beerdigt wurde, glauben
wir unsern Lesern nicht vorenthalten zu dürfen.
Angesichts solcher fast täglich auf dem Markte
neu sich zeigender Beschäftigungsnachweise von
Dilettanten fragen wir uns aber doch einmal
ernstlich, wo kommen wir in Deutschland hin,
wenn Bücher wie diese „Madonna Sixtina“ nicht
nur geschrieben werden, sondern wenn sie sogar
einen angesehenen Verleger finden, der sie an-
zeigt als „Gründlich, meisterhaft, vielseitig,
allgemein verständlich — ja als Musterbeispiel (1!)
ästhetischer Bilderanalyse überhaupt.“ U.-B.
Rom. Der Consiglio superiore di antichitä hat
in einer seiner jüngsten Sitzungen beschlossen,
endlich dem Projekte der Hebung der zwei im
Nemisee liegenden kaiserlichen Prachtschiffe ernst-
lich näher zu treten. Dem ursprünglichen und
gewiß sicherem Projekte, das Wasser des Sees
abzulassen, setzt nun der Taucher Pardi, der
schon vor mehr als zehn, Jahren die jetzt im
Thermenmuseum aufbewahrten Bronzen aus der
Wassertiefe herauf befördert hat, ein Gegenpro-
jekt entgegen. Er will mittels Luftdruck die
zwei Schiffe heben. Seinen Berechnungen nach
stellt sich dieses Projekt auf 150000 fs. Es ist
aber sehr die Frage, ob man ein System, das
für eben gesunkene moderne Schiffe sich eignet,
so ohneweiters bei floßähnlichen Schiffen ver-
wenden kann, die fast vor 1900 Jahre am See-
grunde liegen und zum Teile von einer zu Stein
verhärteten Schlammschicht bedeckt sind. L. P.
Wien. Ein wiederaufgefundenesKaiser-
bildnis von Waldmüller. Ein interessanter
Fund wird gegenwärtig hier lebhaft besprochen.
Er betrifft ein lebensgroßes Bildnis Kaiser Ferdi-
nands, gemalt von F. G. Waldmüller im Jahre
1839, das durch 30 Jahre auf dem Nordbahnhofe
im Wartesalon I. Klasse völlig unbeachtet hing,
bis es vor kurzer Zeit durch den Maler C. Mell wie-
dergefunden wurde. Der Kaiser ist in Generals-
uniform an einem Tische stehend dargestellt, auf
dem die Throninsignien liegen. Das Werk stammt
aus der Wiener Sammlung Gsell,bei deren Ver-
steigerung im Jahre 1872 sechsunddreißig Ölbilder
Waldmüllers verkauft wurden. Waldmüller war
zu dieser Zeit nur als Genremaler geschätzt, was
aus den Preisnotierungen dieser Auktion deutlich
ersichtlich wird. So wurde z. B. eines der be-
kanntesten Genrebilder des Meisters, „Die Pe-
tersdorfer Hochzeit“, mit 17000 Gulden, „Die
Christbescherung“ mit 15000 Gulden bezahlt,
während die „Hütteneckalpe“ — heute eine
Perle der Städtischen Sammlungen — nur 1000
Gulden einbrachte und keine der köstlichen
kleinen Praterlandschaften mehr als 4—500 Gul-
den eintrug. Das nun wieder aufgefundene
Bildnis Kaiser Ferdinands war das Stiefkind der
Auktion und erzielte nicht mehr als 76 Gulden.
Sein Ersteher hieß Dr. Schmid. Später kam es
an die Nordbahn, wo es, wie gesagt, im Warte-
salon 1. Klasse bei vollster Öffentlichkeit 30 Jahre
lang verborgen blieb. Der Direktor der Nord-
bahn, Sektionschef Baron Banhans, überließ in
freundlichster Weise das Bildnis, das zu den re-
präsentativsten und wirkungsvollsten Porträts
Waldmüllers gehört, für kurze Zeit der Galerie
Miethke zur Ausstellung, wo es gelegentlich der
Eröffnung der Amateurausstellung solches Auf-
sehen erregte, daß bereits von Seite des Unter-
richtsministeriums Schritte unternommen worden
sind, dieses Porträt Kaiser Ferdinands vom
Nordbahnhofe weg in die Moderne Galerie zu
entführen. H.